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Freier Handel gegen die Rezession

Vor 75 Jahren unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs von Belgien, Luxemburg und den Niederlanden die ersten Benelux-Verträge. Während die meisten Staaten Europas angesichts der damaligen Weltwirtschaftskrise eine nationale Politik betrieben, setzten die Benelux-Länder auf einen Abbau der Zollschranken.

Von Gerhard Klas | 20.06.2007
    Anfang der 30er Jahre herrschte Krisenstimmung in Europa. Die Weltwirtschaftskrise forderte ihren Tribut: Firmen brachen zusammen, Banken gingen pleite, die Zahl der Erwerbslosen stieg rapide. Im Durchschnitt war jeder dritte Arbeitnehmer in Europa ohne Erwerbsarbeit, die Realeinkommen sanken um ein Drittel. Massenverelendung breiter Bevölkerungsschichten war die Folge.

    Allen voran die deutsche Regierung unter Reichskanzler Heinrich Brüning: Er setzte auf rein nationalstaatliche Lösungen und machte die hohen Reparationszahlungen an die Alliierten des Ersten Weltkrieges für die wirtschaftliche Misere verantwortlich. Auf der Konferenz von Lausanne gaben Frankreich, Großbritannien und die USA dem deutschen Drängen schließlich nach und setzten die Reparationszahlungen herab. Am Rande dieser Konferenz von Lausanne, am 20. Juni 1932, kaum beachtet von der Öffentlichkeit, unterzeichneten Charles Ruijs de Beerenbrouck, Ministerpräsident der Niederlande, Joseph Bech, der luxemburgische Staatsminister, und Jules Renkin, der belgische Premierminister, das erste Benelux-Abkommen. Sie wollten der Weltwirtschaftskrise nicht durch Protektionismus, sondern durch intensiveren Handel untereinander begegnen und beschlossen deshalb, ihre Zölle für Waren der Vertragspartner jährlich um zehn Prozent zu senken. Die Beneluxländer forderten die anderen Staaten vergeblich auf, sich ihrem Abkommen anzuschließen.

    Noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgte der zweite Schritt: 1944, im Londoner Exil, unterzeichneten die Regierungsvertreter der Benelux-Staaten das zweite Abkommen, das eine vollständige Zollunion vorsah und am 1. Januar 1948 in Kraft trat. Die Benelux-Staaten verzichteten auf gegenseitige Zolleinnahmen und erklärten sich bereit, die vier sogenannten wirtschaftlichen Grundfreiheiten - die Freiheit des Waren-, Dienstleistungs- Kapital- und Personenverkehrs - herzustellen. Eine Koordinierung der Sozial- und Steuerpolitik war nicht vorgesehen. Weil der Handel zwischen den Benelux-Staaten zwischen 1948 und 1958 um 200 Prozent stieg, wurden sie als Vorbild für den westeuropäischen Integrationsprozess angesehen. Die Benelux-Staaten gaben später den Anstoß für wichtige europäische Übereinkommen, zum Beispiel die Römischen Verträge von 1957.

    Leo Tindemanns, belgischer Europapolitiker und ehemaliger Ministerpräsident, beschreibt die belgische Begeisterung beim Aufbau der Europäischen Gemeinschaft, die er auf die frühe Kooperation der Benelux-Staaten zurückführt.

    "Belgien hatte von Anfang an mitgearbeitet, und mit Enthusiasmus, möchte ich sagen, denn die Vergangenheit war uns nicht unbekannt, und so wussten wir, dass ohne größere Zusammenarbeit keine bessere Zukunft möglich war. Wenn in der Nachkriegszeit dann ein Vorschlag kam, um besser und mehr zusammenzuarbeiten im Wirtschaftsraum, haben wir das sofort angegriffen und mitgearbeitet."

    Heute hat die Begeisterung für die vornehmlich wirtschaftlich ausgerichtete Einigung der EU auch in den Benelux-Staaten nachgelassen. Belgien hat entgegen anfänglicher Ankündigungen erst gar kein Referendum über den EU-Verfassungsvertrag durchgeführt. In den Niederlanden lehnte eine Mehrheit der Bevölkerung im Juni 2005 den Verfassungsvertrag in einer Volksabstimmung ab. Einen Monat nach den Niederländern, im Juli 2005, hat Luxemburg über die Verfassung abgestimmt. Aber auch in dem reichen und traditionell europafreundlichen Großherzogtum fiel das Ergebnis schlechter aus als erwartet: Nur 56 Prozent stimmten für die EU-Verfassung, immerhin 43 Prozent dagegen. Vor allem in den Industriegebieten stimmten die Luxemburger mit Nein. Der Niedergang der Großindustrie in der französischsprachigen Wallonie im Süden Belgiens führte in den 70er Jahren auch dort schon zu einer Krise des Benelux-Vorbildes. Leo Tindemans, Karlspreisträger und konservativer Europapolitiker, sah den Vorbild-Charakter schwinden.

    "Alles war anwesend, um ein Modell zu sein, und am Anfang haben wir sehr gut gearbeitet. Aber plötzlich, in den 70er Jahren, gab es in Belgien Schwierigkeiten mit der Sprachenfrage. Es gab im Süden des Landes Leute, die wollten nicht mehr weitergehen mit dem Benelux-Gedanken, die fürchteten, dass man in einer solchen Struktur überwiegend Niederländisch sprechen würde. und die waren dagegen. Und seitdem machen wir wenig Fortschritte.

    Ich bin unglücklich, dass wir heutzutage zum Beispiel, wenn die Regierungskonferenzen stattfinden, dass wir nicht als Benelux zusammen gemeinsame Vorschläge machen. Das bedauere ich sehr, sehr, und da hatte ich mir mehr erhofft, dass Benelux ein Vorbild sein sollte. Und das ist nicht der Fall."