Donnerstag, 25. April 2024

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Frauen in der US-Raumfahrt
"Rechnen und Computer galten als Frauenzeug"

In der Geschichte der US-Raumfahrt hätten Frauen Wahnsinnsleistungen erbracht, sagte die Wissenschaftsjournalistin Eva Wolfangel im Dlf. So habe eine Frau das Apollo-13-Team sicher zur Erde zurückgebracht. Dennoch seien sie oft nicht ernst genommen worden. Noch immer gebe es zu wenig Frauen in der Raumfahrt.

Eva Wolfangel im Gespräch mit Barbara Weber | 11.07.2019
Die Schauspielerin Taraji P. Henson schreibt in einer Szene des Films "Hidden Figures" in dem sie eine Wissenschaftlerin spielt, mathematische Formeln an eine Tafel in einem Büro der NASA.
An die Tafel bitte: Die Flugbahn für die Apollo-11-Mission hat eine Frau berechnet: Katherine G. Johnson - im Film "Hidden Figures" gespielt von Taraji P. Henson (imago / 20th Century Fox)
Barbara Weber: Erinnern Sie sich an den Kinofilm "Hidden Figures"? Es ist die Geschichte von drei menschlichen Computern – drei schwarzen Frauen, die wie viele andere Mathematikerinnen erst die Grundlage für das US-amerikanische Raumfahrtprogramm und die Apollo-Mission geschaffen haben. Mit diesen Hidden Figures, das heißt, den Wissenschaftlerinnen hinter der Mondlandung, hat sich die Wissenschaftsjournalistin Eva Wolfangel beschäftigt. Sie habe ich vor der Sendung gefragt, welche Aufgaben diese Frauen im US-amerikanischen Raumfahrtprogramm eigentlich hatten?
Eva Wolfangel: Was viele ja nicht wissen, ist, dass schon in den 30er- und 40er Jahren in den USA Frauen in der Luft- und Raumfahrt – oder damals noch Luftfahrt – Windkanalberechnungen durchgeführt haben, und auf deren Grundlage wurden dann Flugzeuge entwickelt. Und dann später, als es in Richtung Apollo-Mission ging und die ganze Zeit darauf hin, wurden Frauen, also in den 50er-Jahren, eingesetzt, um zu rechnen – Flugbahnen zu berechnen, alles, was man eben für diese Missionen ins Weltall gebraucht hat.
Frauen als menschliche Rechenmaschinen
Weber: Warum war das denn notwendig, dass Frauen das machten? Jetzt würde man ja sagen, warum hat man keine Computer eingesetzt.
Wolfangel: Damals gab’s noch keine Computer. Die Computer kamen erst so Anfang der 50er-Jahre, soweit ich weiß, ins Spiel, und bis dahin wurde alles noch von Hand gerechnet. Interessant ist eigentlich – das haben mir Experten erzählt –, dass die Frauen es ganz ähnlich gemacht haben wie Computer heute, nämlich jede hatte einen Rechenschritt und ihn dann an die nächste Frau weitergeleitet. Spannend ist noch, warum das eigentlich Frauen waren, das hab ich mich immer gefragt. Damals galt Rechnen und auch Computer, und später, als Computer aufkamen, auch Computer selbst als Frauenzeug oder als unmännlich. Deswegen wurden Frauen beauftragt zu rechnen, und sie galten wohl auch als besonders gewissenhaft. Die Ingenieure haben gesagt, die Frauen können schneller und korrekter rechnen als sie selber, und natürlich sparen dann die Ingenieure die Zeit, um andere Dinge weiterzutreiben, kreativere Aufgaben anzugehen, also ganz ähnliche Gründe, warum man eigentlich heute Computer einsetzt.
Weber: Nichtsdestotrotz war es ja doch schon eine Art Sonderrolle für die Frauen. Wie gingen die denn damit um?
