Franziska zu Reventlow

"Alles möchte ich haben und alle umschlingen"

Portrait der Schriftstellerin und Malerin Franziska zu Reventlow (1871−1918), aufgenommen um 1905 in München
Portrait der Schriftstellerin und Malerin Franziska zu Reventlow (1871−1918), aufgenommen um 1905 in München © dpa / picture alliance / IBA-ARCHIV
Von Ulrich Zwack · 25.07.2018
Sie war bekannt für ihre Unabhängigkeit und ihr freizügiges Denken. Franziska Gräfin zu Reventlow schrieb für Zeitschriften wie den "Simplicissimus" und stand im Mittelpunkt der Münchner Bohème um 1900. Vor 100 Jahren starb die Schriftstellerin nach einem Fahrradunfall.
Franziska Gräfin zu Reventlow ist von klein auf ein echter Wildfang, was ihre Eltern schier zur Verzweiflung treibt. Denn der preußische Landrat Ludwig Graf zu Reventlow und seine Gattin Emilie achten strikt auf Etikette. Sie wird 1871 in Husum geboren und eigentlich auf den Namen Fanny getauft, aber den kann sie nicht gut leiden. Darum nennt sie sich ab 1893 Franziska.
Als der Vater in Ruhestand geht, zieht die achtköpfige Familie nach Lübeck um. Fanny würde gern Kunstmalerin werden. Aber das erlauben die Eltern nicht. Also lässt sie sich zur Lehrerin für mittlere und höhere Mädchenschulen ausbilden. Doch auch das ist dem Herrn Papa nicht recht. Da entflieht sie der Strenge und Enge des Elternhauses zu einer Freundin nach Hamburg und verlobt sich mit einem Juristen. Er finanziert ihr ein Studium an der Privat-Akademie des Oberkrainer Kunstmalers Anton Ažbe in München.

Maler, Käuze und Müßiggänger

München ist um die Jahrhundertwende neben Paris die bedeutendste Kunstmetropole Europas. Vor allem im Stadtteil Schwabing und der damit oft gleichgesetzten Maxvorstadt haust die berühmt-berüchtigte Münchner Bohème: eine internationale Clique bedeutender Maler, Literaten, komischer Käuze und notorischer Müßiggänger.
Franziska zu Reventlow kennt sie bald alle. Manchmal freundschaftlich, oft intim. Sie freundet sich mit Rainer Maria Rilke und Frank Wedekind an, mit Karl Wolfskehl, Ludwig Klages, Stefan George. Und wie der Schwabinger Kulturwissenschaftler Klaus Hübner erklärt, gehören zu ihrem Bekanntenkreis:
"Auch Maler, die dem Blauen Reiter oder dem Umfeld zugerechnet werden. Das hat sich ja damals alles in Künstlerkneipen wie Stefanie oder Café Glasl ständig getroffen. Auch natürlich Toller und Mühsam. Es gibt wenige, die die Gräfin, wie sie genannt wurde, zu dieser Zeit nicht kannten."
Bald gilt die Gräfin als Schwabings Muse. Nicht nur in geistiger Hinsicht:
"Sie hat ja unter ihrem Begriff von Freiheit immer auch erotische Freiheit verstanden. Klar, das hat viele Männer angesprochen. Gerade in diesen wilhelminisch prüden Zeiten. Insofern, wenn man Muse versteht als 'Anregerin', ist es kein Wunder."

Von Mann zu Mann in "Wahnmoching"

Franziska zu Reventlow flattert in Schwabing, beziehungsweise Wahnmoching, wie sie es nennt, von Mann zu Mann. Bezahlt dafür mit einer geschiedenen Ehe und vielen gescheiterten Beziehungen. Mit Fehlgeburten. Mit bitterer Armut, der sie durch Übersetzungen aus dem Französischen zu entrinnen versucht. Oder als Autorin für verschiedene Zeitschriften wie den "Simplicissimus".
Sie verdingt sich als Schauspielerin, Glasmalerin, Verkäuferin und Küchengehilfin, ja gar als Gelegenheitsprostituierte. Sie scheint mit allen Wassern gewaschen, aber auch seltsam naiv. So schwärmt sie von den ausschweifenden Münchner Künstler-Faschingsfesten:
"Himmlisch! Gefühl, als ob ein Sturm oder eine Lawine käme. Alles möchte ich haben und alle umschlingen. Alles voll von Erinnerungen an diese Taumeltage. Fasching! Himmlisch! Himmlisch! Himmlisch!"
Ein historisches Foto von Fanny zu Reventlow
Fanny Gräfin zu Reventlow, München, um 1893© DLA-Marbach, www.dla-marbach.de
Doch das Leben selbst ist nicht himmlisch, sondern gnadenlos. Franziska zu Reventlow muss unzählige Male umziehen, weil sie die Miete nicht bezahlen kann. 1897 schenkt sie einem unehelichen Sohn das Leben. Und der heißgeliebte Rolf, alias Bubi, alias das Göttertier, verleiht ihrem chaotischen Leben Sinn und Struktur. Nur selten bricht sie unter der Dreifachbelastung von Bohème-Hetären-Dasein, alleinerziehender Mutterschaft und Gelderwerbszwängen schier zusammen:
"19. Juni. Halbtot. Vormittags mit Eis im Bett. Appetitlos, müde, leidend. Nachmittags eine Geschichte übersetzt. Mit Bubi gespielt."

Ein zweites Schwabing am Lago Maggiore

1910 verlässt sie München für immer und zieht nach Ascona. Dort ist am Ufer des Lago Maggiore in Gestalt der Künstlerkolonie Monte Verità eine Art zweites Schwabing entstanden. Hier schreibt sie mehrere, inzwischen weitgehend in Vergessenheit geratene Romane über Schwabing und andere Verrücktheiten der damaligen Welt.
Am 25. Juli 1918 ist die Gräfin mit dem Fahrrad unterwegs. Sie ist jetzt 47 Jahre alt und immer noch eine bildhübsche Frau. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit. Sie stürzt. Verletzt sich schwer. Wird ins Spital gebracht und sofort operiert. Aber sie stirbt noch in derselben Nacht an Herzversagen.
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