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Freiburg
Flüchtlinge und Studierende unter einem Dach

In vielen Hochschulstädten engagieren sich Studierende in der Flüchtlingshilfe. In Freiburg sind Stadt und Studierendenwerk aber noch einen Schritt weitergegangen: Dort wohnen Studierende und Flüchtlinge zusammen – in einer Flüchtlingsunterkunft, die gleichzeitig Studierendenwohnheim ist.

Vom Thomas Wagner | 22.05.2017
    Neue Flüchtlingsunterkünfte in Freiburg, kurz vor der Fertigstellung im Juli 2016. Im Projekt "Längenloh" leben Flüchtlinge und Studierende zusammen.
    Neue Flüchtlingsunterkünfte in Freiburg, kurz vor der Fertigstellung im Juli 2016. Im Projekt "Längenloh" leben Flüchtlinge und Studierende zusammen. (imago / Winfried Rothermel)
    "Hey, wie geht’s? Gut, danke….. Wo gehst Du hin? In den Deutschkurs."
    "Das ist Minou, eine der Geflüchteten, die hier wohnen. Wir sind gerade im Wohnheim Längenloh in Freiburg, in Richtung Gundelfingen, und, und hier spielen grade die Kinder."
    "Nun, Julia, was hast Du denn da? Fahrrad. Spielen mit dem Fahrrad. Syrien, auch Syrien. Ihr seid Geschwister."
    Wenn Medizinstudentin Chiara Möser rund um das Studierendenwohnheim Längenloh spaziert, trifft sie viele Bekannte, kleine und große. Sie kommen mal aus Syrien, mal aus dem Iran oder dem Irak. Das Besondere daran: Chiara Möser lebt mit ihnen unter einem Dach; das Studierendenwohnheim am Stadtrand von Freiburg ist gleichzeitig auch Flüchtlingsunterkunft.
    "Ich fand’s toll – ich hatte ohnehin vor, wenn ich in Freiburg bin, in der Integrationshilfe mitzuarbeiten." So Archäologiestudent Dennis Hogger. Er lebt, genauso wie Chiara Möser, im Wohnheim "Längenloh", gemeinsam mit 150 Flüchtlingen und 70 weiteren Mit-Studierenden. Fast alle engagieren sich nach den Vorlesungen und Seminaren für die Flüchtlinge.
    Ein eher zufälliges Projekt
    "Das ist einfach etwas ganz was anderes, als wenn man einmal in der Woche für zwei Stunden einen Deutschkurs für sie macht. Die Integrationsarbeit ist nicht so in abgeschlossene Projekte hineingepresst. Zum Beispiel sind da die Kinder von nebenan, die abends mal anklopfen bei uns und fragen, ob sie reinkommen können und dann mit uns was basteln oder Hausaufgaben machen können. Und dann ist es eben was anderes, wenn man auf so engem Raum lebt: Man begegnet sich, sie können von sich erzählen. Da prallen dann zwei Welten aufeinander. Aber so funktioniert Integration auf beiden Seiten."
    Klingt nach einem durchdachten, von langer Hand vorbereiteten Plan. Indes: Das Projekt entstand eher aus Zufall: Ursprünglich war das aus mehreren Holzgebäuden in moderner Architektur errichtete "Längenloh" als reine Flüchtlingsunterkunft geplant.
    "Und dann ist Längenloh zu einem Zeitpunkt fertiggestellt, als klar war, dass die Zahlen deutlich nach unten gehen. Und deshalb haben wir gesagt. Bevor wir am Anfang Plätze leer stehen lassen, machen wir eine Kooperation mit dem Studierendenwerk. Und daraus hat sich dann dieses Projekt auch konventionell für die Flüchtlinge und auch für die Studierenden", so Ulrich von Kirchbach, Kultur- und Sozialbürgermeister in Freiburg. Gesagt getan: Das Studierendenwerk Freiburg schreibt Wohnheimplätze aus – in der Flüchtlingsunterkunft.
    "Eine erweiterte Form des Lernens"
    "Wir waren wirklich überwältigt von der Resonanz. Also es waren eine überwältigende Zahl von Interessenten da", erinnert sich Renate Heyberger, stellvertretende Leiterin des Studierendenwerkes Freiburg – und sieht in der Möglichkeit, gemeinsam mit Studierenden zu wohnen, auch die Chance auf eine erweiterte Form des Lernens. Hier geht es um "soziale Kompetenzen. Da ist ja auch sehr viel für einen selber dabei. Da muss man ja sehr viel reflektieren: Warum tu ich was? Und das können Studierende natürlich lernen, in dem sie dort tätig sind und dabei auch noch theoretisch begleitet werden."
    Vier Tutoren helfen den Studierenden im "Längloh" bei ihrer Integrationsarbeit. "When we came to Freiburg, they brought us to another camp. But that camp was not good.”
    Zahreh ist aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet und lebt seit ein paar Monaten in Längloh.
    "When I come here, my condition was good. And they brought the students here. That was so gut and so nice. Because my sons, they can learn some things in Deutsch.”
    Das Experiment "Längenloh" endet bald
    Fast spielend lernen Zarehs Söhne seitdem Deutsch. Und die Studierenden selbst? Sie erfahren im nachbarschaftlichen Miteinander neue Kulturen, neue Lebensweisen. Manchmal bekommen sie aber auch eine Ahnung davon, was die Flüchtlinge vor ihrer Ankunft in Deutschland mitgemacht haben, vor allem die Kinder, so Dennis Hogger.
    "Dann gibt es dann so Momente, wenn die Enthauptungen nachspielen, so völlig spielerisch, die haben das vielleicht im Fernsehen oder sogar live gesehen – in solchen Momenten da bildet sich schon ein Kloß in meinem Hals. Das ist echt traurig, so etwas zu sehen."
    Trotz dem guten Miteinander zwischen Studierenden und Flüchtlingen müssen die Studierenden im Oktober aus "Längenloh" ausziehen. Dann wird der gesamte Gebäudekomplex für die Flüchtlinge benötigt, da die Stadt Notunterkünfte schließt. Dennoch soll gemeinsames Wohnen von Flüchtlingen und Studierenden schon bald in einem neuen Gebäudekomplex in Freiburgs Osten möglich werden – möglicherweise mit Leuchtturmcharakter weit über die Grenzen Südbadens hinaus. Denn für Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach ergibt sich aus dem Experiment "Längenloh" eine ganz generelle Frage:
    "Sind die die reinen Studierenden-Wohnheime überhaupt noch zeitgemäß? Oder müssen wir neue Modelle mit andenken und auch mit bezuschussen, um hier aus diesen Kästchen heraus zu denken?"