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Frauenbilder, Männerbilder
Hackordnung unter Druck

Macht, Geschlecht und Religion - darüber diskutierten in Hamburg drei Männer und eine Transfrau unter dem Namen "Das muslimische Quartett". Klar wurde vor allem: In dem Thema steckt Sprengkraft - für Islam und Christentum.

Von Mechthild Klein | 04.03.2019
Podiumsdiskussion des Muslimischen Quartetts zum Thema "Geschlecht und Macht", Moderator Engin Karahan mit seinen Gästen Leyla Jagiella, Richard Nennstiel und Ali Ghandour (v. rechts nach links)
Podiumsdiskussion des Muslimischen Quartetts zum Thema "Geschlecht und Macht", Moderator Engin Karahan mit seinen Gästen Leyla Jagiella, Richard Nennstiel und Ali Ghandour (v. rechts nach links) (Arne List)
An die 250 Leute kamen zum "Muslimischen Quartett" in den hippen Resonanzraum im Medienbunker auf St. Pauli. Eingeladen hatte die Friedrich Ebert-Stiftung, gemeinsam mit dem Dominikanerorden Hamburg und der Alhambra-Gesellschaft. Ein Sprecher der Friedrich-Ebert-Stiftung weckt hohe Erwartungen an diesen Abend:
"Sich den heißen Eisen unserer Zeit anzunehmen, ist eine Spezialität der Alhambra-Gesellschaft. Das ist eine von deutschen Muslimen gegründete Initiative, ein Verein, der sich nicht wegduckt, wenn es um schwierige Fragen geht, sondern sie offensiv zur Diskussion stellt, so wie heute Abend hier."
Schwach und schweigend
Auf dem Podium sitzen drei Männer und eine transsexuelle Frau. Die Islamwissenschaftlerin Nimet Seker lieferte vorweg eine Einführung in das Thema "Macht und Geschlecht - eine religiöse Perspektive" aus ihrer Sicht als Muslimin. Sie kam schnell auf den Punkt, dass das Geschlechterverhältnis immer ein Machtverhältnis sei, das sich alle Gesellschaften einverleibt hätten, "da sie nur durch die Ausbeutung von Frauen funktionieren", wie Seker sagt. "Wir Frauen, alle Frauen, werden zu Verletzlichkeit, zu Schwäche, zu Nachgiebigkeit, zum Gefügigsein und zum Schweigen erzogen."
"Innere Selbstzensur"
Die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Nimet Seker saß nicht auf dem Podium des Muslimischen Quartetts. Weil sie nicht für die Frauenquote in ihrem eigenen muslimischen Verband herhalten wollte, wie sie sagt. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Alhambra-Gesellschaft. In ihrem Vortrag spricht sie sehr persönlich über Frauenbilder in Europa.
"Das ständige Hinterfragen der äußeren Erscheinung und des Auftretens erleben wir Frauen nicht nur aus unserem direkten Umfeld. Wir lieben es auch, es an uns selbst zu praktizieren: die ständigen Hinweise auf die Haare, die unter dem Kopftuch hervorschauen, die zu laute Stimme, die unangebrachte Kritik, die mangelnde Solidarität unter Frauen."
Apell an die muslimischen Brüder
Nimet Seker zeichnet ein Bild von der Frau und ihrem Körper als Imaginations- und Projektionsfläche in modernen Gesellschaften. Frauen in der muslimischen Community treffe das besonders. Sie würden kritisiert für ihr Äußeres von Linken oder Rechten oder auch von Feministinnen. Innerhalb der eigenen Gemeinschaft müssten sie den Islam ebenfalls verteidigen. Alles, was sie anziehen, die Kleidung, könne zum Vorwurf gegen sie gemacht werden. Das nehme Frauen ihre Freiheit, so Seker.
Bei all den Debatten gehe es um niemals "um die Autonomie oder die freie Bekleidungswahl der Frauen", sagt sie. Die Frankfurter Islamwissenschaftlerin teilte dabei auch an ihre Glaubensbrüder aus:
"Wenn aber muslimische Frauen stellvertretend für das Kollektiv angegriffen, getreten, bespuckt, geschlagen werden - und das passiert in Deutschland fast jeden Tag – bleibt die echte Sympathie unserer muslimischen Brüder leider aus. Die symbolische Geschlechterordnung erfüllt in solche Situationen wieder ihren vollen Zweck: nämlich die Etablierung einer sozialen Hackordnung. Am Ende geht’s beim Geschlechterverhältnis immer um ein Machtverhältnis."
Ihr Stimme fehlte in der anschließenden Diskussion. Wie hätten drei Männer und eine transsexuelle Frau auf dem Podium, über die Nöte von muslimischen Frauen aus dem normalen Alltag sprechen können?
