Donnerstag, 25. April 2024

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fremdkörper. hautnah.

Es sind Sprachbilder, die wir tagtäglich verwenden: Wir können "Wünsche von den Lippen ablesen", wollen nicht "in jemandes Haut stecken" oder "fallen aus allen Wolken". Wir gehen mit diesen Metaphern um, ohne ihre Bildkraft zu bemerken. Der Dramatiker und Lyriker Albert Ostermaier hat in seinem neuen Band "fremdkörper. hautnah" genauer hingehört. Vom Wühltisch der Alltagssprache hat er diesen "wortschatz" geklaubt, um ihn auf überraschende Weise beim Wort zu nehmen wie in seinem Gedicht "mono":

Stefan Sprang | 05.02.1998
    "du sollst keine götter neben mir haben/ knie dich nieder bete mich an sprich/ wenn du mich in den mund nimmst/ mit engelszungen das gefällt mir denn/ ich bin das mass aller dinge der quell/ in der wüste & der deiner freuden die/ wonne des lebens & auch sein beginn/ ich bin du spürsts der stamm auf dem/ man ein geschlecht aufbaut & sieh/ doch selbst wie alles passt wie eines/ sich zum andren fügt & sag wo wär/ daneben platz für einen andren noch."

    Schamlos eignet sich Ostermaier die Sprachklischees an, um damit dazu Lebens- und Liebesgefühl der 90er Jahre und der berüchtigten "generation X" auf einen poetischen Nenner zu bringen. Aus einem Haufen Phrasen und Floskeln macht er lyrische Miniaturen mit einem erkennbaren Groove. Seine Texte funktionieren manchmal wie Soundtracks zu den melancholischen road movies der Gegenwart. Ostermaier jongliert mit Binnenreimen, Zeilensprüngen, Versbrechungen und Rhythmen, auf denen die Sprache ja gleitet und strömt: Das Gedicht als atmosphärischer "Literaturclip". Von den Kritikern wird Ostermaier deshalb gern als Poppoet etikettiert, irgendwo zwischen Jimmi Hendrix, Bruce Springsteen und Tom Waits. Doch der Lyriker ist kein cleverer und marktbewußter Lieferant der intellektuellen Unterhaltungsindustrie. Was Ostermaier von den hierzulande stilbildenden Gegenwartslyrikern unterscheidet, ist das Verfahren. Über ein sprachpathologisches Zergliederungswerk hinaus sucht er nach einem erweiterten Zugriff: "Natürlich ist dieser Sezierungsprozeß von Sprache, von Wirklichkeitswahrnehmung ein ganz existentieller für das Schreiben und ganz wichtig. Aber was ich eigentlich ganz spannend finde ist, daß man das Sprachmaterial, das man vorfindet, zum Beispiel, wenn man nur so ein Thema nimmt wie "Liebesgedichte": Daß man dieses ganze Feld, dieses Material an Sprache hernimmt und wieder durch Neukombination, durch leichte Veränderung, durch rhythmische Veränderung wieder neu belebt, in neue Zusammenhänge bringt und somit ihm wieder was abgewinnt. Und eine Sprache findet. Bei mir ist es so, daß es eigentlich einen Sezierungsprozeß gibt. Dann versuche ich das Ganze, ohne an der Genauigkeit jetzt etwas zu verraten oder an Anspielungsebenen, dann wieder eben an einen Adressaten zu bringen. Das heißt, das Material nicht wieder zu zerhacken, sondern wieder in eine bündige Form zu bringen."

    Dieser dialogorientierte Umgang mit Sprache ist die Schnittstelle zwischen dem Lyriker und dem Dramatiker Ostermaier. Komponiert er auf der einen Seite seine Stücke dicht und konzentriert wie Gedichte, so sind auf der anderen Seite seine Gedichte destillierte Kurzdramen, die man mit verschiedenen Rollen und Interpretationen inszenieren kann. Ostermaiers Anspruch ist es, wieder eine direktere Art der Publikumsansprache zu finden, ohne den eigenen ästhetischen Maßstab zu verraten: "wenn ein dichter keine angst/ mehr einjagt soll er besser/ aus der welt gehen", heißt es in dem Pasolini gewidmeten Gedicht "vita violenta". Das Thema ist hier die offensichtliche Wirkungslosigkeit von Literatur und speziell Lyrik. "Man hat eigentlich keine Möglichkeit, kein Resonanzfeld, um als Dichter noch in einen gesellschaftlichen Diskurs einzusteigen", so Ostermaier. "Aber ich denke, man muß um so mehr versuchen, daß man sich als Autor wieder in der Gesellschaft verankert, in der Diskussion verankert, und einfach durch eine Schärfung der Gedanken, eine Schärfung der Sprache auch versucht, wieder Feld zu gewinnen. Und das heißt auf der einen Seite, daß man versucht, in den Texten Dinge zu benennen, die man benennen will. Und auf der anderen Seite auch versucht, in der Vermittlung von Lyrik neue Wege zu gehen. Das heißt, die Lyrik aus diesem hermetischen Kreis und aus dieser Selbstbeweihräucherungsecke zu nehmen und vielleicht auch zu versuchen, offensiv in Zusammenarbeit mit Musikern, mit Videoclips, einfach zu sagen: Das sind die Mittel unserer Zeit, mit denen wir aufgewachsen sind und die uns bewegen, und die eigentlich auch die Leute, mit denen wir uns umgeben, konsumieren, und i versuchen, da einfach wieder Schneisen zu schlagen, um Leute mit Lyrik zu konfrontieren, die sonst vielleicht Hemmschwellen haben."

