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"Freiheit ist unser Lebensthema als Partei"

Guido Westerwelle müsse verstehen, dass man in der Außenpolitik zu bestimmten Prinzipien stehe, die in der NATO gemeinsam erarbeitet worden seien, findet die Ehrenvorsitzende der Hessen-FDP, Ruth Wagner. Ohne den militärischen Einsatz wäre die libysche Revolution nicht da, wo sie heute ist.

Ruth Wagner im Gespräch mit Jürgen Liminski | 29.08.2011
    Jürgen Liminski: Sie war stellvertretende Regierungschefin in der Regierung Koch, fast 30 Jahre Mitglied des hessischen Landtags und hat die FDP in Hessen geprägt und dem Landesverband über die Grenzen hinaus auch im Bund Achtung verschafft: Ruth Wagner. Sie ist heute Ehrenvorsitzende der Hessen-FDP und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Wagner.

    Ruth Wagner: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Frau Wagner, ein Blick in die Zeitungen heute Morgen muss für Guido Westerwelle ernüchternd sein. Die Kritik reißt nicht ab und macht sich vor allem an der Libyen-Politik fest. Ist Westerwelle noch im Amt zu halten?

    Wagner: Ja! Wir haben ja über diese Frage auf dem Bundesparteitag in Rostock auch heftig diskutiert. Ich glaube, dass er sicher auch mit Hilfe anderer Präsidiumsmitglieder seinen Fehler eingesehen hat und den ja auch korrigiert hat. Wir haben die Personalentscheidung getroffen und ich denke, das gilt jetzt. Aber er muss auch verstehen, dass in der Außenpolitik man zu bestimmten Prinzipien steht, die gemeinsam erarbeitet worden sind in der NATO, und es ist die historische Wahrheit, dass ohne den militärischen Einsatz die libysche Revolution nicht da wäre, wo sie heute ist.

    Liminski: Ihre Partei krebst um die vier Prozent herum, in Berlin ist sie in den Umfragen sogar von der Piratenpartei überholt worden. Wofür braucht man noch die FDP, wofür steht sie?

    Wagner: Ich bin der tiefen Überzeugung, wenn es die FDP nicht gäbe, müsste man sie erfinden und möglicherweise würde ich sie gründen. Unsere Prinzipien gehen auf die Aufklärung zurück. Sie haben eben Immanuel Kant erwähnt. Immanuel Kant hat für uns alle gesagt, die eigentliche Begründung des Menschen, sich für andere einzusetzen, ist das große Thema der Freiheit. Freiheit heißt nichts anderes, wie er sagt, von seiner Vernunft in allen Stücken Gebrauch zu machen. Wir müssen uns aus unserer selbst verschuldeten Unmündigkeit befreien. Das ist die Grundlage der liberalen Parteien des 19. Jahrhunderts und das gilt nach wie vor. Freiheit ist unser Lebensthema als Partei, und zwar Freiheit und Verantwortung. Der Mensch muss gegen Bevormundung durch andere Klassen, durch Diktaturen kämpfen, aber er hat auch Selbstverantwortung. Und die Kraft der Freiheit ist sozusagen der Antrieb von Menschen, die nach Freiheit dürsten. Das hat die DDR-Revolution gezeigt und das ist die erste deutsche friedliche Revolution gewesen. Deshalb ist das nämlich, sich für freiheitliche Situationen einzusetzen und nach unserem Grundgesetz Verantwortung für seinen Nächsten zu übernehmen, bedeutet, dass Freiheit und Verantwortung die beiden großen Themen einer liberalen Partei sind. Das heißt, man muss auch Rechenschaft abgeben für sein Tun. Die Freiheit ist nicht die Freiheit des freien Fuchses im freien Hühnerstall, wie mal jemand zurecht gesagt hat, sondern wir sind in Haftung zu nehmen für unser Handeln für die nächste Generation, zum Beispiel für die Verschuldungssituation der nächsten Generation, die deren Freiheit beschneidet. Und das gilt für die Wirtschaft!

    Liminski: Ja, Frau Wagner. Gibt es für die Werte, die Sie gerade aufgezählt oder dargestellt haben, auch Gesichter in der Partei?

    Wagner: Ich denke schon. Es sind diejenigen, die sozusagen diese Grundlagen geschaffen haben: Das war Ralf Dahrendorf, dazu gehört Wolfgang Gerhardt, dazu gehört Leutheusser-Schnarrenberger, und für die junge Generation möchte ich einfach Herrn Rösler und Herrn Lindner sagen, die gemeinsam diesen Aufbruch auch in diesem schwierigen Jahrzehnt jetzt verantworten müssen. Wir haben ja weltweite Bedrohungen der Freiheit und auch der Menschen, die sich nicht an verantwortliches freiheitliches Handeln zum Beispiel in der Wirtschaft halten. Das Risiko von Unternehmen kann nicht auf den Staat und die Gemeinschaft abgewendet werden und die Kraft gegen Diktatoren, die die Menschen unterdrücken, sie foltern, wegsperren und ihnen ihre eigene Selbstständigkeit wegnehmen, ist eine große Herausforderung für eine liberale Partei. Dafür stehen wir und dafür steht auch die Führung dieser Partei in Deutschland.

    Liminski: Westerwelle haben Sie eben bei der Aufzählung der Gesichter nicht erwähnt.

    Wagner: Sie haben mich gefragt, wofür stehen für mich jetzt welche neuen, und ich glaube, wir haben mit der Wahl einer neuen Parteiführung gezeigt, dass wir diesen neuen Aufbruch wollen, und deshalb habe ich diejenigen genannt, die ich genannt habe.

    Liminski: Sie standen immer eindeutig für eine bürgerliche Koalition, Frau Wagner.

    Wagner: Nein!

    Liminski: Sehen Sie für die FDP heute auch andere Optionen?

    Wagner: Nein, ich bin ja in eine sozialliberale Koalition Ende der 70er-Jahre gewählt worden und ich stand dazu und ich stehe nachdrücklich dazu, dass wir mit der SPD einen Aufbruch geschafft haben gegen die Regierung Kohl damals, und wir müssen jedes Mal nach bestimmten Zeiten überlegen, wo ist der Partner, mit dem wir unsere liberalen Grundsätze, Positionen, Vorschläge am besten verwirklichen können. Und das kann die CDU sein, das kann die SPD sein. Ich habe hier in Darmstadt noch mal in einer grün-gelb-roten Koalition gearbeitet. Entscheidend ist, dass wir den Menschen klar machen können, was wir als Liberale in der Sache für Sie und das Gemeinwesen bewirken.

    Liminski: Die FDP, ihre Werte und ihre Gesichter - das war hier im Deutschlandfunk die Ehrenvorsitzende der Hessen-FDP, Ruth Wagner. Besten Dank für das Gespräch, Frau Wagner.

    Wagner: Danke schön! Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.