Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Frauen im Christentum
Bis heute benachteiligt

Obwohl Jesus Männer und Frauen als gleichberechtigt ansah und auch so behandelte, bleiben viele Aufgaben und Ämter im Christentum bis heute Männern vorbehalten. Wie es zu den unterschiedlichen Entwicklungen bei Katholiken, Protestanten und anderen Konfessionen kam, erklärt ein neues Buch.

Von Christiane Florin | 29.09.2014
    Die Autorin Beatrice von Weizsäcker, aufgenommen auf der Frankfurter Buchmesse 2012
    Die Autorin Beatrice von Weizsäcker, aufgenommen auf der Frankfurter Buchmesse 2012 (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Beatrice von Weizsäcker hat ein herzerfrischendes Buch geschrieben. Unbelastet von theologischem Sperrgepäck geht sie der Frage nach, was das Christentum Frauen zu bieten hat und was sich Frauen von den Kirchen so alles bieten lassen. "Jesus Maria" heißt der Titel, und der klingt halb nach Traumpaar und halb nach Seufzermotiv. Die Autorin fragt sich:
    "Taugt Jesus als Vorbild? Kann er als Mann auch mir, einer Frau, eine Quelle der Inspiration sein? Was von dem, was Jesus gesagt hat, wie er gelebt hat, ist für uns Frauen bedeutsam? Bedeutsamer vielleicht als für Männer? Der Blick auf sein Leben, auf das, was er verkündete und tat, ist Frauen oft näher als Männern. Leidensfähigkeit, Mitleiden, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Dienst am Menschen. All das ist eher typisch für Frauen als für Männer. Dass Jesus das lebte, macht ihn mir sympathisch."
    Jesus kommt als guter Typ rüber, nicht nur, aber auch für Frauen. Beatrice von Weizsäcker ist Mitglied der evangelischen Kirche, sie engagiert sich unter anderem beim evangelischen Kirchentag. Sie glaubt jedoch nicht alles, was ihre Kirche über diesen Jesus erzählt. Sie bekennt:
    "Ich glaube, dass es Jesus gegeben hat. Doch bei aller Überzeugung, eines will mir partout nicht gelingen: an Jesus als leibhaftigen Gottessohn zu glauben."
    Auch feministische Ideen von Gott als Frau und Jesus als Gottestochter können sie nicht überzeugen:
    "Jesus war ein Mann. Wer Schwierigkeiten damit hat, der kann von Jesus als Mensch reden. Für mich ist die Sache einerlei. Jesus ist eine Figur der Geschichte, die Vorbildliches geleistet hat. Für mich ist entscheidend, dass Jesus beide Teile in sich trug und lebte – tatsächlich wie ein androgyner Mensch, obwohl ich ihn so nicht nennen würde."
    Ihre Ausführungen zum Verhältnis von Gott und Jesus mögen Theologen als naiv belächeln. Aber die Mehrheit der registrierten Christen besteht nun einmal nicht aus Schriftgelehrten, sondern aus Menschen wie Beatrice von Weizsäcker: Sie glauben an Gott oder wenigstens an ein höheres Wesen, sie sehen in Jesus den Experten fürs gute Zusammenleben, die Institution Kirche betrachten sie distanziert, aber nicht gleichgültig. Es sind Christen, die das kirchliche Glaubensbekenntnis nicht aus voller Brust von Anfang bis Ende mitsprechen können. Sie machen sich selbst ein Bild von Jesus und Gott - und reagieren irritiert, wenn die Kirchen sie mit Vorgefertigtem abservieren. Es sind kritische Religionsverbraucher wie Beatrice von Weizsäcker, die Hierarchen heute zum Seufzen bringen. Den kritischen Verbraucherinnen hat die Bibel mehr zu bieten als unscheinbare Rücken-Freihalte-Frauen. Von Weizsäcker durchforstet das Alte und das Neue Testament nach unterschiedlichen 'Role Models', sie findet Rebellinnen und Demütige, In-Sich-Ruhende und Rastlose. Vor allem aber schaut sie sich an, wie Jesus selbst Frauen behandelte. Verzückt registriert sie:
    "Das eigentlich Sensationelle an den Frauen im Neuen Testament war Jesus selbst; seine Art, mit Frauen umzugehen. Entgegen den damaligen Gepflogenheiten machte er keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, egal, worum es ging."
