Donnerstag, 25. April 2024

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Freiburger Kriminalfall
"Absurd, aus meiner Forderung Hetze zu machen"

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hält trotz scharfer Kritik an seiner Aussage zum gewaltsamen Tod einer Studentin in Freiburg fest. "Man muss nach wie vor die Frage stellen, ob man hierzulande alles getan hat, um mögliche Gefahrenherde zu erkennen", sagte er im DLF. Tatverdächtig ist ein Flüchtling aus Afghanistan.

Rainer Wendt im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 06.12.2016
    Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, spricht beim Landeskongress der DPolG in Berlin.
    Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Wendt, dem zuletzt häufiger vorgeworfen wurde, populistische Stimmungen zu bedienen, hatte hinsichtlich des Falls in Freiburg erklärt: "Dieses und viele andere Opfer würde es nicht geben, wäre Deutschland auf die Gefahren besser vorbereitet gewesen." Dazu sagte er im DLF, Gewalterfahrungen - etwa in Kriegsgebieten - könnten psychische Störungen auslösen, die es früh zu erkennen gelte. Deshalb müsse man insbesondere bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen genauer hinschauen. Natürlich sei die Tat von Freiburg ein Einzelfall, betonte Wendt, für den einzig und allein der Täter selbst verantwortlich sei. Dennoch seien weitere Einzelfälle möglich.
    Es sei "einigermaßen absurd", aus seiner Aussage Hetze zu machen, meinte Wendt. Mit Generalverdacht gegen irgendjemanden hätten seine Worte nichts zu tun. Dies werde von politischer Seite instrumentalisiert, um vom eigentlichen Problem abzulenken. Daraus allerdings eine Mitverantwortung der Politik an dem Tod der jungen Frau abzuleiten, sei ein unzulässiger Schluss.
    Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Stegner hatte Wendts Aussagen per Twitter als "politisch widerlich" kritisiert. Auch der Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, hatte erklärt, Wendt spreche nicht für die Polizei. Malchow sagte der Zeitung "Die Welt", Wendt werde seiner Verantwortung damit nicht gerecht. Der Deutsche Anwaltverein hielt dem Polizeigewerkschafter vor, "populistische Klischees" zu bedienen. Der Deutsche Richterbund (DRB) bezeichnete Wendts Äußerungen als "Dampfplauderei". Nach dem brutalen Verbrechen an einer Frau in Hameln, die hinter einem Auto hergeschleift wurde, hatte Wendt unter anderem über den Täter gesagt: "Es wird sich ein Richter finden, der ihm auch jetzt wieder eine positive Sozialprognose geben wird".

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: 19 Jahre alt erst war die Studentin aus Freiburg, für die ein ausgelassener Abend auf einer Studentenparty grausam endete. Sie wurde auf dem Weg nachhause überfallen, vergewaltigt und anschließend in den Fluss geworfen, wo sie ertrank. Als tatverdächtig wurde ein 17jähriger Flüchtling aus Afghanistan festgenommen und darüber hat sich eine heftige Diskussion entbrannt, inklusive Ausländerhass in den sozialen Netzwerken. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte dazu der "Bild"-Zeitung:" solche Grausamkeiten werden leider von In- wie Ausländern begangen. Das ist leider kein neues Phänomen." Und SPD-Chef Sigmar Gabriel meinte: "Wir werden nach solchen Gewaltverbrechen, egal wird sie begeht, keine Volksverhetzung zulassen." - Am Telefon begrüße ich dazu Rainer Wendt, den Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Guten Morgen, Herr Wendt.
    Rainer Wendt: Guten Morgen. Hallo!
    Heckmann: Herr Wendt, fühlen Sie sich angesprochen? Machen Sie Stimmung gegen Ausländer?
    Wendt: Nein, überhaupt nicht fühle ich mich angesprochen. Beide haben nämlich Recht, sowohl Julia Klöckner als auch Sigmar Gabriel, wenn sie in aller Ruhe feststellen, dass es weder eine gesamte Verurteilung beispielsweise von Flüchtlingen oder auch Flüchtlingsgruppen geben darf, und wenn sie feststellen, dass solche Taten auch von Deutschen begangen werden. Das verpflichtet uns trotzdem zu der Frage, ob wir insbesondere bei unbegleiteten männlichen Flüchtlingen die Kraft haben, genauer hinzuschauen und mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen.
