Donnerstag, 28. März 2024

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Frauen Indiens
Die pinkfarbene Revolution

Frauen in Indien sind oft Opfer von Gewalt – von der Öffentlichkeit unbemerkt. Dass sie selbstbewusster auftreten und öffentlich anklagen, ist vielleicht auch das Verdienst der charismatischen Sampat Pal und ihren Aktivistinnen, der "Gulabi Gang" im pink-farbenen Sari. Ihre Geschichte erzählt Amana Fontanella-Khan.

Von Nicole Scherschun | 24.03.2014
    Eine indische Mutter in einem rosa-farbenem Sari mit ihrem kleinen Kind, aufgenommen 1980.
    Auch heute noch werden Frauen sehr jung verheiratet. (dpa / Istvan Bajzat)
    Stolz hebt Sampat Pal ihre Faust in den Himmel. Die Gründerin der Gulabi Gang stimmt einen Schlachtgesang an und führt ihre Frauentruppe durch die Straßen eines Dorfes in der nordindischen Region Bundelkhand.
    "Die von ihr angeführten Frauen, die einheitliche Saris in einem schrillen Rosa und pinkfarben bemalte Stöcke trugen, hatten an diesem Tag ihren ersten Auftritt gehabt. Die Lokaljournalisten, die über das Ereignis berichteten, tauften sie Gulabi Gang: gulabi ist das Hindi-Wort für 'pink'. Damals waren es nur ein paar Dutzend Frauen."
    So beschreibt Amana Fontanella-Khan den Gründungstag der Gulabi Gang. Das war vor acht Jahren: Heute leitet Chefin Sampat Pal eine Organisation mit Tausenden Mitgliedern. Die Gulabis kämpfen für ihre Rechte - und gegen Vergewaltiger, brutale Ehemänner und korrupte Polizisten - notfalls auch mit ihren Schlagstöcken.
    Missbraucht und denunziert
    Gleich zu Beginn ihres Buches wirft Autorin Amana Fontanella-Khan ihre Leser ins kalte Wasser: Es geht um die 17-jährige Sheelu. Ein mächtiger, aber korrupter Politiker bezichtigt sie des Diebstahls. Daraufhin wird ihr Vater brutal gefoltert. Sampat soll den Fall aufklären.
    "Das stimmt doch alles nicht!", sagte Sampat halblaut. "Wie kann ein junges Mädchen einen Politiker bestehlen? Was war sie überhaupt? Seine Hausangestellte? Seine Geliebte?"
    Der Sheelu-Fall wirft viele Fragen auf, denen Sampat in den folgenden Kapiteln nachgeht. Autorin Amana Fontanella-Khan nutzt Sheelus Geschichte als roten Faden für ihr Erstlingswerk:
    "Weil der Fall alle Probleme und Themen beinhaltet, die ich in meinem Buch ansprechen wollte. Der Fall handelt von machtgierigen Politikern, korrupten Polizisten, vom ungerechten Kastensystem in Indien, dem Problem arrangierter Ehen, und dass Frauen ihren Ehemann nicht frei wählen dürfen - und es geht um all die Probleme, die daraus resultieren."
    In genau dieser Welt, im indischen Bundelkhand im Bundesstaat Uttar Pradesh, ist auch Sampat Pal aufgewachsen. Fontanella-Khan, Journalistin mit irisch-pakistanischen Wurzeln, lebte während ihrer Recherchen mit der Familie der Gulabi-Chefin zusammen. Die Autorin liefert in allen Kapiteln wichtige Informationen über eine der ärmsten Regionen Indiens und ordnet die Geschichte so in den Kontext ein. Als Tochter eines Ziegenhirten wurde Sampat Pal mit zwölf Jahren verheiratet, mit 15 bekam sie ihr erstes Kind - wie es auch heute noch für so viele Mädchen in Indien üblich ist, vor allem auf dem Land. Doch Sampat ist trotzdem anders. Sie ist eine Frau, die andere Menschen in ihren Bann ziehen kann. Das hat Autorin Fontanella-Khan bereits bei der ersten Begegnung mit ihr gespürt, und sie macht keinen Hehl aus ihrer Sympathie für die Frauenrechtlerin:
    "Ich ging auf ihr Haus zu und hatte es noch nicht betreten, da konnte ich schon diese Stimme hören. Die Stimme bebte, war laut und rau - ich dachte, sie gehört einem Mann. Ich kenne niemanden mit Sampats Ausstrahlung. Vor allem hat sie so viel Energie, sie wird einfach nie müde."