    Viel Kritik an der katholischen Kirche und wenig hilfreiche Reformvorschläge
    In der zweiten Hälfte des Buches nimmt von Weizsäcker die Kirchen in den Blick, vor allem die katholische Kirche macht der Protestantin Sorgen. Auch da kann sie sich einer breiten Zustimmung gewiss sein. Zwar verzeichnet die evangelische Kirche einen ebenso anhaltenden Mitgliederschwund, öffentliche Tipps bekommt aber fast nur die katholische Schwester. Von Weizsäcker schreibt:
    "Noch nie hat mir ein katholischer Theologe erklären können, warum die Strukturen so sind, wie sie sind, und vor allem: so bleiben müssen, wie sie sind. Würde die Kirche tatsächlich Jesus folgen, wäre die Frage, ob Mann oder Frau, kaum noch von Bedeutung. So aber muss sich vor allem die katholische Kirche immer wieder Vorwürfe gefallen lassen, die letztlich ihren Grund in der Männlichkeit haben."
    Von Weizsäcker schreibt, als sei sie mit Gott und Jesus im ständigen Gespräch, sie weiß: Jesus hätte Homosexuelle niemals zu Sündern erklärt und Gott hätte wieder verheirateten Geschiedenen seine Treue nie aufgekündigt. Die Kapitel über Familienbilder, Sexualmoral und Zölibat sind allerdings so klischeehaft geraten, dass katholische Kirchenmänner müde abwinken werden mit der Begründung, dasselbe schon 100.000 Mal in den letzten 50 Jahren gelesen zu haben. Auch der Rat, die katholische Kirche müsse protestantischer werden, ist wenig brauchbar. Wer als Katholik Reformen will, bekommt ohnehin ständig den Tipp "Geh doch rüber zu den Protestanten."
    Beatrice von Weizsäcker ist Juristin. Da könnte man ein paar tiefergehende Überlegungen zum Verhältnis von Norm und Leben, Mehrheit und Wahrheit erwarten. Jüngst förderte eine Umfrage des Vatikans zutage, was ohnehin jeder wusste. Demnach spielt die katholische Sexualmoral für das Triebleben der allermeisten Katholiken keine Rolle mehr. Sind Normen falsch, weil eine Mehrheit sich nicht daran hält? Beatrix von Weizsäcker weicht dieser Frage aus. Ihre Zustandsbeschreibung der Institution katholische Kirche ist jedoch treffend:
    "Auch wenn das Ergebnis der Umfrage wenig überraschend gewesen sein mag: Eine Erfahrung war neu. Ging es in der Kirchengeschichte bislang stets um horizontale Trennungen, die zur Abspaltung und Neugründung einer Kirche führten, verläuft die jetzige Trennung vertikal: Die Kirche zerlegt sich von oben nach unten wie von unten nach oben."
    Gerade weil sie auf theologische Tiefenbohrungen verzichtet, zeigt von Weizsäcker, wie tief die Krise des Glaubens und der Institution ist. Die Kirchen schaffen es nicht, Gott zu den Menschen zu bringen. Das erscheint am Ende der Lektüre als das eigentliche Systemversagen. Selbstbewusst schlägt die Autorin vor, Gott vor den Kirchen zu retten:
    "Auf den direkten Weg zu Gott kommt es an und nicht auf den Umweg über die Kirchen. Das ist nicht ganz leicht, aber nur so können die Kirchen glaubhaft bestehen, auf sich aufmerksam machen und für sich werben."
    Von Weizsäckers breites Themenspektrum passt in die Diskussion um die aktuellen Reformbemühungen von Papst Franziskus. Doch bei allem kirchenpolitischen Eifer hat die Protestantin ein frommes Buch geschrieben. Es fällt ihr leicht, ein persönliches Glaubenszeugnis abzulegen und sich angreifbar zu machen. Das ist ihre wahre Stärke, und es wäre ein Zeichen von Schwäche, diesen Band mit dem Gestus klerikaler Unangreifbarkeit beiseite zu legen.
    Beatrice von Weizsäcker: "Jesus Maria. Christentum für Frauen." Piper Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro.