Dienstag, 16. April 2024

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Frauenquote im Bundestag
"Ohne gesetzliche Regelungen geht es nicht"

Die SPD-Politikerin Elke Ferner fordert eine Änderung des Wahlrechts, um den Frauenanteil im Bundestag zu erhöhen. Das sei im Jahr 2019 "einfach fällig", sagte Ferner im Dlf. Man könne beispielsweise die Zahl der Direktwahlkreise halbieren und dafür pro Wahlkreis jeweils einen Mann und eine Frau wählen.

Elke Ferner im Gespräch mit Sandra Schulz | 19.02.2019
    Andrea Nahles (2.v.l), Vorsitzende der SPD, und Daniela De Ridder (l, SPD) machen zusammen mit anderen Bundestagsabgeordneten, alle in weiße Blusen gekleidet, ein Selfie-Foto.
    Weibliche Abgeordnete während der Feierstunde zu 100 Jahre Frauenwahlrecht im Bundestag (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Sandra Schulz: Ein Spiegel der Gesellschaft sollen Parlamente sein. Wenn wir aber auf die Verteilung von Männern und Frauen schauen, dann ist das Bild doch ziemlich verzerrt. Im aktuellen Bundestag sind gut 30 Prozent der Abgeordneten weiblich. Bei der letzten Bundestagswahl ist der Frauenanteil sogar noch mal leicht geschrumpft.
    Jetzt gewinnt die Diskussion um Parität im Parlament an Fahrt, um einen Frauenanteil von 50 Prozent. SPD-Chefin Andrea Nahles sagt, das Ziel sei Parität. Schon darauf können sich nicht alle einigen, geschweige denn, welcher Weg dort hinführen soll, und darüber kann ich in den kommenden Minuten sprechen mit Elke Ferner, SPD-Politikerin, Vorstandsmitglied des Deutschen Frauenrats, dort Leiterin des Fachausschusses Parität in Parlamenten und Politik, und bis 2017 auch Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium. Schönen guten Morgen!
    Elke Ferner: Guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Im Moment liegt die Frauenquote im Bundestag wie gesagt bei 30 Prozent. Was genau ist daran das Problem?
    Ferner: Das Problem ist natürlich, dass die Hälfte der Bevölkerung nicht entsprechend im Parlament repräsentiert ist. Wir reden ja nicht über Randgruppen, sondern wir reden eigentlich über die Mehrheit der Bevölkerung, denn der Frauenanteil in der Bevölkerung ist ja leicht über 50 Prozent. Ich selber bin 1990 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt worden. Damals waren wir noch knapp unter 20 Prozent. Und ich finde, wir sollten jetzt nicht noch mal 100 Jahre warten, bis wir dann bei den 50 Prozent angelandet sind.
    "Ohne gesetzliche Regelungen geht es nicht"
    Schulz: Jetzt war die Quote im Bundestag ja auch schon höher. Welche Ursachen sehen Sie für diese 30 Prozent?
    Ferner: Das ist ganz klar, dass die Parteien, die keine parteiinternen Regelungen haben, die AfD wie FDP und auch CDU/CSU, einen sehr niedrigen Frauenanteil im Parlament haben. Die AfD ist bei zehn oder elf Prozent, die Union bei knapp 20 Prozent und die FDP bei 25 Prozent, und das drückt natürlich den Frauenanteil.
    Das liegt insbesondere auch daran, dass Frauen sehr viel seltener in den Wahlkreisen als Direktkandidatin antreten, und wenn sie dann antreten, häufig in Wahlkreisen, die man gar nicht direkt gewinnen kann. Das alles zusammen genommen kumuliert dann in einem sehr geringen Frauenanteil. Dass der Anteil jetzt erstmals, seit Frauen das Wahlrecht haben, gesunken ist, das ist natürlich schon ein Alarmsignal. Deshalb, glaube ich, wird es ohne gesetzliche Regelungen auch nicht gehen.
    Schulz: Jetzt ist es aber auch bei Ihrer Partei, in der SPD-Fraktion so, dass der Frauenanteil bei gut 40 Prozent liegt, obwohl Sie das Thema nun wirklich schon lange auf dem Schirm haben. Was ist da das Problem? Warum nur 40 Prozent?
    Ferner: Das liegt am Wahlrecht. Bei den Listen haben wir Reißverschluss, das heißt abwechselnd Mann-Frau oder Frau-Mann. Bei den Direktwahlkreisen sieht es auch so aus, dass weniger Frauen in sicheren Wahlkreisen kandidieren, und deshalb, wenn die Anzahl der Mandate insgesamt eher über Direktmandate und nicht so sehr über Liste ziehen, dann sinkt der Frauenanteil ab. Deshalb brauchen wir eine Änderung des Wahlrechts und dafür macht sich der Deutsche Frauenrat auch stark.
    Eine Frau mit kurzen roten Haaren und einer Brille steht an einem Rednerpult und spricht in ein Mikrofon. 
    Die SPD-Politikerin Elke Ferner (imago / Inga Kjer)
    Schulz: Welche Änderungen schweben Ihnen da vor?
    Ferner: Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man das Thema angehen kann. Man könnte beispielsweise auf ein reines Ein-Stimmen-Verhältniswahlrecht umsteigen. Das heißt, man würde nur noch Abgeordnete über Liste haben. Dabei kann man die Regionalität auch über Landeslisten herstellen. Wir haben beispielsweise im Sauerland ein solches Wahlsystem, wo über Wahlkreislisten und Landesliste die Mandate ermittelt werden.
    Man könnte aber auch in den Direktwahlkreisen was verändern, indem man die Anzahl der Wahlkreise halbiert, aber dafür im Wahlkreis jeweils einen Mann und eine Frau gewählt werden, entweder im Doppelpack - man könnte dann nur mit einer Stimme einen Mann und eine Frau einer Partei wählen -, oder indem man sagt, man hat eine Männerstimme und eine Frauenstimme und der Mann mit den meisten Stimmen und die Frau mit den meisten Stimmen ist jeweils gewählt. Wenn man das politisch will, dann wird man auch eine Möglichkeit finden, das im Wahlrecht abzubilden.
    "Das ist jetzt einfach im Jahr 2019 fällig"
    Schulz: Warum muss man den Parteien das denn vorschreiben? Es gibt ja einzelne Parteien, die das jetzt schon machen, ihre Listen paritätisch zu besetzen. Warum diese starken Eingriffe auch ins Parteienrecht?
    Ferner: Es geht ja hier um eine Abwägung. Wir haben einerseits das Recht der Parteien, sich selbst zu organisieren. Das will auch überhaupt niemand ändern. Das andere ist natürlich: Wir haben den Artikel drei Grundgesetz, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, und seit noch nicht ganz 25 Jahren, aber den Geburtstag feiern wir dieses Jahr auch, haben wir auch den Zusatz zu Artikel drei Grundgesetz, nämlich dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt.
    Es wird ja jetzt niemand bestreiten wollen, dass Frauen nicht entsprechend repräsentiert sind in den deutschen Parlamenten, und bisher gab es seitens des Staates keine Förderung und kein Hinwirken auf die Beseitigung von Nachteilen. Das ist jetzt einfach im Jahr 2019 fällig, denn ich glaube, eine Demokratie ist wirklich erst dann vollkommen, wenn auch die Geschlechterverhältnisse entsprechend repräsentiert sind in den Parlamenten.
    Schulz: Wir haben aber in allen Parteien auch den Befund, dass bei den Mitgliedern der Frauenanteil unter 50 Prozent liegt. Frauen kandidieren in aller Regel auch seltener. Was sagen Sie den Männern, die jetzt sagen, die Frauen engagieren sich zwar weniger, aber mit einer Parität, mit dieser Quote, mit dieser Fifty-Fifty-Liste ziehen die dann an uns vorbei?
    Ferner: Zunächst mal glaube ich nicht, dass Frauen, die in den Parteien sind, sich weniger engagieren als die Männer. Sie sind weniger in der Anzahl. Das liegt aber vielleicht einfach auch daran, dass, wenn man sich parteipolitisch engagiert - das ist ja meistens ehrenamtlich -, natürlich die Frage der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und ehrenamtlichem Engagement für die Frauen deutlich schwieriger zu bewerkstelligen ist als für die Männer.
    Die Parteien müssen natürlich auch mal sich überlegen, ob die Art und Weise, wie Parteipolitik in der Praxis gemacht wird, ob das wirklich auch dazu dienlich ist, Frauen dazu zu animieren, ihre Freizeit dann auch noch in ein parteipolitisches Engagement zu investieren.
    "Mann muss den Frauen auch den Weg ebnen"
    Schulz: Frau Ferner, lassen Sie mich da mal einhaken. Da ist ja gerade die Frage: Muss man das vorschreiben, wie Menschen ihr Leben leben, wie sie ihr Leben gestalten?
    Ferner: Nein, das muss man natürlich nicht. Aber es ist ja auch nicht so: Jeder Mann, der Mitglied einer Partei ist, bekommt ein Mandat. Es geht ja im Prinzip darum, aus der Mitte der Parteimitglieder dann die Listen und die Wahlkreise entsprechend zu besetzen. Parteien machen ja nicht nur Politik für ihre Mitglieder; sie sollen ja eigentlich Politik für die gesamte Bevölkerung machen. Insofern ist das ein Argument, was ich zwar aus Sicht derer, die privilegiert sind, nämlich die Männer, nachvollziehen kann, aber auf der anderen Seite muss man den Frauen auch den Weg ebnen.
    Und was wirklich meine Erfahrung sagt, das ist auch mir selber schon so gegangen: Frauen neigen eher dazu, sich zu unterschätzen, während Männer eher dazu neigen, sich zu überschätzen. Das führt dann dazu, wenn ein Platz frei wird, dass Männer dreimal gesagt haben, ich mach' das, bevor Frauen fertig überlegt haben, kann ich das, geht das mit meiner Lebenssituation zusammen. Hier, glaube ich, muss man einfach auch ein bisschen nachhelfen.
    Schulz: Was ist mit den Menschen, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau fühlen?
    Ferner: Dazu gab es ja in Brandenburg – die haben jetzt vor zwei Wochen ein Paritätsgesetz beschlossen im Brandenburger Landtag – auch eine Regelung. Die sagen, die können im Prinzip sich entscheiden, auf welchem Platz sie kandidieren wollen, ob auf einem Männerplatz oder auf einem Frauenplatz. Das ist ein lösbares Problem. Das sollte uns nicht davon abhalten, nach gesetzlichen Wegen zu suchen, wie man Parität herstellen kann.
    Schulz: Elke Ferner, SPD-Politikerin und Vorstandsmitglied des Deutschen Frauenrats, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Interview.
    Ferner: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.