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Franziska Giffey, Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln
"Die AfD findet simple Antworten, aber nicht die richtigen"

Die Behauptung der AfD, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sei "lebensfremd", meint die Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, Franziska Giffey. Man könne nicht einfach sagen, die vielen Moscheevereine und Religionsgemeinschaften - "das existiert alles nicht", sagte sie im DLF. Aber die SPD-Politikerin fordert ein strikteres Vorgehen gegen Parallelgesellschaften.

Franziska Giffey im Gespräch mit Bettina Klein | 04.05.2016
    Die Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, Franziska Giffey (SPD).
    Die Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, Franziska Giffey (SPD) (picture alliance / dpa / Sophia Kembowski)
    Das vollständige Interview zum Nachlesen:
    Bettina Klein: Donald Trump, den haben wir gerade gehört. Er hatte ja auch mit Äußerungen über Muslime für Aufsehen gesorgt. Er wollte ihnen die Einreise verbieten, um zu verhindern, dass potenzielle Attentäter ins Land kommen. Dabei sind Muslime beziehungsweise Einwanderer aus islamischen Staaten in den USA besser integriert als andere Migrantengruppen und auch besser als in Deutschland. Und das Thema liegt auch hier in der Luft, wie man in den vergangenen Tagen beobachten konnte.
    "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." So steht es nun im Parteiprogramm der AfD, was insofern nicht stimmt, als der Islam in der Realität in Deutschland existiert und hier auch durch die Religionsfreiheit geschützt ist. Zum Beispiel in Kommunen wie dem Berliner Stadtteil Neukölln, wo Kommunalpolitiker auch immer wieder auf Konflikte und Probleme im Zusammenleben verschiedener Religionen und Kulturen aufmerksam gemacht haben, sich gleichwohl für ein gutes Miteinander einsetzen wollen. Die Bezirksbürgermeisterin von Neukölln heißt Franziska Giffey und gehört der SPD an, und sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Franziska Giffey: Ja, guten Morgen!
    Klein: Wie würden Sie die Stimmung in Neukölln im Augenblick beschreiben? Der Islam gehört nicht zu Deutschland - drückt das auch einen Wunsch oder eine Stimmung bei der Bevölkerung bei Ihnen aus?
    Giffey: Ich finde, diese Behauptung ist einfach lebensfremd. Wir haben in Neukölln alleine 21 Moscheevereine, 80 Religionsgemeinschaften insgesamt, und es gibt einen großen, großen Teil der Bevölkerung, der nun mal dieser Religionen angehört und für den diese Religionen auch lebensbestimmend ist. Und da kann man nicht sagen, das existiert alles nicht.
    Natürlich ist es so, dass es Menschen gibt, die Vorbehalte haben, die Ängste haben und die auch natürlich mit großer Sorge betrachten, was von islamistischer Gewalt in der Welt passiert. Aber alle, die der Religion angehören, unter einen Generalverdacht zu stellen und pauschal zu sagen, das gehört hier nicht her, das ist einfach kontraproduktiv auch für ein gutes Zusammenleben in einer Stadt, die nun mal vielfältig und offen auch sein will.
    Wunsch nach Ordnung und Sicherheit
    Klein: Inwieweit spüren Sie, dass das kontraproduktiv ist im Moment?
    Giffey: Na ja. In den Gesprächen mit Moscheevertretern beispielsweise gibt es immer wieder die Situation, dass sie, auch wenn sie sich für freiheitlich-demokratische Grundsätze einsetzen, immer unter diesem Generalverdacht stehen. Es passiert wieder etwas, sie müssen sich rechtfertigen, sie sind in dieser schwierigen Rolle, mitverantwortlich gemacht zu werden. Das ist die eine Seite.
    Das andere ist: Die Normalbevölkerung, sage ich mal, die nicht zur muslimischen Community gehört - die muslimische Community ist natürlich auch Normalbevölkerung, aber um das mal so ein bisschen aufzuteilen -, das sind Menschen, für die in vielen Fällen die Vielfältigkeit im Bezirk natürlich auch zum Leben dazugehört. Es gibt auf der anderen Seite einfach den großen Wunsch, dass wir in Ordnung und Sicherheit leben und dass sich alle an gleiche Regeln halten. Und problematisch wird es doch immer erst dann, wenn sich bestimmte Gruppen besonders auch aus Moscheen, die nicht für so eine freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten, wenn bestimmte Gruppen sich vom Grundgesetz entfernen und für andere Dinge eintreten.
