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Frauen in Führungspositionen
"Mit der Quote kriegen wir nur die Symptome - nicht die Ursachen"

Immer noch haben Frauen es schwer, in Führungspositionen zu gelangen - und sich dort auch zu halten. Margret Suckale, erstes weibliches Vorstandsmitglied bei BASF, glaubt nicht, dass die Einführung einer Quote helfen würde. Sie forderte im DLF bessere Arbeitsbedingungen für Frauen - und hat einen Rat für den Weg nach oben.

Margret Suckale im Gespräch mit Birgid Becker   | 06.03.2017
    Margret Suckale, Personalvorstand bei BASF
    Margret Suckale, Personalvorstand bei BASF (dpa/picture alliance/Uwe Anspach)
    Birgid Becker: Am Mittwoch ist Weltfrauentag. Üblicherweise führt das Datum zu einer Frequenzsteigerung für frauenpolitische Themen, und wir machen keine Ausnahme. Denn auch wenn mehr über das Thema gesprochen wird, führt das noch längst nicht dazu, dass Frauen in der Arbeitswelt auch tatsächlich mehr zu sagen haben. Und wenn sie in Spitzenpositionen kommen, sind sie auch schnell wieder weg. Von 2011 bis 2014 haben acht von insgesamt 19 weiblichen Dax-Vorständen ihren Job wieder verloren oder aufgegeben. Männer halten sich damit etwa doppelt so lange auf diesen Spitzenpositionen als Frauen. Warum? Die Frage habe ich vor der Sendung an Margret Suckale gestellt. Sie ist Vorstands-Mitglied beim weltgrößten Chemieunternehmen BASF und war zuvor auch Mitglied im Vorstand der Deutschen Bahn. Margret Suckale kommt damit also auf viele Jahre an Erfahrungen in Vorständen. Ob sie eine Erklärung dafür hat, dass Vorstandsposten für Frauen sehr oft Schleudersitze sind? Das habe ich Margret Suckale vor der Sendung gefragt.
    Margret Suckale: Zunächst mal möchte ich sagen, dass ich viele der Frauen persönlich kenne, die in den DAX-Positionen waren. Und alle, wirklich ohne Ausnahme, sind hervorragende Fachfrauen, aber auch Führungspersönlichkeiten, sodass es mich zum Teil auch sehr gewundert hat. Ich habe nie ganz die Erklärung gefunden. Eine mögliche Erklärung mag sein, dass es natürlich immer etwas schwieriger ist, wenn man von außen in ein Unternehmen hineinkommt und nicht in dem Unternehmen groß geworden ist.
    "Wenn man kein gutes Netzwerk hat, ist es schwieriger"
    Becker: Und meist kamen ja die Frauen von außen, nicht wahr?
    Suckale: Das war in vielen Fällen der Fall, vielleicht sogar in allen. Es ist ein großer Unterschied, ob man in eine Position kommt – es waren ja auch nicht selten die wirklich schwierigen Positionen der Arbeitsdirektorinnen, wo man ohnehin nicht selten dann zwischen den Stühlen sitzt. Und wenn man dann im eigenen Haus kein gutes Netzwerk hat, das man über viele, viele Jahre gepflegt hat, dann ist es natürlich noch mal um einiges schwieriger.
    Becker: Ist es nicht auch bitter? Jetzt lässt man die Frauen rein, was in den Vorjahren nicht so einfach der Fall war, um sie dann auch wieder schnell loszuwerden?
    Suckale: Ich glaube, viele haben daraus auch etwas Positives mitgenommen, sind dann in anderen Unternehmen wieder aufgetaucht mit diesen Erfahrungen, oder sind auch in die Beratung gegangen und können hier vielleicht anderen jüngeren Frauen gute Hinweise geben. Das gehört zum Leben dazu: Man fällt und man steht wieder auf.
    Becker: Um auch das zu fragen: Was lief bei Ihnen besser?
    Suckale: Ich habe natürlich auch Glück gehabt. Ich habe immer Menschen um mich herum gehabt, die mich wirklich unterstützt haben. Ich hatte den großen Glücksfall, dass ich angefangen habe in einem Mineralöl-Unternehmen, wo tatsächlich die Förderung von Vielfalt, und zwar auch in diesem sehr breiten Begriff, also nicht nur Gender, sondern auch Nationalität, Alter, aber auch eine unterschiedliche Sozialisierung, unterschiedliche Werte und was da alles dazugehört, das wurde damals schon - das war 1985, also schon eine ganze Ecke her - sehr, sehr großgeschrieben. Als ich dann zur Bahn kam, habe ich wieder angefangen zunächst mal in einer Position unterhalb des Vorstandes. Und als ich dann in den Vorstand aufgestiegen bin 2005, ja da hatte ich schon acht gute Jahre bei der Bahn erlebt und hatte mir auch dieses berühmte Netzwerk geschaffen.
