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Frankreichs Antiterrorgesetz
Abhängigkeit vom Ausnahmezustand?

Zwei Jahre nach dem Terroranschlag im Pariser Bataclan endet in Frankreich der Ausnahmezustand. An seine Stelle tritt das neue Antiterrorgesetz. Französische Menschenrechtsexperten beklagen, dass damit weiterhin Bürgerrechte eingeschränkt werden. Bei der Mehrheit der Franzosen sorgt dies kaum für Debatten.

Von Kerstin Gallmeyer | 01.11.2017
    Soldaten patrouillieren durch die Straßen von Paris.
    Soldaten patrouillieren durch die Straßen von Paris. (Olivier Corsan, dpa picture-alliance)
    Es war die Terrornacht vom 13. November 2015, die blutige Geiselnahme im Bataclan noch nicht beendet, als der damalige Präsident Francois Hollande verkündete, über ganz Frankreich den Ausnahmezustand zu verhängen.
    Damit bekamen Frankreichs Innenministerium und die Präfekten Sonderrechte, im Kampf gegen den Terror. Sie veranlassten rund 4.500 Hausdurchsuchungen, beschlagnahmten dabei mehr als 600 Waffen. Über 750 Personen stellten sie unter Hausarrest. Das alles ohne Anordnung eines Richters.
    "Ausnahmezustand hat den Alltag der Franzosen nicht geändert"
    32 Anschlagsprojekte habe man in diesen zwei Jahren verhindern können - auch dank des Ausnahmezustands, betont die Regierung heute. Viele andere aber auch nicht: Wie das Attentat von Nizza vom 14. Juli 2016 mit 86 Toten oder Anfang Oktober den tödlichen Messerangriff auf zwei junge Frauen in Marseille. Trotzdem: Sechsmal wurde der Ausnahmezustand verlängert, dabei auch mehrfach verschärft. Für größere Debatten hat das bei den Franzosen allerdings nicht gesorgt.
    "Ich wusste noch nicht mal, dass wir jetzt aussteigen", gibt die Pariserin Benedicte leicht überrascht zu: "Ich kann verstehen, dass wir im Ausnahmezustand waren, angesichts des Anschlagsrisikos. Ich denke, das hat den Polizisten die Arbeit erleichtert. Aber der Ausnahmezustand hat den Alltag der Franzosen nicht geändert. "
    "Der Ausnahmezustand war sehr symbolisch", meint der 24 Jahre alte Elliott: "Vielleicht ist der Ausstieg eine gute Sache, weil das die Leute beruhigen wird. Aber vielleicht ist es auch weniger gut, weil die Sicherheit dann nicht mehr optimal gewährleistet ist."
    Ein Gefühl von größerer Sicherheit
    Tatsächlich scheint der Ausnahmezustand vielen Franzosen angesichts der anhaltenden Terrorbedrohung ein Gefühl von größerer Sicherheit vermittelt zu haben. Nach einer Umfrage vom August war eine Mehrheit dafür ihn beizubehalten, viele sogar für eine Verschärfung. Dass mit dem Ausnahmezustand aber auch die Bürgerrechte eingeschränkt wurden, darüber hat sich kaum jemand beklagt, bedauern französische Menschenrechtsexperten wie die Strafrechtsprofessorin Christine Lazerges.
    "In unserem Land gibt es eine Art Abhängigkeit vom Ausnahmezustand. Eine Abhängigkeit von freiheitbedrohenden Maßnahmen. Es gibt überhaupt nicht das Gefühl, dass dies dem nationalem Zusammenhalt schaden oder zur Stigmatisierung eines Teils der Bevölkerung führen könnte - besonders der muslimischen Bevölkerung."
    Antiterrorgesetz statt Ausnahmezustand
    Doch nun, nach fast exakt zwei Jahren ist endgültig Schluss mit den Notstandsgesetzen. An ihre Stelle tritt das neue Antiterrorgesetz. Gespickt mit Maßnahmen, die deutlich inspiriert sind vom bisherigen Ausnahmezustand. Deshalb sind diese bei französischen Juristen und Menschenrechtsexperten genauso umstritten. Frankreichs Präsident Macron allerdings verteidigt das Gesetz.
    "Wir bleiben im Rahmen des Rechtsstaats, insbesondere unter Kontrolle der Richter. Die erste Aufgabe des Staates ist es, die Sicherheit seiner Bürger und seines Territoriums zu gewährleisten. Diese Sicherheit ist die Bedingung selbst, damit unsere Freiheiten vollständig respektiert werden können."