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Frauen in der Politik
Ex-Familienministerin: Frauen hatten weniger Gelegenheiten, Fehler zu machen

Als die spätere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) 1980 in den Bundestag kam, war sie eine von sehr wenigen Frauen. Seitdem hat sie gegen Geschlechterklischees angekämpft. Nicht nur Politikerinnen, sondern auch Politiker sollten Emotionen zeigen, sonst könne man keine Politik machen, sagte sie im DLF. Zu viele seien allerdings auch nicht gut.

Renate Schmidt im Gespräch mit Stephanie Gebert | 09.11.2016
    Renate Schmidt sitzt bei der Aufzeichnung der TV-Sendung "NDR Talk Show" in Hamburg auf einem Stuhl.
    Die ehemalige Bundesfamilienministerin Renate Schmidt. (imago / Michael Wigglesworth)
    Stephanie Gebert: Was ändert sich tatsächlich, wenn zum ersten Mal eine Frau im Oval Office sitzt?
    Renate Schmidt: Ich halte Frauen nicht generell für die besseren Menschen und habe nur den Eindruck, dass sie bisher weniger Gelegenheiten gehabt haben, Fehler zu machen, und ich glaube nicht, dass sich jetzt so viel ändert dadurch, dass dort eine Frau ist. Vielleicht können Frauen ein Stückchen besser zuhören, vielleicht sind Frauen weniger hierarchisch organisiert als Männer, aber das sind eher Vorurteile als Urteile. Ich glaube nicht, dass sich durch Frauen generell etwas in die eine oder andere Richtung ändert. Es gibt sehr negative Beispiele von Frauen, die in Regierungsverantwortung waren, und es gibt auch positive Beispiele. Insoweit glaube ich, das liegt an Menschen und nicht am Geschlecht.
    Gebert: Trotzdem würde ich gerne noch mal über die Geschlechterklischees sprechen, die Sie auch gerade angerissen haben. Frauen wird zugeschrieben, emotional zu sein. Aus Ihrer eigenen Erfahrung: Wieviel Gefühl dürfen Frauen zeigen, wenn sie ein Ministerium führen, wie Sie es getan haben, oder vielleicht möglicherweise wie Hillary Clinton bald einen Staat führen?
    Schmidt: Ohne Emotionen kann man politisch nicht tätig sein. Unter Emotionen verstehe ich, dass man Menschen mögen muss, dass man also weiß, wofür man steht, dass man sich vorstellen kann, was Menschen empfinden, wenn bestimmte Entscheidungen getroffen werden. Aber wenn man sich alleine von Emotionen leiten lässt, und zwar Wurst, ob Mann, ob Frau, ist das eher schädlich. Und wenn man selber zu viel an Emotion zeigt, dann ist das auch nicht gut. Aber wenn man gar keine mehr zeigt, dann ist das genauso schädlich. Das gilt aber nicht nur für Frauen, das gilt für Männer auch. Man nennt so etwas dann Charisma und Ausstrahlung und die braucht man, und die hängt auch von den Gefühlen ab, die man selber empfindet und die man anderen entgegenbringt.
    "Frauen haben immer darauf zu achten, wie sie aussehen"
    Gebert: Hillary Clinton gilt als Frau mit großem Ehrgeiz und mit strategischem Kalkül. Das wird ihr aber auch immer wieder vorgeworfen. Was glauben Sie, wie kommt sie aus dieser Falle heraus?
    Schmidt: Ich glaube, sie ist in sich selbst gefangen und in ihrer Vergangenheit gefangen, und das ist, glaube ich, ihr größtes Handicap und das ist sicherlich auch einer der Gründe dafür, dass sich kaum jemand für sie begeistern kann.
    Gebert: Sie waren auch selbst im Wahlkampf als Spitzenkandidatin für die SPD in Bayern, Frau Schmidt. Gehen Medien aus Ihrer Erfahrung mit Frauen, die sich um einen politischen Posten bewerben, anders um als mit Männern?
    Schmidt: Zu meiner Zeit auf jeden Fall. Das hat sich ein bisschen verändert. Aber auch heute noch ist es so, dass bei Frauen immer über ihr Aussehen diskutiert wird. Dass Frau Merkel Hosenanzüge trägt, bei mir waren es der Schmollmund und die Locken, die ich damals hatte - es war wirklich zum an die Wände gehen -, das ist immer irgendwie ein Kriterium. Keiner hat sich über die buschigen Augenbrauen von Theo Waigel irgendwie aufgeregt oder über die schlecht sitzenden Anzüge von Helmut Kohl. Aber wenn die Renate Schmidt einen zu kurzen oder zu langen oder sonstwie Rock anhatte, dann war das Gegenstand der Berichterstattung, es ist wirklich sehr gewöhnungsbedürftig, und dann kamen erst die politischen Äußerungen. Frauen haben immer darauf zu achten, wie sie aussehen und was sie für eine Frisur haben. Die Schuhe von der neuen Premierministerin in England sind Gegenstand der Berichterstattung. Ich möchte mal über die Schuhe von irgendwelchen Männern was lesen, die sind manchmal auch etwas gewöhnungsbedürftig. Aber wie gesagt, das ist sicherlich etwas, wo Medien mit Frauen vollkommen anders umgehen.