    "Die Wahrheit ist, dass wir nicht vernünftig vorbereitet waren"
    Heckmann: Genauer hinzusehen, das ist eine legitime Forderung. Sie haben aber der "Bild"-Zeitung gesagt, ich zitiere jetzt mal wörtlich: "Dieses und viele andere Opfer würde es nicht geben, wäre unser Land auf die Gefahren vorbereitet gewesen, die mit massenhafter Zuwanderung immer verbunden sind." - SPD-Vize Ralf Stegner nennt das "politisch widerlich und dümmer als die Polizei erlaubt."
    Wendt: Na ja. Was der Herr Stegner sagt in dieser pöbelhaften Manier, das will ich mal nicht weiter kommentieren. Das kommentiert sich ja auch selber. Aber die Wahrheit ist doch, dass wir eben nicht vernünftig vorbereitet waren, insbesondere dann, wenn es darum geht, diejenigen, die möglicherweise aus Gewalterlebnissen, aus Kriegsgebieten geflohen sind, sich genau anzuschauen und zu fragen, welche Folgen hat das möglicherweise bei dem einen oder anderen ausgelöst und geht von ihm deshalb eine Gefahr aus, für die er vielleicht sogar gar nichts kann.
    Heckmann: Das heißt, Sie meinen, man hätte das voraussehen können, dass dieser junge Mann, wenn er denn der Täter gewesen ist, diese Tat begehen würde?
    Wendt: Nein, das kann man nicht immer voraussehen. Aber man kann alles dafür tun, dass man vielleicht psychische Störungen frühzeitig erkennt, das kann man bei anderen ja auch, und ich stelle die Frage (und nicht nur ich tue das, Horst Seehofer beispielsweise ja auch), haben wir wirklich alles getan und sind wir wirklich gut darauf vorbereitet gewesen, solche Gefahren frühzeitig zu erkennen, und diese Frage, finde ich, ist ausgesprochen legitim, denn es handelt sich natürlich um einen Einzelfall. Es handelt sich auch um einen Fall, für den einzig und allein der Täter, wenn er es denn war, verantwortlich ist. Trotzdem ist die Frage erlaubt, tun wir alles Mögliche zum Schutz der Bevölkerung.
    Heckmann: Aber wenn Sie solche Schlüsse bereits ziehen, Herr Wendt, dann gehen Sie ja wohl davon aus, dass dieser minderjährige Afghane der Täter gewesen ist, bevor sich irgendein Gericht mit diesem Fall beschäftigt hat. Verträgt sich das aus Ihrer Sicht mit den Grundsätzen des Rechtsstaats?
    Wendt: Ich gehe überhaupt nicht davon aus, dass es der Täter ist, sondern ich stelle fest, die Polizei, die Staatsanwaltschaft haben einen dringend Tatverdächtigen festgenommen. Im Übrigen, das darf man bei allem Entsetzen und der Trauer, die man dabei verspürt, ja auch sagen: Ein großartiges Ermittlungsergebnis ganz offensichtlich. Und den Rest wird man jetzt dem Rechtsstaat zu überlassen haben. Das ist überhaupt nicht in Rede gestellt.
    Heckmann: Aber Sie haben sich ja zu Wort gemeldet mit diesen drastischen Formulierungen, bevor die Ermittlungen überhaupt so richtig eingeleitet worden sind.
    Wendt: Ja, weil ich danach gefragt worden bin, wie ich das einschätze, und nach wie vor stelle ich in Frage, ob wir wirklich alles Mögliche getan haben, um mögliche Gefahrenherde frühzeitig zu erkennen. Das gilt auch im Übrigen für andere Einzelfälle, denn es hat ja diesen Einzelfall gegeben, selbstverständlich, aber es gibt ja nicht den einzigen Einzelfall.
    "Für Taten ist immer nur der Täter verantwortlich"
    Heckmann: Das heißt, trägt die Bundesregierung aus Ihrer Sicht durch ihre Flüchtlingspolitik eine Mitverantwortung für diesen Einzelfall und für weitere Fälle, die es in Deutschland bereits gegeben hat?
    Wendt: Nein. Das wäre ein völlig unzulässiger Schluss. Den habe ich auch nicht gezogen. Den würde ich auch weit von mir weisen. Für Taten ist immer nur der Täter verantwortlich.