    Das bedeutet für Albert Ostermaier auch, direkt an die Erfahrungswelt seiner Leser und Zuhörer anzuschließen. Nach langer Abstinenz legt er in seinem neuen Band wieder eine Reihe von Liebesgedichten vor. Das Wagnis könnte kaum größer sein, denn auf keinem anderen literarischen Themenfeld ist die Metaphorik solchermaßen verbraucht und abgedroschen, ist authentischer Ausdruck unmöglich geworden. Mancher Vers gerät Ostermaier dann auch gefährlich schnulzig, doch die ironische Brechung läßt selten lange auf sich warten. Das persönliche und intime Gedicht ist bei Ostermaier ein Medium, um ausgehend von den Konflikten und Verletzungen in Zweierbeziehungen die inneren Verwerfungen und emotionellen Defizite einer ganzen Gesellschaft auszuleuchten. "fremdkörper. hautnah", der Titel des Gedichtbandes, bringt das moderne Dilemma auf den Punkt. Zwischen Beziehungstereotypen und sprachlichen Versatzstücken aus Medien und Mode erscheint Gefühl nur noch als seine eigene Imitation: Der andere bleibt der Fremde, die Sehnsucht auf der Strecke: "dass zu lieben heisser ist als nicht/ zu lieben kannst du vergessen/ also schliess dein herz an/ die fernheizung an & machs ihm/ bequem in seiner nördlichen/ haut/ oder willst du dass es/ sich verkühlt an deinem kopf besser du bewahrst es davor &/ hast du was zu wünschen übrig/ wünsche es dir ein traum ist/ dazu da dass man ihn wagt & nicht verschläft"

    Albert Ostermaier versteht sich auch als dezidiert politischer Lyriker. Im dritten Teil versammelt "fremdkörper. hautnah" Gedichte zu antiken Mythen von Ödipus über Antigone; hier erweitert sich das Themenfeld, der Diskurs erfaßt auch das der Geschichte und die konkrete Politik. Die lyrische Sprache wird direkter, die Haltung des Lyrikers ist unmißverständlich: "maulkorb/ nur wer mein freund seine standpunkte/ zu verhüten weisse hat politisch korrekt/ erigiert was bleibst du deinen worten/ treu du musst sie wechseln wäg sie ab/ schweigen ich sags dir ist ein goldenes/ mundwerk & ein wortschatz der sich/ heben lässt wenn man ihn wörtlich/ nimmt also halte dran mit/ redsamen händen & wenn dus schon/ nicht halten kannst halte es zumindest/ für bedenklich & nicht der rede wert/ nur bringe ich bitt dich es niemals auf den punkt auf dem du stehst so geht dir/ nichts ab & du bleibst sauber im/ geschäft aber bitte korrigier mich/ wenn ich recht habe."

    In seinen politischen Texten fällt dann auch die Verbindung von Ostermaier zu Ernst Toller und Bertolt Brecht auf, mit denen der junge Münchner sich in seinem dramatischen Werk auseinandergesetzt hat. Und wie diese bedient er nicht nur das Theater mit beachtlichen, energiegeladenen Texten: Albert Ostermaier ist ein hervorragender Lyriker, der sich frei macht von Konventionen, und literaturtheoretischen Fesseln. Aus Assoziationsfeldern und Wortkombinationen destilliert er eine genaue, dichte, harte Gegenwartspoesie. Ihm gelingt, was der Dichter Wolf Wondratschek nennt: "Aus einem Haufen toter Wörter Funken schlagen."