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Franz West im Centre Pompidou
"Ich bin wirklich der einzige normale Mensch, den ich kenne"

Er wollte Partizipation, lange bevor Teilhabe zum Prinzip wurde. Und holte die Kunst von ihrem Sockel, immer mit einer Portion Ironie. Eine Grenze zwischen Kunst und Leben gab es für ihn nicht. Das Centre Pompidou in Paris widmet dem 2012 gestorbenen Künstler nun eine große Retrospektive.

Von Jürgen König | 13.09.2018
    Das Kunstwerk 'Gekröse' (2011) des österreichischen Künstlers Franz West in der Ausstellung 'Art Unlimited' im Kontext der internationalen Kunstmesse und Kunstschau 'Art Basel', in Basel, Schweiz, am 12.06.2012.
    Das Kunstwerk 'Gekröse' des österreichischen Künstlers Franz West in der Ausstellung 'Art Unlimited' im Kontext der 'Art Basel', 2012 (dpa / Keystone / Georgios Kefalas)
    Er sei immer der Meinung gewesen, ideal wäre es, nichts zu tun und davon doch leben zu können – dieser Satz von Franz West eröffnet die Ausstellung, das Foto darunter zeigt den Künstler, wie er in Tageskleidung auf seinem Bett liegt und an die Decke schaut. Die meisten Besucher bleiben gleich stehen, lesen, schauen das Foto an – und so gut wie alle lassen Zustimmung erkennen: Ja, nichts zu tun und davon doch leben zu können – das sei wohl tatsächlich ein Ideal.
    Die aufkommende gute Laune wird mit "Hängebusen Ingrid" sofort bekräftigt: besagter Hängebusen besteht aus Pappe und Plastik, trägt die Aufschrift "Ingrid", mattrosa lackiert geht er in einen Bügel über und hängt an der Wand.
    Überbordend erscheinende Fülle von Exponaten
    Gleich zu Beginn der Ausstellung wird sehr augenfällig, was die Arbeiten des Franz West ausmacht: eine Grenze zwischen Kunst und Leben gibt es nicht, jedes Werk erweitert sich bin in die Wirklichkeit hinein. Diesen Grundgedanken führt die Ausstellung mit einer schier überbordend erscheinenden Fülle von Exponaten aus. Kuratorin Christine Macel:
    "Es ist ein sehr reiches, vielfältiges Werk und das nicht nur, weil es an die 6.000 Arbeiten von Franz West gibt. Da sind die vielen Papierarbeiten, dann die ganzen bewegbaren Skulpturen, die Passstücke, die Arbeiten aus Papiermaché, die Installationen schließlich, die Möbelskulpturen, die Freiluftskulpturen – also es ist alles sehr vielfältig und genau deshalb überhaupt nicht zu klassifizieren."
    Prinzip der partizipativen Kunst
    Von Anfang an folgte Franz West seiner Ästhetik und hielt an ihr fest: das Alltägliche und Banale kann zu Kunst werden, umgekehrt kann Kunst Teil des Lebens sein. Im Mittelpunkt dieser Ästhetik: die "Passstücke", von denen Franz West im Lauf seines Lebens mehr als 650 anfertigte – mehr oder weniger unförmige Klumpen aus Gips oder Papiermaché, weiß oder bemalt, mit einem großen, gebogenen Stahlhaken versehen, so dass man sie sich als Betrachter z.B. über die Schulter hängen kann: so wird der Körper des Ausstellungsbesuchers durch ein Kunstwerk erweitert. Dieses Prinzip partizipativer Kunst haben später viele übernommen, niemand hat es so konsequent mit Leben erfüllt wie Franz West. Clara Mure vom Centre Pompidou:
    "Ein Passstück – das ist ein Stück, das sich dem Körper anpasst. Die Idee ist, dass hier Kunst erst dann zur Kunst wird, wenn der Besucher aktiv ist. Für Franz West ist also, wie für so viele seiner Generation, die Kunst nicht autonom."
    Wer sich ein Passstück anlegt, bekommt dadurch eine Art Auswuchs, sieht plötzlich hässlich aus, missgestaltet – und das ist beabsichtigt, wollte doch Franz West mit seinen Passstücken: Neurosen sichtbar machen. Wenn derlei möglich wäre, sagte er einmal, dann sähen Neurosen ganz sicher aus wie seine Werke.
    Zyniker und Ironiker
    Oft arbeitete Franz West mit anderen Künstlern zusammen, etwa mit dem Filmemacher Bernhard Riff.
    Natürlich war er ein Zyniker und Ironiker, er kommt ja aus Wien, und Wien ist schon auch die Stadt des Zynismus und des Understatements. Und des Humors natürlich auch, ja, aber auch eben der scharfen Kritik, so wie… Karl Kraus.
    Bernhard Riff und Franz West waren Freunde, drehten gemeinsam viele Videos. Etwa eines über ihre Begegnungen mit anderen Künstlern, Autoren, Philosophen – man sieht Menschen, die miteinander reden, die gleichzeitig reden, die aufeinander einreden, man hört nicht, was sie sagen, sieht nur in ihre lebhaften Gesichter. Bernhard Riff:
    "Das sind Kurzportraits von Künstlern aus den frühen 90er-Jahren. Es kommt so ein Feeling raus aus dem Video, dass die Künstler untereinander noch sehr gute Kontakte haben, befreundet waren, sich ausgetauscht haben, unterwegs waren – und deshalb, glaub ich, wurde das Video auch ausgewählt, weil es noch eine Zeit zeigt, wo noch eine bestimmte Lebendigkeit da war, was ich am heutigen Kunstmarkt eher vermisse. Da macht jeder so für sich hin und schaut, dass er irgendwie durchkommt oder sehr gut durchkommt, aber es ist nicht mehr dieser Austausch da, hab ich den Eindruck."
    Ausstellung fängt die Leichtigkeit seiner Werke ein
    Videos, Pappmaché-Skulpturen aus Telefonbüchern, Passstücke, Gemälde, Zeichnungen, Möbel, ganze Zimmereinrichtungen, die zur Skulptur werden – noch nie wurde in einer Ausstellung so viel von Franz West gezeigt. Und ihr gelingt das Kunststück, seine Leichtigkeit einzufangen, seinen gewissen heiligen Unernst und damit das völlig Unpathetische seiner Kunst aufs Schönste erlebbar zu machen.
    Am Ende der Ausstellung steht wieder ein Satz von Franz West, den er eines Tages zu einem Freund sagte: "Weißt Du, ich bin wirklich der einzige normale Mensch, den ich kenne."