    "Es ist nicht damit erledigt, eine Frau in den Vorstand zu holen"
    Becker: Um noch einen Moment bei Ihrer persönlichen Karriere zu bleiben. Sie sind das erste weibliche Vorstandsmitglied bei BASF und dort sind Sie seit 2011 auch Leiterin des Stammsitzes in Ludwigshafen als erste Frau in der Geschichte des weltgrößten Chemieunternehmens. Wie ist das, wenn man die Erste ist? Ist das einfacher - es gibt ja keinen Vergleich -, oder ist es einsamer? Auch da muss man sich ja erst ein Netzwerk schaffen.
    Suckale: Bei der BASF hatte ich auch wieder das Glück, dass ich nicht gleich auf Vorstandsebene angefangen habe, sondern ich habe fast zwei Jahre lang zunächst mal die oberen Führungskräfte betreut, habe mir genau dieses Netzwerk geschaffen und habe, was genauso wichtig natürlich ist, das Unternehmen erst mal kennengelernt. Und als ich einen guten ersten Eindruck hatte, dann kam erst dieser Sprung in den Vorstand zwei Jahre später, 2011.
    Becker: Das ist das, was Sie sagten, nicht wahr, dass es schwierig ist für Frauen, die jetzt vielleicht offenere Türen haben als vorher, aber reingeworfen werden in ein ihnen unbekanntes Umfeld.
    Suckale: Ja, es kommt dann manchmal zu viel zusammen. Es sind neue Kollegen, neue Mitarbeiter. Was auch ganz wichtig ist: Es ist nicht damit erledigt, eine Frau in den Vorstand zu holen, sondern wenn man eine Kollegin dort einsetzt, dann muss man ihr auch den Rücken stärken über die ganze Zeit. Und wenn das alles zusammenkommt, dann wird es gut, und ich darf sagen, das ist bei der BASF wunderbar gelungen.
    "Ich stelle bei jüngeren Frauen ein ganz anderes Selbstbewusstsein fest"
    Becker: Es gibt ja auch immer wieder die These, mehr oder weniger provokant vorgetragen, die Frauen sind selbst schuld. Das adressiert sich jetzt mehr an den Karrierestart. Die Frauen sind selbst schuld, sie haben andere Prioritäten, ihnen sind Macht und Karriere nicht so wichtig. Sie waren bei der Bahn und Sie sind bei BASF als Arbeitsdirektorin ja auch diejenige, die für das Personal zuständig ist. Erleben Sie es, dass Frauen so sind, weniger karriereorientiert?
    Suckale: Ich erlebe Frauen genauso unterschiedlichst wie auch Männer. So vielfältig wie Menschen sind, so vielfältig sind auch die Vorstellungen, wie ein Leben, ein berufliches Leben auch aussehen kann. Generell stelle ich gerade bei den jüngeren Frauen ein ganz anderes Selbstbewusstsein fest: klare Vorstellungen und auch immer wieder die Aufforderung, gebt uns einfach die Aufgabe, versucht es mit uns und ihr werdet sehen, ihr werdet es nicht bereuen.
    Becker: Wie wichtig ist aber bei all dem auch so etwas wie ein ausgeprägter Wille, nach vorn zu kommen oder Macht zu haben? Ich sage es jetzt mal betont, machiavellistisch Macht zu haben, diejenige zu sein, die den Ton angibt? Muss man das auch haben, so ein ausgeprägtes Ellbogengefühl?
    Suckale: Wir erleben ja in unserer Zeit einen erheblichen Wandel auch bei Führungskräften. Dieses Machtbewusstsein ist wenig ausgeprägt, viel weniger zumindest als noch vor einigen Jahrzehnten. Meine eigene Beobachtung kann ich da natürlich immer nur wiedergeben. Insofern glaube ich, dass Frauen in dieses neue Führungsmodell auch viel, viel besser hineinpassen, es sogar geradezu bereichern können, weil mit Macht kann man kaum jemanden überzeugen. Natürlich: Es gibt immer, in jeder Gruppe gibt es Extreme von bis, und natürlich gibt es auch in der Manager-Gruppe nicht nur alle diejenigen, denen man eine Eins in Führung geben würde. Aber wir machen häufig den Fehler, dass wir verallgemeinern und sagen, die Manager sind so und so, sie sind alle machtbesessen, und das sind diese berühmten Stereotype, unter denen ja auch viele Frauen sehr leiden.
    "Man muss damit leben, dass man in der Position nicht nur geliebt wird"
    Becker: Die Facebook-Chefin Sandberg soll mal gesagt haben, Erfolg macht Männer sexy, aber Frauen unbeliebt – auch so ein Stereotyp. Aber ist das ganz falsch?
    Suckale: Es gibt ja viele erfolgreiche Frauen, von denen ich weiß, dass sie durchaus sehr beliebt sind. Man muss natürlich auch damit leben, dass man in so einer Position nicht nur geliebt wird, weil man auch manchmal Entscheidungen treffen muss, die für das Unternehmen gut sind, vor allen Dingen in der langfristigen Betrachtung, die aber vielleicht von den Mitarbeitern kurzfristig als eher negativ gesehen werden.
