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Freiheit oder Sicherheit?

Die Staaten Europas haben seit 9/11 tausende von neuen Gesetzen erlassen und bestehende Gesetze geändert - immer im Namen des Anti-Terror-Kampfes und zumeist zu Lasten der bürgerlichen Freiheitsrechte. Das ist eine Vermutung von Wissenschaftlern, die die Gesetzgebung gegen den Terror in Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und Großbritannien miteinander verglichen haben.

Von Christoph Gehring | 11.09.2008
    "Das ist ein traditioneller Gegensatz kann man sagen zwischen einerseits kollektiver Sicherheit und andererseits individueller Freiheit. Ohne kollektive Sicherheit keine individuelle Freiheit, aber auf der anderen Seite ohne individuelle Freiheit auch kein Wohlstand in der kollektiven Sicherheit."

    ... sagt Prof. Thomas König, der an der Universität Mannheim Politische Wissenschaft lehrt und am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung den Arbeitsbereich "Die politischen Systeme Europas und ihre Integration" leitet. Zusammen mit Dr. Daniel Finke hat König gerade damit begonnen, die Anti-Terror-Gesetzgebung in fünf europäischen Staaten zu vergleichen. Der Titel der Untersuchung stellt die Frage "Freiheit oder Sicherheit?". Die Staaten Europas haben seit 9/11 Tausende von neuen Gesetzen erlassen und bestehende Gesetze geändert - immer im Namen des Anti-Terror-Kampfes und zumeist zu Lasten der bürgerlichen Freiheitsrechte. Das jedenfalls ist eine gesicherte Vermutung der Wissenschaftler König und Finke nach dem ersten Überblick über die Gesetzgebung gegen den Terror in Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und Großbritannien. Thomas König:

    "Also wir erwarten, dass zunächst mal tatsächlich diese Balance zwischen kollektiver Sicherheit und individueller Freiheit tatsächlich zu Lasten der individuellen Freiheit sich verschoben hat, und wahrscheinlich in allen Ländern. Wir wollen jedoch wissen, in Abhängigkeit auch von diesen demokratischen Checks-and-Balances-Institutionen, inwieweit diese dafür sorgen konnten, dass dieses Gleichgewicht stärker erhalten bleibt, geblieben ist. Das ist vor allem interessant, wenn man mal überlegt, dass Großbritannien auf der einen Seite, ich sage mal: historisch gesehen, sicherlich eine der gefestigtsten Demokratien ist, aber von "Checks and Balances" her gedacht doch relativ wenig Gegenspieler kennt. Also keine starke zweite Kammer, auch keine Verfassungsgerichtsbarkeit, die bei uns ja eine große Rolle spielt in der Auseinandersetzung, so dass man durchaus vermuten kann, dass gerade Länder wie Großbritannien durch ihre starke Exekutivlastigkeit auch dazu neigen, stärker die kollektiven Sicherheitsbedürfnisse in Anspruch zu nehmen. "

    In Deutschland schob der seinerzeitige Innenminister Schily drei sogenannte "Sicherheitspakete" durch den Bundestag. Die wegen des Ministers Vornamen spöttisch "Otto-Kataloge" genannten Gesetzeswerke enthalten von der Aufnahme biometrischer Daten in Pass und Personalausweis über eine Verschärfung des Vereins-, des Asyl- und des Ausländerrechts bis zu erweiterten Befugnissen für die Geheimdienste, das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei allerlei Regelungen, die Terroranschläge aber auch gewöhnliche Straftaten verhindern sollen, die zugleich aber auch die Freiheitsrechte jedes einzelnen Bürgers einschränken. Kritiker wie der Jurist und Journalist Heribert Prantl sahen und sehen die entsprechenden Gesetzesverschärfungen als Schritt hin vom Rechts- zum Präventionsstaat. Doch anderswo in Europa sind die Gesetzgeber noch viel schärfer zur Sache gegangen, so Thomas König - zum Beispiel in Großbritannien:

    "Großbritannien hat ja beispielsweise eine Art Standgerichtsbarkeit eingeführt, das sind ja alles Dinge, die weit die individuellen Freiheitsrechte, also ob das jetzt die sofortige Zuhilfenahme eines Anwalt anbelangt oder auch Telefonate nach außen zu führen, die eigentlich als Personengrundrechte verbrieft sind."

