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Französische Mittelschicht schnallt Gürtel immer enger

Laut einer Umfrage fürchten mittlerweile über 50 Prozent der Franzosen, dass ihre Kaufkraft sinken werde. Das sind 17 Prozentpunkte mehr "Pessimisten" als bei der letzten Befragung. Auch die Stimmung in Provins, knapp 80 Kilometer südöstlich von Paris gelegen, ist schlecht.

Von Suzanne Krause | 28.09.2012
    Eine historische Halle im überaltert wirkenden Zentrum von Provins dient als Wochenmarkt. Ein sportlich wirkender Mittsechziger kommt heraus, mit leeren Händen.

    "Ich habe mein Leben lang immer etwas zurückgelegt, denn als Handwerker bekommt man nur wenig Rente. Früher sagte ich mir, wenn ich erst in Rente bin, dann kann ich richtig vom Leben profitieren. Nun aber wird das Geld immer weniger. Einen Restaurantbesuch kann ich mir kaum noch leisten, auch kulturelle Aktivitäten sind immer weniger drin. Und voraussichtlich wird dies alles noch schlimmer. Wir haben schon mitbekommen, dass es wirtschaftlich voll gegen die Wand geht."

    In Provins ist der Gürtel sowieso schon eng geschnallt: Die wenigen traditionellen Industriebetriebe befinden sich im Niedergang. Die Kleinstadt lebt hauptsächlich vom Tourismus. Das mittelalterliche Zentrum steht auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes.
    In der Markthalle gibt es an einem knappen Dutzend Stände Obst und Gemüse, Fisch, Backwaren, Käse und Wurst. Nur wenige Kunden sind unterwegs, zumeist Rentner. Wie die Dame am Fleischstand "Zum Kalbskopf". Ein kleines Stück Rindfleisch ordert sie und ein bisschen Blutwurst. Typisch, sagt Verkäufer Alain:

    "Die Leute haben kein Geld mehr, das spüren wir tagtäglich. Sie kaufen nur noch Kleinkram. Langsam fange ich an, mir Sorgen um meinen Job zu machen. Seit sechs Jahren arbeite ich schon hier und nun hoffe ich, dass mein Chef mich auch weiterhin bezahlen kann."
    Eine Mittdreißigerin kommt heran, im Kinderwagen zwei Babys, an der Hand ein kleines Mädchen.

    "Auch ich schnalle den Gürtel immer enger. Ich habe drei Kinder und inzwischen flicke ich ihre Anziehsachen, statt neue Kleidung zu kaufen. Früher sind wir immer im Winter in Urlaub gefahren, daraus wird dieses Jahr nichts. Ich versuche, über all das gar nicht nachzudenken. Wir leben einfach von Tag zu Tag."

    So geht es immer mehr Familien aus der französischen Mittelschicht, besagt die gerade veröffentlichte Studie einer Werbeagentur. Sparen war schon bei der vergangenen Erhebung, vor vier Jahren, angesagt. Mittlerweile aber ist den Familien klar: Die Konsumbeschränkungen werden dauerhaft sein.

    In der Markthalle steht nur vor dem Gemüsestand eine kleine Schlange an. Verkäufer Richard reicht Kartoffeln herüber, Salat, Lauch – Basisprodukte, die noch günstig sind.

    "Mein Marktjob hier ist eigentlich ein Nebenverdienst. Ich bin festangestellter Ausbilder im Agrarbereich. Und mit dem Geld vom Markt wollte ich mir ursprünglich ein paar Extras wie Essengehen und so finanzieren. Mittlerweile stelle ich fest: Ohne den Verkäuferjob kann ich meine alltäglichen Rechnungen nicht mehr bezahlen. Ich bin verheiratet, auch meine Frau arbeitet und wir haben eine Tochter. Ein zweites Kind ist aus finanziellen Gründen derzeit nicht drin."

    Richard arbeitet sechs Tage in der Woche. Notgedrungen. Aber glücklich ist er, überhaupt finanziell über die Runden zu kommen.