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Freie Wähler verlieren Zugpferd

Nach 40 Jahren CDU-Mitgliedschaft wollte Stephan Werhahn als Spitzenkandidat der Freien Wähler für die Bundestagswahl endlich bei den Großen mitspielen. Nun ist der Enkel von Konrad Adenauer wieder zur CDU zurückgekehrt - nach nur einem Jahr bei den Freien Wählern, denen er Chaos und Inkompetenz vorwirft.

Von Burkhard Schäfers | 04.04.2013
    Mit dem Aufzug geht es in den vierten Stock. München, Maximilianstraße, 1-A-Lage zwischen Bayerischer Staatsoper und dem Nobelhotel "Vier Jahreszeiten". Am Tag nach seinem Rückzug steht Stephan Werhahn leger gekleidet - kariertes Hemd, Anzugshose - in einem Sitzungssaal mit dunkel vertäfelten Wänden und mit Blick auf den Bayerischen Landtag. Mitspielen bei den Großen, das war sein Ziel als Spitzenkandidat der Freien Wähler für die Bundestagswahl. Mit dieser Partei aber sei das nicht möglich:

    "Die Bundesvereinigung der Freien Wähler ist nicht nur schlecht organisiert, sondern das ist auch ein Minenfeld persönlicher Rachegefühle. Und wenn man da hineingerät als Spitzenkandidat, dann, ja dann wird man zerrissen."

    Erst vor knapp einem Jahr trat Werhahn den Freien Wählern bei und ließ sich zum Spitzenkandidaten ausrufen. Für die Freien Wähler ein Coup, denn mit dem Enkel von Konrad Adenauer als Zugpferd wollten sie sich bundesweit profilieren.

    "Die Freien Wähler sind mir begegnet vor einem Jahr als diejenigen, die im Bereich der Euro-Rettungsschirm-Kritik fast alleine dastanden."
    Euro-Rettungsschirm, Kreditzusagen für die Schuldenländer – Angela Merkels Politik wollte Stephan Werhahn damals in der CDU nicht länger mittragen. Deshalb hat er nun ein atemberaubendes Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel hinter sich. Vor nicht einmal einem Jahr trat der Finanzexperte bei der CDU aus – nach 40 Jahren Mitgliedschaft. Er ging zu den Freien Wählern, wurde dort Spitzenkandidat und ist quasi über Nacht nun wieder in der Union. Für die Freien Wähler hatte er sich vergangenen Sommer entschieden, weil diese die Eurokritik als ihr Thema für die Bundestagswahl entdeckt hatten.

    "Eine realistische Europapolitik ist eine, die die Tugenden der Menschen, die für den normalen Privatmann gelten – etwa, dass man keine Schulden macht oder die Schulden, wenn man welche hat, wieder abbaut –, dass man die auch im öffentlichen Bereich anwendet."

    Der 59-Jährige ist Anwalt und Investmentberater. Halt – Investitionsberater, korrigiert er sich selbst. Deshalb sitzt er zum Interview im Münchner Büro einer Investmentfirma, für die er tätig ist. Und er erklärt, warum er sich bei den Freien Wählern nun doch fehl am Platz fühlte.
    "Insbesondere in den großen, bevölkerungsreichen Bundesländern Baden-Württemberg, NRW und Niedersachsen sind die Freien Wähler sehr schlecht aufgestellt, organisatorisch nicht kampagnenfähig. Dort herrscht wirklich ziemliches Chaos und Inkompetenz. Es ist eben nicht ausreichend für einen Bundestagswahlkampf."

    Bei einer Bundestagswahl treten die Freien Wähler erstmals an, sonst sind sie vor allem in der Kommunalpolitik daheim und leben überwiegend vom ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder. Stephan Werhahn muss sich also gefühlt haben wie in einer fremden Welt: Der Spitzenkandidat sollte seine Flüge selbst buchen und bezahlen – und bekam erst auf eigene Initiative hin ein Berliner Büro. Letztlich war die Liaison zwischen ihm und den Freien Wählern wohl ein Missverständnis. Das räumt auch deren Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger ein:

    "Ja ok, vielleicht war ihm nicht bewusst, was wir hier jahrzehntelang ehrenamtlich am Aufbau dieser Organisation gewirkt haben. Und nicht auf Fingerschnippen die Millionen aufm Tisch liegen. Er ist vielleicht andere Zahlen gewohnt aus seiner Tätigkeit bei großen Konzernen. Ich find’s trotzdem schade, dass es am Ende nicht geklappt hat, weil die Ziele verschiedene waren."

    Der Eindruck drängt sich freilich häufiger auf bei den Freien Wählern: Die einen sind dagegen, überhaupt zu Wahlen auf Bundes- oder Länderebene anzutreten. Die anderen dafür. Eine dritte Gruppe macht Stimmung gegen den Parteivorsitzenden. So fordert der saarländische Landesvorstand dessen Rücktritt mit den Worten: "Hubert muss weg!" Und auch Werhahn ist nicht gut Aiwanger zu sprechen:

    "Er hat auch dazu beigetragen, dass ich demontiert wurde. Er hat über die Presse dem Spitzenkandidaten Ratschläge erteilt, was er tun sollte. Und das führt eindeutig zu einer Demontage des Spitzenkandidaten – und so kann man keine Wahlen gewinnen."

    Und in der Tat tendieren die Chancen der Freien Wähler auf einen Einzug in den Bundestag gegen Null. In aktuellen Umfragen dümpeln sie unter fünf Prozent vor sich hin. Doch Kritik deshalb an seinem Führungsstil beeindruckt Aiwanger wenig.

    "Da können Sie nicht viel dagegen tun. Wir hatten einen Kandidaten, der für den Bundestag kandidieren wollte, zu Hause durchgefallen ist und jetzt natürlich gegen alles und jeden randaliert. Sie können diese Leute nicht aus der Partei schmeißen und ihnen nicht den Computer abstellen."

    Die Freien Wähler aber haben noch ein anderes Problem: die neue Konkurrenz der Euroskeptiker von der "Alternative für Deutschland", kurz AfD. Eine Partei, die Mitte April offiziell gegründet wird, zu deren Unterstützern etwa der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel zählt. Stephan Werhahn wollte, dass die Freien Wähler gemeinsam mit der AfD zur Bundestagswahl antreten, um so die Fünfprozenthürde zu knacken.

    "Man wäre also mit einer Liste angetreten und hätte dann dadurch die Eurorettungsschirm-kritischen Stimmen gebündelt. So, und das wird nicht erfolgen, weil Herr Aiwanger sich dagegen stemmt."

    So zerplatzte die Vision von Stephan Werhahn, als Gesicht und Stimme der Eurokritiker in den Bundestag einzuziehen. Diesen Traum will er sich nun bei seiner alten und neuen Partei, der CDU, erfüllen – übrigens im Landesverband Baden-Württemberg:

    "Ich würde sehr, sehr gern in den Deutschen Bundestag kommen nach Berlin, ich kann mir aber auch eine Aufgabe auf Landesebene vorstellen, oder auf europäischer Ebene etwas zu tun."

    Der verlorene Sohn kehrt geläutert zurück. Ob der Adenauer-Enkel allerdings als Euroskeptiker in der Merkel-CDU tatsächlich im Aufzug nach oben fährt, ist völlig offen.

    "Ja, es ist immer noch besser, innerhalb einer großen und stabilen Organisation in einer relativen Minderheit zu sein als in einer Nichtorganisation Spitzenkandidat zu werden, der jeden Tag angeschossen wird."