    "Es ist auch keine Schande, ein Mann zu sein"
    Gebert: Ist es notwendig, dass man sich gegen diese Klischees wehrt, oder ist es eher so, dass Sie die Beobachtung machen, dass Frauen versuchen herauszukommen, indem sie sich für einen klassischen Hosenanzug entscheiden, wie wir das bei Frau Merkel, wie wir das aber auch bei Hillary Clinton inzwischen sehen können?
    Schmidt: Ich habe mich gegen den klassischen Hosenanzug - den habe ich hin und wieder schon auch angehabt - entschieden und habe beschlossen, ich bleibe eine Frau und ziehe mich so an, wie ich es gerne möchte, und das ist dann, glaube ich, auch ganz richtig so. Ich bin halt nun mal eine Frau und ich bin es gerne und ich würde jeder anderen Politikerin raten, zu ihrem Frausein zu stehen. Das ist schließlich keine Schande. Es ist auch keine Schande, ein Mann zu sein, aber wir sollen, bitte schön, in unserem Geschlecht, das wir haben, dann auch bleiben.
    Gebert: Gab es trotzdem angeblich männliche Attribute, die Sie sich antrainiert haben, um bestehen zu können, in der Partei etwa unter einem Alfa-Tier wie Gerhard Schröder oder als Ministerin?
    Schmidt: Da war für mich diese Zeit vorbei, dass ich mich noch an irgendetwas anpassen musste. Das war vielleicht am Anfang meiner politischen Laufbahn. Da waren wir im Deutschen Bundestag 1980, als ich das erste Mal gewählt wurde, insgesamt fünf Prozent Frauen. In meiner Fraktion der SPD waren wir die frauenstärkste Fraktion mit neun Prozent. Und wenn Sie da als Frau irgendein Thema angesprochen haben, wo die Männer gesagt haben, ja um Himmelswillen, zum Beispiel damals über Kinderbetreuung reden zu wollen, war vollkommen unmöglich. An solchen Stellen habe ich mich damals dann schon angepasst und man musste auch in der Sprache versuchen, sich männlichen Vorstellungen ein Stückchen anzupassen. Das ist mit zunehmendem Frauenanteil im Deutschen Bundestag dann deutlich besser geworden und ich glaube, heute ist diese Art der Anpassungsnotwendigkeit verschwunden.
    "Auch Frauen müssen Hillary Clinton nicht wählen"
    Gebert: Glauben Sie auch, das ist der Grund, warum Hillary Clinton sich dieses Mal ganz klar traut, anders als noch vor vier Jahren, auch feministische, emanzipatorische Töne anzuschlagen, auch im Wahlkampf?
    Schmidt: Ja ich glaube, dass diese Verhaltensweisen und diese Verhaltensmuster von Männern in der Zwischenzeit überwiegend, wenn man mal von Herrn Trump absieht, der Vergangenheit angehören.
    Gebert: Madeleine Albright hat für Clinton geworben, auch im Vorwahlkampf, und sinngemäß dort gesagt, es gebe einen speziellen Platz in der Hölle für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen. Ist das auch Ihre Meinung, Frauen müssen Hillary Clinton jetzt wählen?
    Schmidt: Müssen tut niemand was. Auch Frauen müssen Hillary Clinton nicht wählen. Aber ich glaube, nach den Äußerungen von Donald Trump werden es die meisten wohl tun, und ich habe eine Umfrage gelesen, dass wenn nur die Frauen wählen dürften, die Hillary Clinton eine haushohe Mehrheit hätte. Aber wenn nur Männer wählen dürften, hätte leider Donald Trump eine Mehrheit. Ich glaube, Frauen werden Hillary Clinton in einer ganz großen Menge wählen.
    Gebert: Zum Schluss die Frage: Welches Signal würde davon ausgehen, wenn wir davon ausgehen, dass Hillary Clinton es ins Weiße Haus schafft, für die Frauen und für eine Gleichberechtigung in der Welt zwischen Mann und Frau?
    Schmidt: Es wäre natürlich schon ein großer Coup, wenn die große Weltmacht, eigentlich heutzutage die einzige Weltmacht von einer Frau regiert wird, und es wäre zu wünschen, dass diese Frau dann so regiert, dass man sagt, gut war’s, dass es eine Frau war.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.