Freitag, 19. April 2024

Archiv

Freihandelsabkommen
"TTIP-Verhandlungen sind noch nicht gescheitert"

Anders als Sigmar Gabriel gibt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP noch nicht auf. Der Bundeswirtschaftsminister sei gut beraten, sich für die Interessen der Wirtschaft einzusetzen, sagte Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben im DLF.

Martin Wansleben im Gespräch mit Mario Dobovisek | 30.08.2016
    Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben.
    DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben vergleicht die TTIP-Verhandlungen mit einem Marathon. Den laufe man auch nicht am Stück, sondern in Etappen. (imago / Metodi Popow)
    Wansleben plädierte für einen neuen Zeitrahmen. Die Verhandlung des Freihandelsabkommens Ceta zwischen der EU und Kanada habe fünf Jahre gedauert, sagte er. Bei TTIP seien jetzt drei Jahre vergangen. "Vielleicht haben wir uns falsche zeitliche Vorstellungen gemacht."
    Wansleben sieht keinen Grund dafür, dass sich die EU Vorgaben von den USA diktieren lassen sollte. Der Wirtschaftsraum EU sei bei Weitem größer als die USA. "Da stehen zwei wichtige Wirtschaftsregionen zusammen, die wie keine anderen Räume wertmäßig zusammenpassen", sagte Wansleben. Umso wichtiger sei es, dass die EU und Europa gemeinsam Weltstandards formulierten. "Wenn wir das jetzt nicht schaffen, werden das andere erledigen."
    Die umstrittene Einführung von Handelsschiedsgerichten sieht Wansleben gelassen. Deutsche Investoren seien derzeit deren die großen Gewinner. Die Diskussion sei einseitig und angstbesetzt. Bei Ceta habe Gabriel eine gute Diskussion geführt, es spreche nichts dagegen, die guten Ansätze auch bei TTIP unterzubringen. "Am Ende geht es um eine freiheitliche Gestaltung von Globalisierung", so Wansleben.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Mario Dobovisek: TTIP, das große Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, viel Streit gab es darum bereits, seitdem die geheimen Verhandlungen vor gut drei Jahren begannen. Inzwischen dürfen Abgeordnete die Verhandlungspapiere einsehen und auch der Zank um das berüchtigte Chlorhuhn hat sich relativiert. Und dennoch: Die Verhandlungen treten auf der Stelle. Vor den Wahlen in den USA wird es wohl nichts mehr werden mit dem Abkommen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat am Sonntag im ZDF-Interview die Verhandlungen sogar für gescheitert erklärt.
    O-Ton Sigmar Gabriel: "Ich bin erst mal prinzipiell dafür, dass Deutschland sich für Freihandel einsetzt, weil wir eine exportorientierte Nation sind. Unsere Unternehmen, und zwar nicht die großen, sondern die kleinen profitieren davon, aber natürlich nicht zu jedem Preis. Die Verhandlungen mit den USA sind de facto gescheitert, weil wir uns den amerikanischen Forderungen natürlich als Europäer nicht unterwerfen dürfen. Da bewegt sich nix."
    Dobovisek: TTIP, das Freihandelsabkommen mit den USA, also am Ende? So sieht es jedenfalls SPD-Chef Sigmar Gabriel. - Am Telefon begrüße ich Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Guten Morgen, Herr Wansleben.
    Martin Wansleben: Ja guten Morgen, Herr Dobovisek.
    "Vielleicht haben wir uns auch falsche zeitliche Vorstellungen gemacht"
    Dobovisek: TTIP am Ende, weil sich nichts mehr bewegt, sagt Gabriel. Sehen Sie das auch so?
    Wansleben: Das kann ich nicht hoffen. Am Ende hängt ja immer alles mit allem zusammen. Das kennt man ja aus der Politik. CETA hat fünf Jahre gebraucht, TTIP ist jetzt drei Jahre in der Verhandlung. Vielleicht haben wir uns auch falsche zeitliche Vorstellungen gemacht.