Der Hamburger Dominikanerpater Richard Nennstiel zieht den Bogen gleich größer:
"Die Unterdrückung der Frau hat nicht nur etwas mit dem Christentum zu tun. Sondern Aristoteles schreibt schon, dass die Frau eine Fehlform des Mannes ist. Also der Mann ist der vollendete Mensch und die Frau ist die Fehlform. Und dieses Denken zieht sich immer durch. 1900 hat Prof. Möbius in Berlin, der Pathologe, ein Buch veröffentlicht, das hieß: 'Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes'. Er hat in diesem Buch wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Frau schwachsinnig ist. Sie ist geistig gestört und braucht eben den Mann, der sie leitet in ihrem Alltag und anderen Dingen."
"Normenlehre einer Gesellschaft, die nicht mehr existiert"
Die abrahamischen Religionen wiederum hätten zwar patriarchale Strukturen, aber ihre Geschlechterbilder seien ja schon älter. Das seien keine Schöpfungen der Religionsstifter, gibt der Islamwissenschaftler Ali Ghandour zu bedenken:
"Es geht um Eigentum, um die Beziehung zwischen dem Besitzer, dem Nichtshaber. Diese Strukturen haben diese Bilder geschaffen. Dann wurden Erzählungen um die Struktur herum geschaffen. Das findet man in der Philosophie, in der Mythologie, in den monotheistischen Religionen."
Noch mehr als 1000 Jahre später hat auch der Westen mit diesen Konzepten zu kämpfen. Obwohl Europa als säkularisiert gilt, spuken noch manche der alten Ideale in den Köpfen der Gläubigen. Manche Muslime empfinden es so, als als seien sie in zwei Welten unterwegs.
Ali Ghandour: "Die gesamte Normenlehre ist in einer Gesellschaft entstanden, die nicht mehr existiert. Seit dem 19. Jahrhundert gab es radikale Veränderungen, es gab Revolutionen. Viele Strukturen lösten sich auf, Großfamilie, Stamm und so weiter. Das Problem entsteht, wenn man nach dieser Normenlehre sein Leben strukturieren will, in einer Welt, die völlig anders ist. Die meisten Muslime haben es noch nicht geschafft, eine Normenlehre zu produzieren, die im 21. Jahrhundert beheimatet ist."
"Alle Religionen sind sexbesessen"
Das betrifft auch die Sexualmoral. Pater Richard Nennstiel spricht es aus – für das Christentum:
"Es ist ein Phänomen, dass alle Religionen irgendwo sexbesessen sind."
Der Pater nennt die Symptome: Alles was sexuelle, lustvolle Empfindungen bereitet, werde im Christentum als schwere Sünde bezeichnet. Auch für Frauen. Sexualität dürfe nur der Fortpflanzung dienen.
Richard Nennstiel: "Das ist doch krank. Wenn ich Sexualität tabuisiere und alle Lebensbereiche sexualisiere, dann muss da ein Spannungsverhältnis entstehen, das irgendwann aufbricht. Es bricht auf, aber wird dann durch die Macht der Männer wieder kontrolliert. Daher hängt Macht und Geschlecht eng zusammen. Die Kirche zieht sich so bisschen raus und sagt: Macht gibt es in der Kirche nicht, das ist alles Dienst."
Klassische Theologie überfordert
Im Islam gibt es andere Vorstellungen von Geschlechterordnungen. Teilweise haben das muslimische Staaten in der Moderne selbst in die Hand genommen, was als islamisch gilt und was nicht. Das Problem sei: Es gebe eine unausgesprochene Angst unter Muslimen, die absolute Wahrheit zu verfälschen, wie Ali Ghandour sagt. Die klassische islamische Theologie sei mit den Fragen von Laien häufig völlig überfordert.
Ali Ghandour: "Diese Angst, etwas zu verlieren, hat mit der falschen Vorstellung zu tun, was Wahrheit ist, was Religion will und was überhaupt Gott ist."
Ob heute aber Minderheiten unter den Gläubigen beispielsweise ihre Homosexualität oder Transsexualität offen in ihren muslimischen Gemeinden leben könnten, da hat die Religionswissenschaftlerin und Transfrau Leyla Jagiella ihre Zweifel. Es braucht strukturierte Programme in den muslimischen Gemeinden, die das aufgreifen. Sie glaubt, es gebe zu viele Torwächter (gatekeeper) unter den muslimischen Gelehrten, die Themen ausklammern, wo es um Macht und Geschlecht geht.
Leyla Jagiella: "Die ganz genau wissen, wenn die Gläubigen alle wüssten, was alles möglich ist und worüber alles diskutiert werden kann, dann haben wir nicht mehr die Hand über die. Das muss durchbrochen werden."
Aus dem Publikum haben Frauen mehrfach die Frage gestellt, wie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in den Religionen und im Kultus aussieht. Ob über Imaminnen diskutiert werde. Ob sich Mohammeds Leben mit seinen vielen Gefährtinnen das auf den Umgang mit Frauen heute auswirke. Diese Fragen wurden überhört vom Moderator.