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Französische Sozialisten
Mehr Respekt von Merkel verlangt

Die Linke bei den regierenden Sozialisten in Frankreich hadert mit der Regierung. Die traditionelle Sommeruniversität der Partei bietet viel Raum für Diskussionen und Kritik, auch an der deutschen Politik und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Von Ursula Welter | 30.08.2014
    Der frühere französische Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg (L) bekam auf der Sommeruniversität der Sozialisten in La Rochelle auch Applaus von Finanzminister Michel Sapin.
    Mehr als 4.000 Sozialisten aus dem ganzen Land sind gekommen:
    Die traditionelle Sommeruniversität in La Rochelle ist kein klassischer Parteitag, hier werden keine Statuten verabschiedet, es wird diskutiert und diesmal gestritten, wie lange nicht mehr.
    "Wie kann sich der linke Flügel mit seinen Ideen Gehör verschaffen?" Noé, ein Jungsozialist, sieht sich enttäuscht vom aktuellen Kurs der Führung in Paris.
    "Das ist eindeutig sozialliberal, was die Regierung macht", pflicht Vincent bei, ebenfalls 21 Jahre jung und nicht zum ersten mal dabei in La Rochelle. Nur diesmal ist alles anders. Vor wenigen Tagen ist die gesamte Regierung zurückgetreten, sind die Minister vom äußeren, linken Flügel herausgedrängt worden, hat der Premierminister die internen Kritiker kaltgestellt, einen ehemaligen Banker zum Wirtschaftsminister gemacht und bei der Sommerakademie des Arbeitgeberverbandes gesagt, Frankreich brauche seine Unternehmer.
    "Moi, j’aime l’entreprise"
    Die Liebeserklärung des Premiers an die Arbeitgeber empfindet ein Teil der Partei als Zumutung, als Verrat. Mindestens 40, vielleicht doppelt so viele Abgeordnete drohen in den anstehenden Haushaltsberatungen mit Boykott. Am Vorabend des Parteitreffens hatten zwar 200 Unterstützer der Reformpolitik des Präsidenten einen Aufruf veröffentlicht, die Kritiker aber sind lauter und womöglich zahlreicher. Für den zweiten Tag des Kongresses musste die Gruppierung "Es lebe Die Linke" einen größeren Saal buchen, jenseits des Hafenbeckens, auf der anderen Seite des eigentlichen Veranstaltungsortes.
    In der angespannten Stimmung reagierte das Parteivolk nahezu befreit, als ein Überraschungsgast dem Auftakt des Kongresses beiwohnte, Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments.
    Der neue Parteichef der Sozialisten, Jean-Christophe Cambadelis, nutzte die Gelegenheit, die deutschen Sozialdemokraten zu loben, die SPD reiche Frankreich die Hand, während Angela Merkel stets maßregele.
    "Wir machen Anstrengungen, um uns zu reformieren, wir sind eine große Nation, wir sind kein Bundesland", verlangte der Parteichef mehr Respekt von der Kanzlerin.
    Frankreichs Sozialisten sind nicht zuletzt verärgert, weil der konservative Teil der Bundesregierung die Kandidatur des Franzosen Moscovici für den Posten des EU-Wirtschafts- und Währungskommissars öffentlich infrage stellt. Infrage stellt, weil Frankreich seine Schuldenziele nicht einhält, und auf europäischer Ebene "mehr Flexibilität beim Schuldenabbau" fordert.
    Mehr Zeit für die Erreichung des Defizitziels, diesen Beschluss will Francois Hollande den Partnern beim EU-Gipfel abringen.
    Beim Parteitreffen in La Rochelle tauschen sich derweil Abweichler und Anhänger der Regierungslinie aus. Ein älterer Delegierter aus Poitiers rät zur Gelassenheit. Seine Landsleute, meint er in der sonnigen Atmosphäre der Atlantikküste, würden es natürlich lieber hören, wenn der Mindestlohn, die Renten, erhöht, die Ferien verlängert würden. "Den Gürtel enger schnallen", das müssen wir erst lernen, meint er.