Wolfangel: Tatsächlich waren sie in diesem Umfeld, was doch sehr männlich geprägt war, die einzigen Frauen. Viele haben sich damit einfach abgefunden. Es gibt so Geschichten – sie wurden beispielsweise für eine Putzfrau gehalten oder einfach auch nicht ernst genommen in ihrer Aufgabe, oder viele Männer wussten das auch nicht. Und viele haben sich damit abgefunden, dass einfach jede diesen einen Rechenschritt macht, der ihr zugeteilt wurde, und eigentlich oft auch nicht wussten, was genau der Hintergrund von dem Großen und Ganzen ist. Es gab ein paar Ausnahmen, zum Beispiel Katherine Johnson, die man eben aus dem Film kennt, die gesagt hat, das genügt ihr nicht, sie möchte genauer wissen, wofür das alles ist und auch das große Ganze verstehen, und hat dann schließlich in einer Abteilung zur Flugforschung Berechnungen eingesetzt, eigentlich nur vertretungsweise, aber schließlich dann verlangt, dass sie auch an den Besprechungen teilnehmen möchte. Die Männer waren wohl erst so ein bisschen erstaunt und haben gesagt, das gab’s ja noch nie, war aber nicht verboten. Und darauf hat sie hingewiesen. Es steht nirgendwo, dass es nicht erlaubt ist, und dann haben sie sie schließlich doch zugelassen zu den Besprechungen, und sie hat dann tatsächlich viel dazu beigetragen und später auch wissenschaftliche Paper veröffentlicht mit Kollegen zusammen, was durchaus ungewöhnlich war.
Eine Programmiererin schrieb Apollo-Flugsoftware
Weber: Gab es denn auch schon erste Programmiererinnen?
Wolfangel: Ein paar von den Frauen, genau, haben dann später, als die ersten Maschinen kamen, die gerechnet haben – das waren ja nicht so Laptops, wie wir es heute kennen, sondern riesige, raumfüllende IBM-Maschinen –, die sind dann gewechselt und wurden Programmiererinnen, weil schließlich ihre Arbeit ja dann immer weniger gebraucht wurde, wobei spannenderweise auch viele Astronauten wirklich skeptisch waren, ob diese Maschinen wirklich so gut rechnen können wie die Menschen. Also es ist ganz ähnlich, wie man es heute sieht, wenn es um künstliche Intelligenz geht, gab es da auch ein großes Misstrauen und die Sorge, dass da Fehler passieren. Deswegen wurde lange noch parallel auch von Hand oder vom Kopf, vom Menschen gerechnet.
Die Mathematikerin und Programmiererin Margaret Hamilton, vom MIT Instrumentation Laboratory, in einem Modell des Apollo Modelles am 25. November 1969.
Ziel: Mond. Die Mathematikerin und Programmiererin Margaret Hamilton schrieb die Apollo-Flugsoftware (picture alliance / AP Photo)
Aber wen man kennt als Programmiererin ist ja Margaret Hamilton. Es gibt so ein ganz bekanntes Foto, so sie steht in einem ganz hohen Ausdruck Papier, und das ist der Ausdruck der Apollo-Flugsoftware, die sie mitgeschrieben hat oder sie war dafür die Verantwortliche. Und ganz spannend ist, sie hat – hat mir ein Zeitzeuge erzählt – damals die Augapfel-Methode entwickelt, die sogenannte Augapfel-Methode, mit der sie Fehler überprüft hat. Das war so, dass sie diese Software angeschaut hat und sich vorgestellt hat, sie wäre ein Computer und versteht nur das, was da steht, und führte dann Schritt für Schritt aus. Und man kann sich vorstellen, das ist ein ganz guter Trick, um Fehler zu finden, und tatsächlich hatte die Software wohl wirklich auffällig wenig Fehler, es hat alles sehr gut funktioniert. Und das hat mir auch ein Zeitzeuge gesagt, also ihre Software ist sehr viel besser gewesen als viel Software, die heute von Entwicklern geschrieben wird.
Weber: Etliche dieser Mathematikerinnen wirkten ja jetzt im Hintergrund, aber es gab auch schon Wissenschaftlerinnen im Kontrollzentrum der NASA. Wer war denn das?