    Becker: Das Erlebnis, nicht geliebt zu werden, das haben Sie sicher vor rund zehn Jahren gehabt als Bahn-Personalvorstand, als es da einen ganz harten Tarifkonflikt mit den Lokführern gab – nicht ganz unähnlich dem Konflikt, den wir auch im vergangenen Jahr hatten. Wenn ich jetzt sage, Sie waren damals der Kugelfang, ist das vielleicht zu viel. Aber ganz falsch ist es auch nicht. Was macht das mit einem?
    Suckale: Ich hätte das nicht durchgehalten, wenn ich nicht so überzeugt davon gewesen wäre, dass der damalige Grundsatz, der ja infrage stand, nämlich dass es für jeden einzelnen Betrieb nur einen Tarifvertrag und nicht mehrere geben kann, wenn ich davon nicht Hundertprozent überzeugt gewesen wäre. Wir haben trotzdem natürlich versucht, das im Verhandlungswege zu lösen, aber als es dann nicht möglich war, sind wir tatsächlich den großen Schritt gegangen und haben auch den Streik zugelassen.
    Becker: Wieder ein Stereotyp, zugegeben, aber trotzdem: Können Frauen gut Druck aushalten, oder weniger gut?
    Suckale: Das ist in der Tat wieder so ein Stereotyp. Ich glaube, man kann Druck immer dann aushalten, wenn man wie gesagt von einer Sache überzeugt ist. Wenn man an sich zweifelt, dann wird es natürlich sehr, sehr schwierig.
    "Frauen ermöglichen, wieder schnell in den Beruf einsteigen zu können"
    Becker: Ein Thema noch, bei dem interessanterweise Frauen, die nach oben wollen, das Thema gerne mögen, und Frauen, die oben sind, das Thema weniger wertschätzen: die Quote. Heute vor zwei Jahren beschloss der Bundestag die Frauenquote für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen. Mögen Sie die Quote als Instrument, als Beschleuniger, oder mögen Sie sie gar nicht?
    Suckale: Ich glaube, dass wir mit der Quote nur die Symptome wirklich kriegen und nicht die Ursachen, warum es weniger Frauen gibt. Warum haben wir denn wenig Frauen? Wenn man mal zurückblickt: Gerade meine Generation, da war es eigentlich praktisch üblich, wenn Kinder kamen, dann blieben die Frauen zuhause. Es wurde ihnen auch eigentlich durch gesetzliche Regelungen sehr, sehr schmackhaft gemacht, zuhause zu bleiben. Und wenn dann natürlich zwei, drei Kinder aufgezogen waren, dann waren schnell über 20 Jahre ins Land gegangen, und danach war es so gut wie unmöglich, wieder beruflich Fuß zu fassen.
    Das heißt, wir haben heute in der Generation der über 55-Jährigen viele Frauen, die an einer gewissen Armutsgrenze sind, weil sie nicht genügend tun konnten für ihre Altersversorgung. Darum müssen wir an diesen Dingen arbeiten. Wir sollten zum Beispiel es ermöglichen, dass Frauen schnell wieder in den Beruf einsteigen können, dass sie die Teilzeit, die sie arbeiten, dass das hohe Teilzeitquoten sind, oder dass sie idealerweise natürlich aus Arbeitgebersicht auch Vollzeit arbeiten können, weil wir gute Kinderbetreuung anbieten, wie das ja in der Chemie insgesamt mehr und mehr der Fall ist. Bei der BASF hier in Ludwigshafen: Wir haben 250 Kinderbetreuungsplätze für Kinder ab sechs Monate. Da kann man wirklich mit gutem Gewissen zur Arbeit gehen und kann dafür sorgen, dass man nicht später einen Schreck bekommt, wenn der Rentenbescheid ins Haus fliegt.
    "Seine Handlung danach überprüfen, ob man Angst hat"
    Becker: Bei BASF gibt es für die Führungskräfte eine ziemlich strikte Altersgrenze. Die liegt bei eigentlich ziemlich frühen 60 Jahren. Das führt dazu, dass Sie im Sommer nach der Hauptversammlung bei BASF ausscheiden werden. Ein bisschen früh zum Bilanz ziehen, aber so weit ist der Sommer ja auch nicht entfernt. Gibt es etwas, wenn Sie zurückblicken, das Sie anders machen würden?
    Suckale: Ich denke natürlich jeden Abend darüber nach, wie ist der Tag gewesen, was hätte man besser machen können, wie hat man auf Fehler und Missgeschicke reagiert. Insgesamt würde ich aber dennoch sagen, ist das Allermeiste gut gelaufen, weil ich mir auch immer Feedback eingeholt habe, weil ich immer Menschen hatte, mit denen ich mich austauschen konnte. Sehr schön hat mir der Ausspruch der eben ja schon von Ihnen zitierten Sheryl Sandberg gefallen, die gesagt hat, man soll eigentlich seine Handlung danach überprüfen, ob man Angst hat, sich von Angst treiben lässt, und das habe ich mir irgendwann mal aufgeschrieben, auf meinen Schreibtisch gelegt. Ich glaube, sie hat im Original gesagt: What would you do, if you weren’t afraid.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.