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Frauen im Team

Die Autorin Theresia Walser ist eine der produktivsten jungen Dramatikerinnen Deutschlands. Am Bayerischen Staatsschauspiel München wird nun ihr Stück "Die Liste der letzten Dinge" aufgeführt. Das klingt gut, das klingt ultimativ. Letzte Dinge können Zahnbürsten sein, das Letzte vom Tage, aber auch Jenseitsvorstellungen. Pia und Helen jedenfalls, wollen zum Abschluss bringen, was sie anfangen, Frauen halt. Dass das natürlich nicht gelingt macht das Drama aus.

Von Cornelie Ueding | 08.07.2006
    Ein ambitioniertes Projekt: Uraufführung in einer weißen Rauminstallation von Pia Janssen. Die Sitzflächen der Zuschauerpodeste sind, wie die der kleineren Spielpodeste, große weiße, von unten durchleuchtbare Plastikbausteine. Doch natürlich ist die kühle Klarheit trügerisch: die Kunstberge und die in weißglänzende Plastiküberzüge gezwängten Heuballen dieser künstlichen Ausflugslandschaft, die laut Stücktext inmitten von ebenso idyllisierten wie Gefahren verbergenden Feldern liegt, wirken in Schirin Khodadadians Bewegungsregie vor allem als Stolpersteine und Störfelder für zwei ungleiche Frauen.

    Die eine, Helen, öffnet den mit knatschbunten Klamotten vollgestopften Koffer ihrer Erinnerungen, neigt zu hysterischen Anfällen und stöckelt, trippelt und flattert grell und aufgeregt daher, die andere, Pia, ist mehr bodenständig, rustikal und grünbraun geringelt mit Rucksack. Beide breiten nun knappe anderthalb Stunden lang ihre Plastikgefühle und ihre holprige Beziehung aus. "Verschwitzte Anhänglichkeit", "Abfindungsgefräßigkeit", "Verneinungsmaschine", "Menschlichkeitsverordnung" – zugegeben, ein paar amüsante sprachliche Wendungen plätschern von Zeit zu Zeit durch die umherschweifenden Dialoge.

    Dazu werden dem in Haßliebe verbundenen Duo jede Menge relativ witziger Aphorismen in den Mund gelegt: "der Mensch, ein Faß ohne Boden", ein anderer, der wirkt, als hätte man ihn "auf einer Butterfahrt ausgesetzt". Doch diese sprachlichen Lichtblicke sind beinahe schon das einzig Originelle an diesem Theaterabend der routinierten Angestrengtheit und halbherzigen Gefühle.

    Zwar beschreibt das Programmheft das ganze Stück als theatralisches "Irrlichtgeflacker" voll funkelnder Dialoge, bestückt mit identitätssplitternden Konjekturen und doppeltem Boden – aber was dann tatsächlich über die Bühne irrlichtert, ist alles andere als verwirrend, irritierend, funkelnd oder gar brillant – sondern eher klischeehaft eindimensional. Zudem epigonal, aus zweiter Hand und, man muss es aussprechen: an der Grenze zum Plagiat.

    Denn die Grundstruktur des Ganzen, von den Personen bis hin zum eigenartigen Duktus der Rede aus der dritten Person – schmeckt nun so eindeutig nach Werner Schwabs "Präsidentinnen", dass man zunächst denkt, man säße in einem Stück, das vielleicht als eine Art Hommage an den 1994 verstorbenen Dramatiker gedacht ist.
    Ähnlich wie in Schwabs erst mit Verspätung erfolgreichem Bühnenerstling handelt es sich bei Theresia Walsers "Liste der letzten Dinge" um ein ironisch abgründiges Psychodram zwischen drei Frauen, die Aggressionen, Frust, Ressentiments und Zuneigung zueinander radikal ausagieren. Und das für eine von ihnen tödlich endet. Angereichert wird das im Fall des Walser-Stücks durch eine aufgesetzt wirkende – durch die Art der Figuren und, was erschwerend hinzukommt: die Sprach- und Personenregie der Uraufführung in keiner Weise gedeckte – religiös-hysterische Ebene.

    Von einer gewaltigen Sehnsucht nach Schuld, Sühne, Erlösung, Bestrafung und Inquisition getrieben sollen sie sein, die etwas urwüchsig-gnomhafte Pia und die exaltiert wedelnde Helen – was man keiner auch nur im Ansatz abnehmen kann. Das alles ausgelagert in eine - an Ibsens späte Stücke angelehnte – Natur-Bergszenerie, wo die beiden offenbar vorhaben, ihre Selbstverbrennung als Fanal zu inszenieren. Die Welt von sich zu erlösen, sozusagen. Nun, dazu muss es gar nicht mehr kommen, findet sich doch kurz vor Schluss ein externes drittes Wesen, halb Sündenbock, halb Supermarktaushilfe, aber auch eine professionell neutrale Fernseh-Moderatorin oder eine Art Jesus könnte sie sein – auf die sich die gesamten emotionalen Energien des schwesterlich zeternden Duos spontan verlagern.

    Diese Dritte wird am Ende, fast en passant, im Koffer unter Tüllröcken erstickt, Handtasche obendrauf, ein gruppendynamischer Betriebsunfall. Die medial geschürten Erwartungen jedenfalls konnte diese outrierte Inszenierung nicht erfüllen. Dazu wäre es nötig gewesen, dem an sich schon nicht ganz unproblematischen Text eine zusätzliche Dimension zu verleihen.