    Die Begründungen für derlei Einschränkungen der Freiheitsrechte sind unterschiedlich, sie enthalten aber immer den Begriff "Sicherheit". Und der ist dehnbar: Sicherheit nicht nur vor terroristischen Attacken wird versprochen, sondern auch der Schutz vor Organisierter Kriminalität, vor Asylbetrug, vor illegaler Einwanderung.

    "Man kann sich sehr gut vorstellen, dass rivalisierende Erklärungen vorliegen zur Begründung dieser doch zu beobachtenden Ausweitung an Sicherheitsmaßnahmen. Die allgemeine, internationale Lage spielt da eine große Rolle, also: Bedrohung, 9/11 aber auch die Anschläge und die Konflikte, von denen man hört und in die man mittelbar oder unmittelbar involviert ist als Bundesrepublik Deutschland oder anderer Staat. Dann zweitens kommt zweifellos hinzu die Erweiterung der EU. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass teilweise Länder hinzugekommen sind, die - geht man mal von Korruptionsstatistiken etc aus - ein weit höheres Maß an organisierter Kriminalität aufweisen, was im übrigen auch oft unter diese Sicherheitsmaßnahmen fällt, also so eine Terror-Organisierte-Kriminalität-Vermischung. Und dann drittens auch die Möglichkeit, dass man dazu neigt, bestimmte Politiken, sei es jetzt Asyl, Immigration, die ansonsten auf Widerstand stoßen, zu verknüpfen mit Sicherheitsmaßnahmen und sich davon verspricht auch, diese leichter und schneller durchsetzen zu können."

    Ein Gutteil der Sicherheitsgesetze, die von den EU-Staaten in den letzten Jahren verabschiedet wurden, geht auf Vereinbarungen im Rat der Europäischen Union zurück. Die Vorratsdatenspeicherung beispielsweise, bei der alle elektronischen Kommunikationsvorgänge registriert werden, geht zurück auf die EU-Richtlinie 2006/24/EG, die von allen Staaten der Gemeinschaft verabschiedet wurde und in nationales Recht umgesetzt werden musste - obwohl in Deutschland erhebliche Zweifel bestehen, dass die anlasslose Sammlung von Telekommunikationsdaten in dieser Form mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Auch die europäisierte Gesetzgebung ist deswegen Gegenstand der Untersuchung von Thomas König und Daniel Finke:

    "lso ich möchte hier nicht Schelte generell gegen die EU betreiben, aber wir haben eine Tendenz, die ja auch von den nationalen Parlamenten beklagt wird, nämlich dass die Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, also seien das Verordnungen oder sei es eben eine Richtlinie, dass diese von den Parlamenten ratifiziert werden müssen, und zwar ohne Wenn und Aber in der Regel. Also von daher ist natürlich diese Ausschaltung nationaler Kräfte schon ein Problem, was uns nicht nur in diesem Themenbereich beschäftigt, sondern was dazu führen kann, dass gewisse traditionelle demokratische Kontrollen nicht mehr in gleichem Maße stattfinden, wie wir es aus der nationalen Entscheidungsfindung gewohnt sind."

    Wann König und Finke ein abschließendes Ergebnis ihrer Untersuchung zu "Freiheit oder Sicherheit" vorlegen können, steht noch nicht fest - das Material, das sie sichten und auswerten müssen, ist sehr umfangreich. Absehbar ist aber, dass es um die bürgerlichen Freiheitsrechte nicht gut steht, wenn der Gesetzgeber in den juristischen Kampf gegen den Terror zieht.