    Klein: Haben Sie einen Überblick, auf wie viele Moscheen oder Gruppen das zutrifft in Ihrem Stadtbezirk?
    Giffey: Bei uns sind drei der 21 Moscheen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das heißt, das sind Orte, an denen man schon genau hinschauen muss, was passiert dort, und wo es auch aus meiner Sicht eine ganz klare Linie geben muss, hetzerischen und frauenfeindlichen und auch menschenfeindlichen Äußerungen entgegenzutreten. Wenn beispielsweise aus einer Moschee der Tod der Ungläubigen propagiert wird, oder auch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen mit Füßen getreten wird, dann muss da agiert werden. Das geht gar nicht!
    Klein: Muss agiert werden. Aber wird agiert und wie wird agiert?
    Giffey: Na ja. Wir sind da ein bisschen in einer schwierigen Lage. Wir haben ja bei uns im Bezirk die Aynur-Moschee, in der letztes Jahr ein Imam gepredigt hat, Ungläubige töten, Ungleichberechtigung von Mann und Frau, Rechte der Frauen sind vollkommen anders als von Männern, und wir haben dann als Bezirksamt und auch aus dem Bezirksparlament einen Antrag auf Verbot dieses Vereins an den Senat gerichtet. Der Senat prüft immer noch und das ist natürlich etwas, was ich nicht unbedingt mit einer konsequenten Reaktion gleichsetzen würde.
    Klein: Sie wünschen sich da eine konsequentere Reaktion, heißt das?
    Giffey: Absolut! Und auch eine schnellere Reaktion.
    Schnelle Reaktionen aus dem Berliner Senat nötig
    Klein: Was glauben Sie ist der Hintergrund dafür, dass das in solchen konkreten Fragen dann Ihrer Meinung nach nicht zufriedenstellend läuft?
    Giffey: Na ja, es ist natürlich immer der Grat zwischen einerseits der Religionsfreiheit und der freien Entfaltung von Menschen in ihrer Religion und auf der anderen Seite aber der Abwägung zu anderen schutzwürdigen Interessen. Natürlich ist ein Verbot eines Vereins eine sehr hohe Schwelle, aber dennoch gibt es ja vielleicht auch Zwischenwege, die man gehen kann. Und ich denke einfach, es muss bei solchen Dingen eine ganz klare Reaktion geben vonseiten derjenigen, die täglich im Kontakt sind, aber auch wirklich von den Ordnungsbehörden, die hinschauen, die sagen, das geht nicht.
    Es muss Gespräche geben und es muss auch ganz klare entgegengesetzte Grundaussagen geben, die sagen, wir wollen hier eine offene, weltoffene Stadt, ja, aber wir wollen nicht, dass die Regeln, die für alle gelten, die Ordnung und Sicherheit und Gerechtigkeit in diesem Land garantieren, und Gleichbehandlung, dass die in irgendeiner Weise beschädigt werden. Das muss immer wieder klar gemacht werden.
    Klein: Um einen konkreten Fall noch mal zu erfragen. Wir haben hier gestern auch in der Redaktion darüber diskutiert, in welchen Städten Deutschlands rufen eigentlich Muezzine nach draußen, sind hörbar für alle anderen? Denn auch das hat die AfD ja thematisiert und will das eigentlich nicht. Es gibt eine Reihe von Städten, in anderen wie wohl auch in Berlin, wie ich jetzt gelernt habe, ist das nicht erlaubt, sondern man darf nur nach innen rufen. Ist das ein Zugeständnis an die nichtmuslimische Bevölkerung ringsum, das Sie da gemacht haben?
    Giffey: Es geht ja letztendlich immer darum, wie kriegt man ein friedliches Zusammenleben hin. Und generell geht es darum, wie werden andere belästigt oder nicht. Ich denke, dass es gut ist, wenn man gegenseitig aufeinander Rücksicht nimmt, und dazu gehört das dann vielleicht auch. Und was ich erlebe ist: Es gibt ja sehr viele Muslime, die genauso betroffen sind von diesen Vorbehalten, von diesen radikalen Tendenzen und Anschlägen, und die auch wollen, dass das nicht so ist, die sich einsetzen, die auch sagen, wir müssen Vorbilder fördern, wir wollen den Aufstieg fördern und so weiter. Aber es geht darum, dass wir gemeinsam diejenigen, die für einen freiheitlichen Staat kämpfen, auch mit den Moscheevereinen, mit den Muslimen zusammenarbeiten, die das genauso wollen, gegen die wenigen, die sagen, das ist nicht unser Ziel.