Wolfangel: Genau, das war Frances "Poppy" Northcutt, eine ganz junge Frau damals, Anfang, Mitte 20, die erste Frau, die in diesem NASA-Kontrollzentrum war, und zwar, als Apollo 13 1970 einen Notfall hatte, war sie im Kontrollteam. Sie wurde extra dazu gerufen, weil wie gesagt, sie war Expertin für den Reentry, also den Wiedereintritt, die Rückkehr vom Mond. Das waren ja mit die ersten Flüge, die außerhalb der Erdatmosphäre waren, und es war sehr schwierig, die Rückkehr zu berechnen.
Die Mathematikerin Poppy Northcutt 1968  im NASA-Kontrollzentrum in Housten - historisches Schwarz-weiß-Foto.
Houston, we have a Problem: Die Mathematikerin Frances "Poppy" Northcutt brachte das Apollo 13-Team sicher zur Erde zurück (picture alliance / Keystone)
Also innerhalb der Erdatmosphäre muss man im Prinzip einfach nur bremsen und den Rest erledigt die Erdanziehungskraft, aber wenn man dann näher am Mond ist, ist ja von dort auch Anziehungskraft, und die Erdanziehungskraft ist nicht mehr vorhanden. Also da muss man sehr genau rechnen und das gut planen, und da war sie Expertin. Und sie wurde tatsächlich dann 1970 im April, also Apollo 13 diesen Notfall hatte, einberufen, und sie hat das ziemlich gut beschrieben. Sie sagte, es war natürlich schwierig damals, die Datenübertragungen waren nicht so schnell, es gab ja das alles nicht, wie wir heute irgendwie quasi der Ferne alles in Echtzeit beobachten können. Sie haben Wahnsinnszeitverzögerungen gehabt und die haben häufig auch nur ungefähr ahnen können, was ist, oder sich das ausmalen können, was jetzt wohl ist und wie man reagieren muss. Aber es ging gut aus, sie haben es geschafft gemeinsam mit der Crew, die Crew zurückzuholen, und sie hat dann auch eine Auszeichnung bekommen, die Presidential Medal of Freedom, zusammen mit ihrem Team.
Trotz "Wahnsinnsleistungen" ausgelacht und gemobbt
Weber: Wurden die Frauen denn respektiert, weil die Leistung war ja wirklich respektabel, die sie erbracht haben.
Wolfangel: Das ist das Tragische an der Geschichte. Also tatsächlich haben sie Wahnsinnsleistungen erbracht, wie gesagt, eine fast fehlerfreie Software zu schreiben – das muss heute überhaupt mal jemand nachmachen –, oder in so schwierigen Situationen eine Crew sicher zurück zur Erde zu bringen. Aber nein, Frances Northcutt erzählt immer wieder, dass sie gemobbt worden ist, dass sie ausgelacht worden ist. Sie wurde als Mädchen bezeichnet – in den ganzen Artikeln, die es über sie gibt, hieß es immer, das Mädchen hat die Crew zurückgeholt, dabei war sie natürlich eine Frau und erwachsen. Und auch die anderen Frauen erzählen Geschichten wie, sie wurden für die Sekretärin gehalten oder für die Putzfrau, wurden gebeten, doch mal eben aus dem Weg zu gehen und jetzt mal ihre Arbeit zu machen, anstatt sie zu berücksichtigen und ernst zu nehmen mit ihrem Job, den sie getan haben.
Weber: Hat sich da denn was geändert? Wie steht es denn heute um Frauen in der Raumfahrt?
Wolfangel: Es gibt immer noch weniger Frauen in der Raumfahrt, sehr wenige. Also zum Beispiel von den elf deutschen Astronauten ist ja noch keine eine Frau gewesen. Frauen werden mehr umworben, das merke ich schon. Ich habe neulich mal die Samantha Cristoforetti interviewt, die italienische Astronautin, die ist schon ganz genervt von dem Thema, die mag gar nicht mehr gefragt werden – ist es denn anders als Frau, wie ist es denn als Frau und so weiter, also das andere Extrem, was ich auch verstehe. Sie haben immer noch eine Sonderrolle, sie werden nicht mehr gemobbt und diskriminiert, aber nach wie vor gibt es viel zu wenige.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.