    Heckmann: Was müsste denn passieren aus Ihrer Sicht? Was sind denn die Versäumnisse, die Sie genau beklagen?
    Wendt: Nun, es geht ja nicht nur um die minderjährigen unbegleiteten männlichen Flüchtlinge. Hier hätten wir (und das wissen wir aus vielen anderen Delikten) eine viel engmaschigere Begleitung organisieren müssen. Man hätte viel mehr hinschauen müssen, wie können wir sicherstellen, dass diese jungen Menschen nicht nachts durch die Gegend streifen beispielsweise und Straftaten begehen. Wie können wir sie wirklich betreuen und vor allen Dingen auch untersuchen, ob mögliche Kriegsfolgen bei ihnen Reaktionen ausgelöst haben, von denen eine Gefahr ausgeht. Abgesehen davon: Das ist in der politischen Diskussion schon seit langem so. Das gilt aber für alle Menschen, die zu uns gekommen sind: Wie können wir sie einwandfrei identifizieren, damit wir wissen, wo sie herkommen, wer sie sind und warum sie zu uns gekommen sind.
    Heckmann: Herr Wendt, das Bundeskriminalamt, das hat ja kürzlich Zahlen vorgelegt. Demnach begehen die meisten Flüchtlinge überhaupt gar keine Straftaten und wenn, dann nur leichtere Delikte wie Diebstahl. Kann man das so ohne weiteres in Ihrer Funktion auch ignorieren?
    Wendt: Nein, das ignoriere ich überhaupt nicht. Das betone ich sogar, habe ich im Übrigen auch in diesem Interview betont. Das wird nur nicht immer das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Diese Untersuchungen des Bundeskriminalamtes sind doch absolut seriös und auf die muss man auch immer hinweisen. Deshalb ist es ja auch falsch, meine Kritik und meine Forderung an dieser Stelle zu instrumentalisieren, um daraus Hetze zu machen. Das ist doch einigermaßen absurd. Es ist nun mal eine solche Situation, in der man darüber nachdenken muss, weil leider es immer wieder solche Situationen einzig sind, die bei manchen Politikern überhaupt ein Problembewusstsein erzeugen.+
    "Ich kenne überhaupt niemanden, der Generalverdacht gegen Flüchtlinge hegt"
    Heckmann: Das heißt, Herr Wendt, Sie bleiben bei Ihrer Aussage, dieses und viele andere Opfer würde es nicht geben, wäre unser Land auf die Gefahren besser vorbereitet gewesen?
    Wendt: Ja selbstverständlich! Das ist nämlich eine Aussage, die absolut richtig ist, und die hat überhaupt nichts mit Generalverdacht gegen irgendjemanden zu tun. Diese Konstruktion halte ich sowieso für ausgesprochen seltsam, denn ich kenne überhaupt niemanden, der Generalverdacht gegen Flüchtlinge hegt.
    Heckmann: Ja gut, da würde einem der eine oder andere sicherlich einfallen. Wenn Sie sich das Echo in den sozialen Netzwerken anschauen auf diese Diskussion, würden Sie sagen, nein, das ist vielleicht eine glückliche Formulierung gewesen, oder eine weniger glückliche Formulierung?
    Wendt: Das ist eine Formulierung, die ausgesprochen sachlich und objektiv ist und die jetzt von interessierter politischer Seite instrumentalisiert wird, um daraus Hetze zu machen, weil man von dem eigentlichen Problem mal wieder ablenken will.
    Heckmann: Wer ist das? Wer will da ablenken?
    Wendt: Na ja, der Herr Stegner allen voran, und die Formulierung, die er gewählt hat, die spricht ja für sich.
    Verantwortungsträger lenken von Thematik ab
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, die Politik beziehungsweise die Bundesregierung ignoriert da weiterhin ein Problem?
    Wendt: Nein. So wenig wie ich sagen würde, die Flüchtlinge, rede ich von den Politikern. Es sind immer nur einzelne Verantwortungsträger, die manchmal eben ablenken wollen von einer Thematik, weil sie nicht an einer Lösung interessiert sind ganz offensichtlich.
    Heckmann: Rainer Wendt war das live hier im Deutschlandfunk, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, zum Mordfall in Freiburg und den hitzigen Diskussionen, die auch er ausgelöst hat mit seiner Äußerung. Herr Wendt, danke Ihnen für das Gespräch!
    Wendt: Sehr gerne! Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.