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Franz Josef Strauß
Erinnerungen an den Übervater der CSU

Er war polarisierend, laut und hatte rhetorisches Talent: Vor 100 Jahren wurde Franz Josef Strauß geboren, der die CSU prägte wie kein Zweiter. Passend dazu erscheint eine Neuauflage seiner Autobiografie sowie eine neue Biografie von Peter Siebenmorgen - die auch Kritik an seiner Politik enthält sowie einen Einblick ins Private gewährt.

Von Katharina Hamberger | 31.08.2015
    Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber und Oberbürgermeister Erich Kiesl informieren sich nach dem Oktoberfest-Attentat über das Ausmaß der Katastrophe.
    Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber und Oberbürgermeister Erich Kiesl (von links) (dpa / picture alliance / Istvan Bajzat)
    "Wir reden hier über die großen Fragen der wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Probleme der Zukunft - und Sie spielen hier Mickey Maus."
    Franz Josef Strauß. Laut und ohne Maulkorb. Der CSU-Politiker, der vieles war, nur nicht Kanzler, was er aber gern geworden wäre:
    "Er wollte keine neutrale oder selbstkritische Analyse liefern", schreibt Hans-Jochen Vogel, einer der früheren politischen Gegenspieler Strauß' in seinem Vorwort zu den "Erinnerungen".
    Ein Anruf bei dem Sozialdemokraten in München. Mit 89 Jahren reist er nur noch selten. Die Erinnerungen geben aus seiner Sicht einen Einblick in Auseinandersetzungen, von denen viele der heute Lebenden kaum noch Kenntnis haben:
    "...und die Probleme, um die es dabei ging: die Westintegration, die Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik."
    Seine Erinnerungen beginnt Strauß mit seiner Kindheit, seiner Jugend und der Zeit des Dritten Reiches.
    "Gespräche über Politik gehörten bei uns zum Familienalltag".
    Katholisch, monarchistisch, antipreußisch – so beschreibt er die politische Stimmung im Elternhaus. Der Vater war bei der Bayerischen Volkspartei, über diejenigen, die außerhalb Bayerns wohnten, sagten die Eltern: "Woaßt, Bua, d'Franzosen san schlimm, aber no schlimmer san de Preißn". Woran Strauß nicht spart: zu zeigen, dass er durchaus mit Intelligenz gesegnet ist:
    "...und damit habe ich im Alter von neun Jahren versucht, als Autodidakt Latein zu lernen, was ein mühsames Unterfangen war."
    Ein ganzes Kapitel über die Kunst der politischen Rede
    Nach dem Zweiten Weltkrieg ist an der Gründung der CSU in Bayern beteiligt, wird Landrat in Schongau und wechselt auf die bundespolitische Bühne. Strauß versucht in seinen Memoiren chronologisch vorzugehen, springt aber oft in der Zeit - und setzt mitunter einiges an historischer Kenntnis beim Leser voraus. Seine Erinnerungen beschränken sich fast ausschließlich auf politische Ereignisse, wie er sie wahrgenommen hat und aus welcher Position heraus; als Parlamentarier, als Bundesminister für besondere Angelegenheiten, als Verteidigungsminister, Finanzminister und bayerischer Ministerpräsident. Es sind interessante Einblicke in das Denken und Handeln eines streitbaren Politikers. Was wäre jedoch ein Buch aus seiner Feder ohne seine rhetorischen Fähigkeiten.
    "Ich kann laut und temperamentvoll reden, aber ich denke sehr, sehr kühl..."
    Die Auseinandersetzungen mit SPD-Politiker Herbert Wehner – der in den Erinnerungen auch nur ab und an auftaucht – gelten als legendär:
    "sowohl Herrn Strauß und als all seinen Mitsträußen."
    "Im Parlament soll ja nach Meinung des Herrn Wehner mal farbig geredet werden. Sie tun es mehr laut als farbig. Aber ich rede jetzt auch farbig und laut."
    Ein ganzes Kapitel widmet Strauß der Kunst der politischen Rede. Was dabei und an vielen anderen Stellen herauszulesen ist: Sein Temperament - das auch Hans Jochen-Vogel lebhaft im Gedächtnis ist:
    "Darum habe ich ihn häufig mit einem Kraftwerk verglichen, das 100 MB Leistung erzeugt, aber nur Sicherungen für drei Stalllaternen hat."
