Samstag, 20. April 2024

Archiv

Fremdenfeindliche Angriffe in Südafrika
Die Gewalt kann jederzeit wieder eskalieren

Nach der Eskalation der fremdenfeindlichen Gewalt in Südafrika ist scheinbar Ruhe eingekehrt. Inzwischen unterstützt die Armee die Polizei. Doch die Einwanderer und Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Staaten, die Zielscheibe der fremdenfeindlichen Mobs waren, trauen dieser Ruhe nicht. Die Angst vor neuen Ausschreitungen ist groß.

Von Leonie March | 25.04.2015
    Plünderungen nach Ausschreitungen östlich von Johannesburg
    Plünderungen nach Ausschreitungen östlich von Johannesburg (afp / Mujahid Safodien)
    Auf den ersten Blick könnte man meinen, in der Innenstadt von Durban sei der Alltag wieder eingekehrt. Keine Spur mehr von den Straßenschlachten und den Plünderungen, keine größere Polizeipräsenz und kein Militär in Sicht. Doch die Ruhe trügt, erzählt Baruti Amisi, der vor Jahren vor dem Bürgerkrieg aus dem Kongo ins vermeintlich sichere Südafrika flüchtete. Die brutalen Szenen der letzten Wochen erinnern ihn an seine Heimat. Erst vor ein paar Tagen hat sich ein mit Macheten bewaffneter Mob junger Südafrikaner vor seinem Appartementblock zusammengerottet und versucht, die Tür einzutreten.
    "Meine Familie und ich fühlen uns permanent bedroht. Meine Kinder gehen momentan nicht zur Schule, sondern bleiben Zuhause in Sicherheit. Keiner von uns wird auf absehbare Zeit die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, weil es einfach zu gefährlich ist. Unsere Wohnung ist wie ein Gefängnis. Wir sind gezwungen uns hier zu verstecken, weil keiner weiß, was noch passieren kann."
    Vielen geht es ähnlich. Doch heute muss Baruti Amisi seine Wohnung verlassen – als Vorsitzender des Flüchtlingsrats der Provinz Kwazulu Natal besucht er eines der Aufnahmelager, das die Stadt und Hilfsorganisationen für die verängstigten Ausländer eingerichtet haben. Offiziell wird die Zahl der Toten mit sieben angegeben. Die Dunkelziffer liege aber sicherlich höher, betont Amisi. Die Situation sei schlimmer als bei der letzten Eskalation der fremdenfeindlichen Gewalt im Jahr 2008. "Es ist schlimmer als je zuvor, weil die Attacken diesmal gut organisiert zu sein scheinen. Das mussten selbst führende Politiker zugeben. Die Angreifer töten und plündern an einem Ort und werden dann zum nächsten gekarrt. Sie haben also Transportmittel. Außerdem haben sie gleichzeitig in verschiedenen Gegenden angegriffen, auf eine gut koordinierte, militärische Art und Weise."
    Wer die fremdenfeindlichen Mobs unterstützt, ob wirtschaftliche oder politische Interessen dahinter stünden, darüber könne momentan jedoch nur spekuliert werden, fügt Amisi hinzu, als er vor dem Auffanglager in Isipingo aus dem Wagen steigt.
    Das Gefühl von Bedrohung bleibt
    Auf einem Sportplatz sind mehrere Zelte aufgebaut. Das Gelände ist eingezäunt; die Stimmung deutlich angespannt. Sicherheitsleute wollen eine Gruppe verzweifelter Neuankömmlinge nicht hereinlassen. Sie müssten erst registriert werden, beruhigt Abdirisack Hashi die Gruppe kongolesischer Männer und somalischer Frauen. Hashi arbeitet für die südafrikanische Hilfsorganisation "Gift of the Givers", die den verängstigten Einwanderern und Flüchtlingen hier – im Gegensatz zur Regierung - seit Beginn der Ausschreitungen zur Seite steht. "Jeden Tag kommen neue Leute, die bei uns Zuflucht suchen. Seit Ende März haben wir allein in diesem Camp 1.400 Menschen aufgenommen. Einige haben sich wochen- oder tagelang versteckt und trauen sich jetzt erst, hierher zu kommen. Sie fühlen sich in ihrer Nachbarschaft noch immer bedroht."
    Niemand könne sich momentan vorstellen, das vergleichsweise sichere Camp zu verlassen, betont auch Coco Bishogo. Die junge Kongolesin lebt mit ihren zwei Kindern schon mehrere Wochen hier. In dem Zelt, das sie sich mit Dutzenden anderen Frauen teilt, liegen dünne Matratzen dicht an dicht, an der Zeltwand haben sie ihr Hab und Gut aufgeschichtet, Taschen mit Kleidung und ein paar andere Habseligkeiten. Das meiste mussten sie zurücklassen.
    "Ich habe gearbeitet, als wir angegriffen wurden. Ich hatte einen kleinen Friseursalon gemietet, meine somalischen und pakistanischen Nachbarn verkauften Lebensmittel. Ich weiß nicht mehr, wie viele sie waren, aber sie waren bewaffnet, einige kannte ich sogar. Sie schrien: 'Haut ab in Eure Heimat. Ansonsten bringen wir Euch um.' Dann haben sie unsere Läden geplündert. Am Tag darauf kamen sie auch zu unseren Wohnungen. Die Polizei hat uns zwar hierhergebracht, aber wenn wir irgendwann mal wieder raus können, müssen wir bei null anfangen."
    UN-Flüchtlingswerk soll sich engagieren
    Im Blick der jungen Mutter liegen neben Angst auch Erschöpfung, Wut und Hoffnungslosigkeit. Sie ist als Flüchtling in Südafrika anerkannt, legal im Land mit gültiger Aufenthaltsgenehmigung. Aber all das nützt ihr nichts. Menschen aus anderen afrikanischen Staaten schlägt vor allem in den Armenvierteln Südafrikas pauschal der Hass entgegen. Sie nehmen uns unsere Jobs weg, spannen uns unsere Frauen aus, verbreiten Krankheiten und sind kriminell - so lautet das pauschale Vorurteil, erklärt Baruti Amisi. An den sozioökonomischen Ursachen, der hohen Arbeitslosigkeit, dem Mangel an menschenwürdigem Wohnraum und der Armut habe sich seit 2008 nicht viel geändert.
    "Natürlich nehmen wir zur Kenntnis, dass die Regierung jetzt sagt, sie wolle etwas dagegen tun. Aber dafür reicht es nicht, das Problem in schicken Hotels zu debattieren und Reden zu halten, in der die Gewalt verurteilt wird. Sie müssen sich endlich mit den Menschen in den Armutsvierteln selbst auseinandersetzen, ihre Sorgen anhören und einen Dialog anstoßen. Es wäre auch schön, wenn das UN-Flüchtlingswerk sich mehr einsetzen würde. Wir müssen die Kluft zwischen den Einheimischen und uns Ausländern überbrücken. Aber wer soll das schaffen, wenn nicht die Regierung oder die UN?"
    Trotz aller Ankündigungen der Regierung und der internationalen Appelle der letzten Tage bleibt Baruti Amisi skeptisch. Er wirkt abgekämpft, als er sich wieder auf den Weg zurück in die Innenstadt macht. Um sich dort wieder mit seiner Familie einzuschließen. Denn noch kann die fremdenfeindliche Gewalt jederzeit wieder eskalieren.