    AfD bietet keine Lösungen an
    Klein: Frau Giffey, Sie und auch Ihr Vorgänger im Amt, der Bürgermeister Heinz Buschkowsky, haben immer wieder auch auf Konflikte und Probleme hingewiesen und haben auch beklagt, dass Politiker oder auch die sogenannten etablierten Parteien zu lange da weggeschaut und das unter den Tisch gekehrt haben. Sind all diese Probleme, über die wir vor einigen Jahren ja auch ausführlich diskutiert haben, lange bevor es die AfD gab, sind die jetzt eigentlich alle überwunden, oder wo, sagen Sie, wird immer noch zu wenig Augenmerk gerichtet auf potenzielle Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen in diesen Stadtbezirken?
    Giffey: Ich glaube überhaupt nicht, dass die Probleme überwunden sind. Wir haben die Parallelgesellschaften. Wir haben Menschen, die sich in ihrer Community einrichten und ganz wenig zu tun haben. Wir haben Leute, die seit 30 Jahren hier sind und kein Deutsch können und die sich eingerichtet haben.
    Klein: Daran ändert sich nach wie vor nichts?
    Giffey: Na ja. Wir haben einige wie gesagt, die schaffen den Aufstieg. Sie schaffen den Weg da raus. Wir versuchen das ja auch mit allen Mitteln zu unterstützen. Aber es gibt nach wie vor die Gruppen, die für sich leben und nach ihren eigenen Regeln auch leben, und da muss man genau hinsehen. Und das ist ja auch das, wenn man sagt, was haben die etablierten Parteien da gemacht. Das geht immer darum, dass man diese Dinge benennt und dass man auch die Sorgen und Ängste, die in der Bevölkerung ja da sind, ernst nimmt und vor allen Dingen darauf Antworten findet. Die AfD findet sehr, sehr simple Antworten, aber die findet nicht die richtigen Antworten auf die komplexen Fragen, die da sind.
    Klein: Aber die etablierten Parteien, um da kurz einzuhaken, Frau Giffey, Ihre Partei, die SPD, oder die CDU finden ja aber dann auch offenbar nicht die richtigen Antworten. Sonst würden diese Probleme ja nicht mehr bestehen.
    Giffey: Na ja. Wissen Sie, ich sehe das mal so: Wenn wir in den vergangenen Jahren nicht so viel in Bildung investiert hätten, in Ganztagsschule, in frühkindliche Bildung, in Elternarbeit, in Schulsozialarbeit, die Antworten sind alle da. Aber das Problem ist, dass wir an vielen Stellen einfach viel mehr Personal und finanzielle Ressourcen auf der lokalen Ebene vor Ort bräuchten, um das umzusetzen. Und wenn Sie sich mal ansehen, was nötig ist, dann fängt das ganz, ganz früh an bei der frühkindlichen Bildung, bei den kleinen Kindern, bei der Sorge um bildungsferne Familien und bei der Frage, wie schaffen wir das, wirklich Demokratie, Toleranz und Respekterziehung in der Schule hinzubekommen.
    Gute Ganztagsschulen, gute Schulsozialarbeit, gute Elternarbeit ...
    Und das geht nur, wenn Sie die Leute haben, die es machen. Das geht aus meiner Sicht nur, wenn Sie eine gute Ganztagsschule haben, gute Schulsozialarbeit, gute Elternarbeit, Volkshochschulkurse, Deutschkurse, Alphabetisierung und Grundbildung. Das sind die Antworten, die wir brauchen. Eigentlich geht es immer wieder um Bildung, Bildung, Bildung für ein freiheitlich-demokratisches Land. Die Antworten sind alle da und es braucht vor Ort genügend finanzielle und personelle Ressourcen, um das umzusetzen, und dann kann das auch gelingen.
    Klein: Der Appell von Franziska Giffey - sie ist die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln und gehört der SPD an - zur Diskussion um den Islam in Deutschland. Frau Giffey, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen bei uns und Ihre Zeit.
    Giffey: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.