    Unrechtsbewusstsein seit der Kindheit
    Fontanella-Khan beschreibt nicht nur die resolute, unabhängige und starke Sampat von heute. Auch Rückblicke in Sampats Kindheit fließen ein. Eine Schlüsselszene taucht im zweiten von insgesamt acht Kapiteln auf:
    "Von frühester Kindheit an hatte Sampat Unrecht als inakzeptable Kränkung empfunden; allein der Anblick schmerzte sie. Als sie sieben oder acht war, wurde ein Freund von ihr, der Hirtenjunge Chand Pal, von einem Mädchen geschlagen, Gayatri Patel, der Tochter eines mächtigen Grundbesitzers. Der kleine Junge weinte bitterlich, die anderen Kinder mussten ihn trösten. Was hatte er verbrochen?"
    Das Kind hatte seine Notdurft auf dem Feld verrichtet - so wie es auf dem indischen Land üblich ist. Um der Tochter des Grundbesitzers die Schläge heimzuzahlen, trommelte Sampat am nächsten Tag eine Gruppe Kinder zusammen. Gemeinsam machten sie vor den Augen der Grundbesitzertochter auf dasselbe Feld.
    "Bereits in diesem Alter wusste Sampat, dass sie ihren Feinden, wenn sie größer und mächtiger waren als sie, nur mit zahlenmäßiger Überlegenheit entgegentreten konnte. Es fiel ihr leicht, die anderen Kinder zu überreden: Schon damals brachte sie es fertig, mit ihrer Zuversicht und ihrem Selbstvertrauen die Bedenken ihrer Zuhörer zu zerstreuen."
    Sampat Pal - die Heldin, die Respektsperson, die gute Samariterin. So sieht sie sich selbst gern - und so beschreibt auch Fontanella-Khan sie, zumindest in den ersten Kapiteln. Erst später bekommt das Bild der indischen Vorkämpferin tiefe Kratzer. Das Buch ist in einem erzählerischen Ton geschrieben, wie eine große Reportage. Zunächst ermittelt Detektivin Sampat im Fall Sheelu.
    Heldin nicht ohne Widersprüche
    "Anders als viele andere Bürger ist Sampat in Gegenwart von Polizisten sehr entspannt. Wenn sie auf die Station kommt, nimmt sie souverän, mit untergeschlagenen Beinen auf einem Stuhl Platz und beginnt in ihrer zwanglosen, lebhaften Art über aktuelle Vorfälle zu plaudern, kommentiert Fehlverhalten von Politikern und Skandale und bestimmt die Richtung des Gesprächs. An diesem Morgen kam sie jedoch sofort zur Sache. 'Was ist mit diesem Abgeordneten?', fragte sie, kaum hatte sie sich gesetzt. Habt ihr die gestohlenen Sachen gefunden? Die Waffe? Das Mobiltelefon?"
    Schon nach kurzer Zeit ist klar: Der mächtige Politiker hat Sheelu vergewaltigt und will dies vertuschen. Kann Sampat den Mächtigen auch dieses Mal die Stirn bieten? Fontanella-Khan schafft es im Verlauf des Buches, der zunächst weichgespülten Heldin Sampat mehr Würze zu verleihen. Sampat ist eine launische Chefin, die kein Nein duldet und den Anspruch auf die alleinige Führung der Gulabi Gang für sich behauptet. Je bekannter die Gulabi Gang wird, desto enger arbeitet Sampat mit Politikern und Journalisten zusammen - sie läuft Gefahr, sich von der Macht verführen zu lassen.
    Und während Sampat an vorderster Front für mehr Frauenrechte kämpft, kann die fünffache Mutter nicht verhindern, dass ihre eigenen Töchter so wie sie selbst bereits als Kinder verheiratet werden. Nur die Jüngste heiratet erst nach dem 18. Lebensjahr und schließt das College ab. Es sind die Widersprüche und die vielen Facetten der Sampat Pal, die Amana Fontanella-Khans "Pink Sari Revolution" spannend machen. Doch vor allem auch:
    "... dass die Gulabi Gang für Hoffnung steht. Es ist eine Geschichte von Frauen, die kämpfen, sich wehren und keine Opfer sind, sondern Siegerinnen.
    Amana Fontanella-Khan: Pink Sari Revolution. Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens. Verlag Hanser Berlin, 272 Seiten, 19,90 Euro,ISBN: 978-3-446-24503-7.