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Freizeitpark Alpen (2/5)
Auf der Suche nach Normalität in Ischgl

Im wohl schillerndsten Skiort Österreichs wird bewusst mit der Grenzwertigkeit gespielt: exzessive Après-Ski-Partys, Auftritte von Weltstars, Touristen im Dauerdelirium. Aber gibt es in Ischgl auch einen dörflichen Alltag? Ein Gespräch mit der Jugend des Dorfs.

Von Antonia Kreppel | 23.01.2018
    In Ischgl kommen regelmäßig Zehntausende Fans zu Konzerten von Weltstars in großer Höhe, hier beim Elten-John-Konzert im Mai 2008
    In Ischgl kommen regelmäßig Zehntausende Fans zu Konzerten von Weltstars in großer Höhe, etwa zu Elton John (picture alliance / dpa / Felix Hörhager)
    "I bin Sina Zangerl und bin 13 Jahre alt."
    "I bin Lorena Walser und bin 13 Jahre alt."
    "I bin Schmied, Magdalena und bin 15 Jahre alt."
    Die drei Mädchen sitzen dicht beieinander auf einer bunten Couch im Jugendraum und spielen mit ihren Handys. Hier in den verwinkelten Räumen einer ehemaligen Gaststätte am Rande des Dorfes trifft sich die Ischgler Jugend am Sonntagnachmittag, zum Plaudern und Tischtennisspielen. Um die 25 sind heute gekommen.
    Das kleine Bergdorf am Ende des Paznauntals wächst in der Wintersaison schnell mal von 1.600 Einwohnern auf das Zehnfache. "Ich find's gut", meint Magdalena mit schüchternem Lachen. Ihr Vater arbeitet bei der Gemeinde, die Mutter führt eine Pension.
    "Weil wir ja vom Tourismus leben, und wir sind ja froh, dass die Gäste kommen, und andererseits ist es auch ein bisschen nervig, weil vom Après-Ski ist auch ein bisschen laut, eigentlich im ganzen Ort jetzt so."
    "Relax. If you can ..."
    Schon die Einfahrt ins Dorf durch die sogenannte "Parking-Lounge" – ein überdimensioniertes Parkhaus auch für die vielen teuren Geländewagen – zeigt, wer hier Kunde ist. Die Vier-Sterne-Häuser liegen nahe beieinander, inzwischen gibt es Restaurants mit 16 Hauben, der Auszeichnung des "Gault-Millaut" und "sechs Hotels speziell für Porschefahrer".
    Skifahrer im österreichischen Ort Ischgl
    Das 1.600 Einwohner zählende Dorf wächst in der Wintersportsaison schon mal aufs Zehnfache an (Imago)
    "Relax. If you can ...", lautet der aktuelle Werbeslogan des Wintersportorts Ischgl, der mit seinen exzessiven Après-Ski-Partys immer wieder Furore macht. Werden die angetrunkenen Gäste lästig, kann man ihnen aus dem Weg gehen?
    "Ja, wenn man jetzt mit Freunden in der Gruppe unterwegs isi, dann stört mich des jetzt nit so. Außer sie kommen her und machen Sprüche, des is dann schon a bissel komisch. Mir kommt es vor, dass es dann ein bisschen unheimlich wird. Weil des sind dann doch meistens Männer, und dann sind die meistens grösser, weil ich bin eher klein." (lacht)
    Magdalena kuschelt sich tief in das Sofa; sie möchte eine Konditorlehre bei dem Bäckermeister im Ort machen.