    Dobovisek: Drei Jahre Verhandlungen, 14 Verhandlungsrunden und die Unterhändler hätten nicht in einem einzigen von 27 Bereichen Einigung erzielt, sagt Gabriel. Da fehlt es ja dann offensichtlich an einer Grundlage, um überhaupt weiterzumachen.
    Wansleben: Na ja, gut. Die Konzeption ist, dass man ein Paket insgesamt schnürt, und da hängt ja bekanntlich immer alles mit allem zusammen. Das kennen wir von Koalitionsverhandlungen oder von anderen Vertragsverhandlungen, im Zweifel viele von uns, dass man sich sozusagen bewegt an allen Punkten, aber nie eine Einigung da ist, damit man dann am Ende verhandeln kann. Ich würde mal sagen, das ist noch normal. Was nicht normal ist oder was man sehr ernst nehmen muss, ist die Diskussion, die eigentlich dahinter steckt: Akzeptanz von Globalisierung. Sie haben eben das Flüchtlingsthema ja sehr eindringlich gebracht, da merkte man das ja auch, wie Angst mitschwingt. Und ich glaube, das ist ein Thema, was man sehr ernst nehmen muss.
    USA und Europa sollten gemeinsam Weltstandards formulieren
    Dobovisek: Angst auch davor, dass die USA alles vorgeben, alles diktieren und die EU natürlich nachgeben muss.
    Wansleben: Warum muss die EU nachgeben? Wenn ich mir die Zahlen angucke, die Wirtschaftsdaten, dann ist die EU bei weitem größer als die USA. Insofern ist überhaupt nicht ausgemacht, dass die USA diktieren, was bei uns gelten soll, sondern da stehen zwei wichtige Wirtschaftsregionen zusammen. Und wenn man sich die Welt heute anguckt, dann hat man ja nicht nur den Eindruck, sondern dann gewinnt man die Überzeugung, dass das zwei Räume sind, die wie keine anderen Räume am Ende auch wertmäßig zusammenpassen. Deswegen sagen wir seitens der Wirtschaft, bei aller Kritik, die wir auch in den eigenen Reihen haben: Es lohnt sich, hier zu agieren, einmal unmittelbar, um zwei Wirtschaftsräume enger zusammenzubringen, und zum anderen natürlich auch Globalisierung ist da. Wir werden der Welt nicht entkommen. Und dann ist es umso wichtiger, dass USA und Europa gemeinsam Weltstandards formulieren, die dann am Ende insgesamt gelten.
    Dobovisek: Schauen wir uns mal einen Punkt an: den Investorenschutz. Durch intransparente, unkontrollierbare Schiedsstellen - so lautet jedenfalls der Plan -, ohne ordentliche Gerichte, die sich etwa die EU-Kommission stattdessen wünscht. Ein Abrücken von ordentlichen Gerichten könnte doch gefährlich sein, auch für deutsche Unternehmen. Warum an dieser Stelle zum Beispiel nachgeben?
    Diskussion um Schiedsgerichte sei angstbesetzt - zu Unrecht
    Wansleben: Na ja. Die deutschen Investoren sind derzeit, muss man schon fast sagen, große Gewinner von Schiedsgerichten, und es geht bei diesen ganzen Schiedsgerichten ja überhaupt nicht darum, Gesetze auszuhebeln, sondern es geht darum, darauf zu achten, dass bei der Umsetzung von Gesetzen Ausländer, ausländische Investoren, überwiegend im Übrigen auch deutsche Investoren nicht diskriminiert werden. Die Diskussion ist, sagen wir mal, einseitig. Sie ist, was völlig klar ist, angstbesetzt, weil das nicht transparente oder bekannte Bereiche sind, und es kommt jetzt darauf an, eine gute Lösung zu finden, und ich finde, Sigmar Gabriel hat ja sehr, sehr gut im Rahmen von CETA diese Diskussion geführt. Und was spricht dagegen, die guten Ansätze am Ende auch bei TTIP unterzubringen.
