Mittwoch, 24. April 2024

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"Fremdkörper in unserem Rechtssystem"

Der Deutsche Anwaltverein hat sich gegen die von der Bundesregierung geplante neue Kronzeugenregelung ausgesprochen. Sie sei eine "in Gesetz gegossene Aufforderung zum Denunzieren", sagte Georg Prasser, Vizepräsident des Anwaltvereins. Als ein Argument führte Prasser Zweifel an Zeugenaussagen aus dem kriminellen Milieu an.

Moderation: Stefan Heinlein | 16.05.2007
    Stefan Heinlein: Zehn Jahre lang, von 1989 bis 1999, gab es eine Kronzeugenregelung in Deutschland: ein Mittel der Justiz, um kriminellen oder terroristischen Vereinigungen besser auf die Spur zu kommen. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg: Nur in wenigen Fällen gelang es den Behörden, Mittäter zur Aussage zu bewegen. Rot-Grün schaffte daraufhin die ohnehin umstrittene Regelung wieder ab. Nun plant Justizministerin Zypries eine Neuauflage. Diesmal sollen die Regelungen umfassender ausfallen als zuvor. Heute Beratungen im Kabinett. ( MP3-Audio , Bericht von Gudula Geuther)

    Am Telefon begrüße ich jetzt den Vizepräsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Georg Prasser. Guten Tag, Herr Prasser!

    Georg Prasser: Guten Tag, Herr Heinlein!

    Heinlein: Neuauflage also wahrscheinlich der Kronzeugenregelung. Schmeckt Ihnen dieser alte Wein in neuen Schläuchen?

    Prasser: Dieser alte Wein hat uns, dem Deutschen Anwaltverein, schon in den alten Schläuchen nicht geschmeckt. Er kann uns natürlich auch in den neuen Schläuchen nicht schmecken. Die Kronzeugenregelung ist ein Fremdkörper in unserem Rechtssystem, und das hat die rot-grüne Koalition 1999 erkannt und deshalb die Kronzeugenregelung, die damals ja befristet war, auslaufen lassen, und zwar auch wegen Erfolglosigkeit auslaufen lassen. Aus Sicht des Deutschen Anwaltvereins gibt es keinen überzeugenden Grund, die gravierenden, grundsätzlichen Bedenken gegen die Kronzeugenregelung jetzt bei Seite zu wischen und mit einer Neuauflage einer Kronzeugenregelung, einer modifizierten Auflage, es jetzt noch einmal zu versuchen.

    Heinlein: Diese Modifikationen sind aber sehr weitreichend, denn in der Vergangenheit waren die Regelungen ja sehr begrenzt. Jetzt wird es ausgeweitet. Glauben Sie nicht, dass in Zukunft der eine oder andere Straftäter dann sich zu einer Aussage, zu einer Kronzeugenaussage wird überreden lassen können?

    Prasser: Das mag sein, kann ich natürlich schwer beurteilen, wie es sich entwickeln wird. Nur wenn Ziel dieser Kronzeugenregelung sein soll, in feste Strukturen der Kriminalität einzudringen, und dieses Ziel mit der alten Kronzeugenregelung nicht erreicht wurde, dann leuchtet es mir nicht ein, worauf man die Hoffnung stützen möchte, dass es jetzt mit der neuen Regelung gelingen soll. Besonders bedenklich an der neuen Regelung scheint mir zu sein, dass der Kronzeuge eben nicht nur in den Genuss der Strafmilderung kommen soll, wenn er eigenes Tun und das, in welches er involviert war, offenbart, sondern dass er zumindest auf eine Strafmilderung hoffen kann, wenn er Straftaten offenbart, von denen er nur weiß, bei denen er aber nicht teilgenommen hat. Das ist eine in Gesetz gegossene Aufforderung zum Denunzieren.

    Heinlein: Aber den Staatsanwälten und Richtern könnte die Arbeit doch in Zukunft erleichtert werden?