    Man lebt vom und mit dem Tourismus
    Gabriel, 21 Jahre jung, schaut bei den Mädels im Spielraum vorbei. Seit kurzem betreut der angehende Lehrer die Jugendlichen am Wochenende:
    "Ohne Tourismus hätten wir a Riesenproblem. Ich glaub' schon, dass des für die Jugend gut ist. Man hat Kontakt mit anderen Menschen von Norwegen, von Holland, von überallher. Man lernt da halt Leute kennen, wenn man irgendwo hingeht. Und wenn des net wär, da würden wir in unserem Tal drinnen sein und zwei Mal im Monat auf Landeck rauskommen. Und des war's. Im Sommer hat sich des auch mehr entwickelt für die Jugend. In Ischgl gibt's jetzt so einen Sky-Fly, da wird man angeschnallt und über die Schlucht runter - na super. Und es wird da im Skigebiet immer mehr gemacht für die Jungen."
    Gabriel lacht viel und breit. Auch er kommt wie die meisten hier aus einer Familie, die im Tourismus ihr Geld verdient: Der Vater ist Kassenchef bei der Silvretta-Seilbahn, die Mutter Lohnverrechnerin. Ihm gefällt das rege Vereinsleben im Dorf.
    "Und bei uns ist fast jeder jetzt in der Musikkapelle, bei den Schützen oder bei der Landjugend. Jeder ist irgendwo im Verein drinnen, und da wird man einfach von jung auf gefördert und mitgezogen, und des schätzt die Gemeinde auch. Das ist was ganz anderes, als wenn einer kommt, der was nirgends drin ist, wo du gar net kennst, aber des ist nie der Fall eigentlich. In Ischgl kennt jeder jeden, ja."
    "Man tendiert halt immer zu mehr"
    Eng ist das Tal, dicht gedrängt stehen die properen Häuser im sogenannten Tiroler Stil mit Erkern, Türmchen und Fassadenmalerei. Die Ischgler Jugend ist eine eingeschworene Gemeinschaft. In dem Gaststättenraum aus den Siebzigern mit holzvertäfelter Decke und Neonlicht hängen sie aufeinander; erzählen Geschichten vom Vortag, vom Ausgehen in den Touristenkneipen und -diskos, von der Woche in Innsbruck. Viele gehen dort auf die Tourismusfachschule oder die Handelsakademie, wollen einmal Hoteliers werden. Die Rollenverteilung ist traditionell.
    Turm der Kirche St. Nikolaus im Tiroler Skiort Ischgl
    Es gibt auch Normalität in Ischgl. Neben dem Rummel ums Skifahren führen die Einheimischen ein reges Vereinsleben. (Imago)
    Ein Junge: "Als Söhne sind wir in einem Hotel aufgewachsen, und da wär das auch schön für die Eltern, dass wir das so gut wie möglich übernehmen können. Und dazu brauchen wir eben die Ausbildung, die wir zur Zeit machen. I find des ziemlich relaxed, weil – so wie auf dem Silbertablett serviert."
    Ein anderer Junge: "Man ist halt schon als kleines Kind im Hotel und weiß schon, wie alles ablauft, und man wächst da halt in das Leben rein."
    Das Leben in Ischgl ist zumindest für die Touristen ein Leben der Superlative: Bei den "Top-of-the-Mountain"-Konzerten zu Saisonbeginn kommen bis zu 20.000 Besucher. Die neueste Errungenschaft: ein Speichersee mit einem Fassungsvermögen von 60.000 Kubikmetern; er garantiert, dass 85 Prozent des Skigebiets künstlich beschneit werden können. Ist der Ausbau der Alpen Diskussionsstoff für die Ischgler Jugend?
    Ein Mädchen: "I weiß nit, da hab ich mir eigentlich noch nicht viel Gedanken darüber gemacht. Aber ich glaub, des is eigentlich (lacht), ja, ich glaub, des is schon positiv, weil auch mehr Gäste kommen, und da braucht man mehr Pistenkilometer zum Fahren als Ausgleich. Ja, man baut immer mehr Hotels und größer, und die müssen auch befüllt werden. Drum, man tendiert halt immer zu mehr. Ja."
    Ein Junge: "Ich möchte jetzt mal sagen, dass wir Tiroler sehr naturverbunden sein, in dem Sinn eigentlich."
    (Lautes Gelächter)