    Dobovisek: Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft, wenn TTIP nicht käme?
    "TTIP ist eine Riesenchance"
    Wansleben: Die Welt dreht sich weiter, wenn TTIP nicht kommt. Das ist das Erste. Das Zweite ist: TTIP ist eine Riesenchance. Sigmar Gabriel selbst hat das ja in dem Feature, was Sie eben eingespielt haben, gesagt. Am Ende sind Freihandelsabkommen gerade für Mittelständler wichtig, weil sie Bürokratien absenken, weil sie Zölle absenken. Und das Dritte ist: Es geht um die Gestaltung von Globalisierung, und das ist jetzt eine ganz, ganz wichtige Möglichkeit, wo Europa und die USA noch, muss man ja sagen, wirtschaftlich führend sind, dass wir jetzt noch in der Möglichkeit sind, auch die Standards zu formulieren. Wenn wir das jetzt nicht schaffen, werden einst das andere Regionen für uns erledigen. Ob das dann besser wird, das kann man sicherlich bezweifeln.
    Dobovisek: Klingt ehrlich gesagt für mich alles ziemlich blumig und sehr weitfassend. Lässt sich das auch in Zahlen und Arbeitsplätzen für die deutsche Wirtschaft ausdrücken?
    Wansleben: Die Arbeitsplatzzahlen, das sind dann Wachstumsraten von 0,5 Prozent. Ich meine, dann kann man sagen, das ist wenig, oder man kann sagen, das ist viel. Deswegen sagen wir, es geht nicht um 100.000 Arbeitsplätze, sondern am Ende geht es um eine freiheitliche Gestaltung der Globalisierung, und das ist gerade für ein Land, wo viele, viele Mittelständler weltweit aktiv sind wie Deutschland, eine ganz entscheidende Frage.
    Dobovisek: Schadet der Wirtschaftsminister, der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel der deutschen Wirtschaft, indem er die Verhandlungen für gescheitert erklärt?
    "Die Verhandlungen sind noch nicht gescheitert"
    Wansleben: Der Wirtschaftsminister ist sicherlich gut beraten, sich für die Interessen der Wirtschaft einzusetzen, und die Verhandlungen sind noch nicht gescheitert. Ich glaube, hier gibt es einen Wettbewerb, oder es ist offensichtlich, hier gibt es einen Wettbewerb zwischen dem Parteivorsitzenden und dem Wirtschaftsminister. Im Moment hat dabei der Wirtschaftsminister verloren. Aber die Wirtschaft hat hier eine klare Position.
    Dobovisek: Zwei Seelen in einer Brust. Ihre Position haben wir verstanden. Wenn aber ein Wirtschaftsminister, auch wenn er als Parteivorsitzender spricht, der Wirtschaft schadet, ist er dann als solcher noch zu tragen?
    Wansleben: Die Realität ist die Realität. Der Wahlkampf ist im Blick. Das ist Demokratie und wir stehen zur Demokratie.
    Dobovisek: Und Wahlkampf regiert auch die USA momentan, genauso wie in Deutschland ist er gerade im Aufkommen. Die TTIP-Verhandlungen liegen bis dahin auf Eis. Werden die danach wieder aufgetaut?
    Wansleben: Das ist eine sehr, sehr gute Frage. Man hatte ja die ursprüngliche Vorstellung, es geht schnell, und man hatte die Vorstellung, man muss alles auf einmal machen, und man hatte die Vorstellung, das ist eine einmalige Chance, jetzt die Konstellation mit Barack Obama. Vielleicht ist das falsch. Ich meine, wenn man das mal vergleicht mit einem Marathon-Lauf: Es gibt eigentlich keinen wirklich guten Läufer, der den Marathon 42,195 Kilometer läuft, sondern man läuft achtmal fünf und dann zum Schluss einen Spurt von 2,195 Kilometern. Vielleicht muss man die Strategie ändern.
    Dobovisek: Es geht also, Herr Wansleben, um Ausdauer. - Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Vielen Dank!
    Wansleben: Ja! Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.