    Prasser: Ach wissen Sie, ich glaube nicht, dass Richter und Staatsanwälte die Arbeit mit Kronzeugen als leichte Arbeit oder als Erleichterung empfinden, denn gerade beim Kronzeugen ist es besonders schwer zu beurteilen, ob der Kronzeuge nun tatsächlich die Wahrheit spricht, denn er ist ja kein klassischer Zeuge, sondern in der Regel ein zumindest kriminell Verdächtiger, jemand, der im kriminellen Milieu ist. Dessen Wahrhaftigkeit zu beurteilen, ist in der Regel wesentlich schwieriger, als die Wahrhaftigkeit normaler Zeugen zu beurteilen.

    Heinlein: Also die Gefahr, dass ein Täter mit Falschaussagen agiert, um selber seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen?

    Prasser: Ja, diese Gefahr ist virulent, und diese Gefahr wird auch nicht dadurch beseitigt, dass die Strafandrohung für einen Kronzeugen, der eine Falschaussage macht, etwas angehoben wird. Diese Strafdrohung gab es auch bisher schon. Wer falsch verdächtigt, macht sich strafbar. Wer als Zeuge gar in einem Prozess gegen andere eine Falschaussage macht, wird hart bestraft nach unserem Gesetz. Da erhoffe ich mir keine Besserung durch die neue Kronzeugenregelung.

    Heinlein: Warum hört die Bundesjustizministerin nicht auf die Kritik von Ihrer Seite, von Seiten der Anwälte?

    Prasser: Ach wissen Sie, ich kann mir vorstellen, dass eine Bundesjustizministerin eben vielen Äußerungen ausgesetzt sich sieht und eben auch Kompromisse finden muss. Es gibt sicher Bestrebungen von anderer Seite, die sie zu einer viel weitergehenden Kronzeugenregelung drängen. Und ich könnte mir schon vorstellen, dass mit diesem Gesetzentwurf seitens der Ministerin der Versuch unternommen wurde, eben allen Aspekten gerecht zu werden. Dennoch bleibt der Deutsche Anwaltverein bei seinem Urteil, dass dieser Versuch so nicht geglückt ist.

    Heinlein: Bestrebungen von politischer Seite, von juristischer Seite ist dieses Mittel eher fragwürdig. Da sind Sie sich einig mit Ihren Kollegen?

    Prasser: Soweit ich das beurteilen kann bin ich mir da einig mit den Kollegen, Staatsanwälten, Richtern und zu einem guten Teil auch mit Polizeibeamten.

    Heinlein: Schon heute, Herr Prasser, gibt es ja Urteilsabsprachen an deutschen Gerichten. Ein Geständnis bringt eine mildere Strafe. Auch dies ist fragwürdig. Ist das nicht einfach eine mildere Form der Kronzeugenregelung?

    Prasser: Doch, eine gewisse Art der Kronzeugenregelung sieht das Strafgesetzbuch als Strafzumessungsregelung vor. Wer gesteht, wer über sein Geständnis hinaus etwas tut, das kann durchaus und wird auch in aller Regel bei der Strafzumessung zugunsten des Beschuldigten gewertet. Allerdings diese Regelung, wie wir sie jetzt bekommen sollen, nämlich dass strafmildernd berücksichtigt wird, wenn er Kenntnisse von völlig anderen Straftaten offenbart, dies sieht bisher das Strafgesetz nicht vor.

    Heinlein: Sehen Sie dennoch die Chance, dass diese Kronzeugenregelung verhindert werden kann, wenn jetzt der Diskussionsprozess politisch und juristisch beginnt?

    Prasser: Das kann ich natürlich sehr schwer beurteilen, weil: Das ist letztlich eine Frage an die Politik. Ich weiß nicht, wie sehr sich das Kabinett festgelegt hat, wie sehr sich bereits Koalitionsabsprachen manifestiert haben. Das kann ich als Anwalt eigentlich kaum beurteilen.

    Heinlein: Passt aber diese mögliche Kronzeugenregelung in ein Klima der Verschärfung der Sicherheitsgesetze, die ja von dem Innenminister ganz massiv betrieben wird?

    Prasser: Aus meiner Sicht passt das in dieses Klima.

    Heinlein: Der Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins, Georg Prasser, heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Prasser: Gern geschehen, auf Wiederhören!