    Manchmal ging sein Temperament auch durch mit ihm, wie bei der heimlich mitgeschnittenen Rede vor der Jungen Union Bayern in der Wienerwald-Hauptverwaltung in München 1976:
    "Die politischen Pygmäen von der CDU, diese Zwerge in Westentaschenformat. Diese Reclam-Ausgabe von Politikern. Und glauben's mir eines: Der Helmut Kohl wird nie Kanzler werden."
    Strauß' Erinnerungen sind so gewichtet, wie er es für richtig hält. So kommt zum Beispiel der der Wienerwald-Rede vorausgehende Kreuther Trennungsbeschluss 1976 nur am Rande vor. Dafür erhält der Leser Eindrücke von Gesprächen hinter den Kulissen - mit Breschnew, Honecker, Schalck-Golodkowski, Adenauer. Kritik an sich erwähnt Strauß ab und an - hält aber sofort dagegen. Es geht schließlich um sein politisches Erbe. Was nicht zu finden ist, weil Strauß es nicht schreiben wollte, es nicht für wichtig hielt oder schlicht nicht mehr dazu kam, ist in der jüngst erschienenen Biografie von Peter Siebenmorgen zu lesen. Zum Beispiel Strauß' Niedergeschlagenheit nach der gescheiterten Kanzlerkandidatur 1980:
    "Ohne zu wissen, wie tief der Fall am Ende sein wird, eines ist doch amtlich: Das Beste hat Strauß definitiv hinter sich."
    Strauß hingegen, dessen Selbstbewusstsein aus jeder Zeile tropft, lässt nur einmal seinen Frust durchblicken. Als die Union 1987 bei der Bundestagswahl nur 44,3 Prozent holt, schreibt er:
    "...also weniger als ich sieben Jahre zuvor als schlecht unterstützter Oppositionskandidat hatte."
    Nach seinem Tod wird er zum Mythos
    Was ebenso bei Strauß fehlt: Privates. Das findet sich bei Siebenmorgen. So stand diesem das Tagesbuch von Strauß' Frau Marianne zur Verfügung. Er zeichnet das Bild einer Ehe mit Höhen, aber auch vielen Tiefen. Marianne schreibt, oft sei Strauß betrunken nach Hause gekommen:
    "Um 1h [sic!] stockbesoffen."
    Auch vermutete Marianne eine Affäre:
    "Immer wieder treibt der Gedanke an Trennung Marianne Strauß um. Zeitweise erscheint ihr die Vertrauensgrundlage unwiderruflich zerstört".
    Siebenmorgen schreibt noch mehr, was Strauß am liebsten wohl nie veröffentlicht hätte sehen wollen: zum Beispiel den Verdacht, er hätte sich von großen deutschen Konzernen schmieren lassen. Viel Lärm um Nichts, hieß es vonseiten der CSU. Die CSU und Strauß - eine besondere Beziehung. Er ist untrennbar mit ihr verbunden – und sah das selbst auch so. In der dritten Person schreibt er über sich:
    "Strauß, der im öffentlichen Urteil als der große Polarisator erscheint, ist in Wirklichkeit – nicht nur was seine Partei angeht, aber vor allem für seine Partei – der große Integrator, der alle Strömungen und Flügel in sich zusammenfasst und Gegensätze zum Ausgleich zu bringen weiß."
    Einiges konnte Strauß nicht mehr aufschreiben. Zum Beispiel Details zur Spiegelaffäre. Am 3. Oktober 1988 stirbt er in Regensburg und wird zum Mythos. Eine Entwicklung, die er selbst vorangetrieben hat. Aber auch andere haben - vor allem nach seinem Tod - dafür gesorgt. Freund und Feind. Legenden halten Strauß am Leben. Das zeigt schon ein einziger Satz im Buch von Siebenmorgen:
    "Je größer das Grab, desto mehr Heuchelei passt hinein, und das Grab von Strauß ist wirklich riesengroß."
    Franz Josef Strauß: Die Erinnerungen. 720 Seiten, Pantheon Verlag, 18,99 Euro.
    Peter Siebenmorgen: Franz Josef Strauß. Ein Leben im Übermaß. Siedler Verlag, 768 Seiten, 29,99 Euro.