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Frauen ohne Schleier
Muslimische Laizistinnen in Frankreich

In Frankreich gilt eigentlich die strikte Trennung von Staat und Religion. Doch in den muslimisch geprägten Sozialbau-Siedlungen rund um die großen Städte wird dieses Prinzip im Alltag immer mehr ausgehebelt. Das muslimische Frauenkollektiv "Femme sans voile" will die Rückkehr zum Schleier jedoch nicht so einfach hinnehmen.

Von Suzanne Krause | 16.01.2015
    Blick auf Paris vom 18. Stock des Rathauses im Vorort Gennevilliers am 25.11.2009.
    In Frankreich gilt das Laizitätsprinzip, doch im Alltag ist vor allem in den muslimisch geprägten Vororten davon kaum etwas zu spüren. (picture alliance / dpa / Robert B. Fishman ecomedia)
    Nadia Benmissi hat sich mit ihren beiden Mitstreiterinnen in einem Café in Aubervilliers verabredet. Sie sind die einzigen weiblichen Gäste hier. Die Aktivistinnen des Kollektivs "Femmes sans voile" - "Frauen ohne Schleier" - wollen zeigen, dass sich muslimische Frauen im öffentlichen Raum nicht verstecken müssen. Vor ihnen liegt ein Foto. Es zeigt ein tief verschleiertes Mädchen an der Hand seines Vaters. Nur sein Gesicht ist nicht bedeckt. Das Kind ist vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Eine Straßenszene, die aus Kabul stammen könnte. Aber das Foto wurde kürzlich in Aubervilliers aufgenommen.
    Nach der Schule wird der Schleier angelegt
    Dass extrem-islamistische Umtriebe in Aubervilliers wie in anderen Vorstädten immer mehr um sich greifen, erlebt Nadia Benmissi fast täglich. Vor einem guten Vierteljahrhundert flüchtete sie vor den Fundamentalisten aus Algerien nach Frankreich. Nun unterrichtet die modisch gekleidete Endfünfzigerin an einer Realschule in Aubervilliers. Dort haben Kopftuch und Schleier seit langem Hausverbot, wie an allen Schulen im Land.
    "Ich sehe nun schon Zwölfjährige, die, kaum haben sie abends das Schulgelände verlassen, vor der Pforte den Schleier anlegen. Neulich habe ich mit einer Klasse von 14-, 15-Jährigen diskutiert und ihnen erklärt, dass früher alle Religionen den Frauen Schleier oder Kopftuch auferlegt haben. Und das dies in der muslimischen Welt schon vor dem Koran der Fall war. Da sagte eine Schülerin zu mir: Ich hätte Lust, Sie für diese Äußerungen umzubringen."
    Nadia Benmissi steht das Entsetzen immer noch ins Gesicht geschrieben. Sie kennt das Mädchen schon seit Jahren.
    "Ich war sehr erschrocken, dass jemand, der die republikanische Schule in Frankreich besucht, so gewalttätige Reden schwingen kann. Und aus meinen Erfahrungen mit den Fundamentalisten damals in Algerien weiß ich, dass sie ihre Worte ernst meinte. Weil ihr das so eingetrichtert wurde. Heute besucht dieses Mädchen eine Koranschule in Mali, sie hat ihrem Geburtsland Frankreich den Rücken gekehrt."
    Bedroht und beschimpft
    An Benmissis Seite kämpft auch Nadia Ould-Keci gegen den Schleier. Ihre Eltern wanderten aus Algerien ein, sie selbst kam in Frankreich zur Welt. Neulich beschimpfte ihr Neffe sie wegen ihres Engagements als Abtrünnige, als Ungläubige. Die beiden Frauen trauen sich was: So viel Zivilcourage kann gefährlich werden. Ihr winziges Kollektiv "Femmes sans voile" hat einen Brief an Dalil Boubakeur, den Präsidenten des französischen Islamrats, geschrieben. Denn im vergangenen Juni veröffentlichte der Islamrat, selbst ernanntes Sprachrohr für 90 Prozent der einheimischen Muslime, eine 15-seitige Standortbestimmung.
    In diesen, so der Titel, 'Staatsbürgerlichen Regelungen der Muslime in Frankreich für das Zusammenleben', appellieren die Verfasser an die Muslime, die Werte der Republik zu respektieren – ebenso wie das Burka-Verbot im öffentlichen Raum. Doch gleichzeitig steht im Text, der Kopfschleier für Musliminnen sei Vorschrift. Ein Unding für Nadia Ould-Keci.
    "Wir haben Boubakeur geschrieben, dass im Koran unserer Ansicht nach keineswegs Frauen die Kopfbedeckung vorgeschrieben ist. Wir haben ihm mitgeteilt, dass seine Position sich der der radikalen Islamisten annähert. Und dass dies gefährlich ist für uns, für die Gesellschaft. Wir enden mit den Worten: Ihr Standpunkt ist anachronistisch und gefährlich für die Gesellschaft. Denn das Erste, was radikale Islamisten weltweit tun bei ihrem Vormarsch: Sie nötigen Frauen, sich zu verhüllen."
    Appell an den Staatspräsidenten
    Auf eine Antwort warten die Aktivistinnen bis heute. Nun wollen sie Staatspräsident Hollande schreiben: Er möge den Kopfschleier aus dem öffentlichen Raum verbannen.
    Wasser auf ihre Mühlen ist die flammende Rede, die Premierminister Manuel Valls am Mittwoch in der Nationalversammlung hielt. Dabei rief der Innenminister unter anderem zu neuen Maßnahmen auf, in den Schulen, vor allem in Vorstädten wie Aubervilliers, das republikanische Laizitätsprinzip hochzuhalten.
    Ein Wunsch, den auch Staatspräsident Hollande gestern Mittag in Paris bekräftigte, bei einer Ansprache im Institut der Arabischen Welt.