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Fremdsein in Irland

Hugo Hamiltons Hauptfigur Vid ist ein serbischer Einwanderer nach Irland, der nur eines will in der neuen Heimat: dazugehören. Integration ist ein spannendes Thema, doch Hamilton will parallel die irische Kultur beschreiben - und scheitert damit: er packt zu viel in seinen Roman.

Von Tanya Lieske | 27.07.2011
    Hugo Hamilton ist ein Autor, der sich gut auskennt mit dem Fremdsein. Er ist aufgewachsen mit zwei Fremdsprachen, mit dem Gälischen und dem Deutschen. Das eine war die Sprache seines stramm republikanischen irischen Vaters; das andere die seiner Mutter, einer Einwanderin aus Deutschland.

    Als Hugo Hamilton ein Kind war, wurde draußen Englisch gesprochen. Draußen, das war das Dublin der 50er- und 60er-Jahre. Drinnen sprach man Gälisch und Deutsch, das war der Raum der Familie, sein persönliches Exil. In seinem Roman "The speckled people", in Deutschland unter dem Titel "Gescheckte Menschen" erschienen, hat Hugo Hamilton ein Zeugnis abgelegt von allen persönlichen Irrungen und Wirrungen, die aus diesem kuriosen Kindheitsexil folgten. Gescheckte Menschen, das ist ein persönliches und emphatisches Buch und bislang Hugo Hamiltons größter Erfolg.

    In seinem neuen Roman "Der irische Freund" spinnt Hugo Hamilton nun das Thema weiter. Er verlegt das Exil in die Zeit des großen Wirtschaftsbooms, als viele junge Menschen aus Osteuropa nach Irland kamen auf der Suche nach Arbeit und einem neuen Leben. Aus dem klassischen Land der Auswanderer war ein Land der Einwanderer geworden.

    Die Hauptfigur dieses Romans ist ein solcher Einwanderer. Er heißt Vid Cosic, kommt aus Serbien und begutachtet die quirlige und boomende Stadt Dublin mit den Augen eines Fremden. Vid macht die typischen Einwandererjobs, er arbeitet in einem Pflegeheim, auf Baustellen, als Wachmann und in einem Fastfood-Restaurant. Er spricht Englisch schon recht gut, weiß aber, dass Integration viel mehr ist, macht uns gleich auf den ersten Seiten auf komische sprachliche Missverständnisse aufmerksam, auf den nicht lesbaren Subtext eines Dialogs, auf den fehlenden Kontext, kurz auf den ganzen großen kulturellen Hintergrund der Sprechenden. Die Einheimischen erscheinen mal sehr herzlich, dann unberechenbar, sogar brutal. Vid will nur eines: dazugehören. "Ich mochte die Leichtigkeit, mit der man anderen Menschen das Gefühl gab, zuhause zu sein", sagt Vid. "Die Redseligkeit. Die Übertreibungen. Die rätselhaften Worte. Ich wollte hierher gehören."

    Integration ist ein spannendes Thema, doch Hugo Hamilton will mehr. Er will auch die eigene Kultur beschreiben, und zwar durch den Blick des Fremden gesehen, verfremdet. Das ist zu viel. Es ist, als wolle man ein Haus beschreiben und zugleich aus dem Fenster schauen. Der Roman leidet an seinem ungeklärten Erzählanliegen.

    Folgerichtig ist auch die Hauptfigur nur wenig konturiert. Vid Cosic muss Beobachter sein, Fokus und Projektionsfläche. In der Summe, ein Mann, der sich nicht allzu viele Eigenschaften leisten kann. Er lässt sich treiben, nimmt jeden Auftrag an und er tut, was ihm befohlen wird.

    Ein Befehlender ist auch zur Stelle. Kevin Concannon ist ein ebenso smarter wie unberechenbarer Anwalt. Er bietet Vid zunächst Drinks an, dann seine Freundschaft, dann Anschluss an seine ganze Familie. Vid ist selig. Er glaubt sich am Ziel, denn er will vor allem eines: dazugehören.

    Als Vid unverschuldet in eine Prügelei gerät, schaltet sein Freund Kevin sich ein und schlägt dabei einen Mann fast zu Tode. Angeklagt wird Vid, Kevin zieht sich aus der Affäre, rettet den eigenen Ruf als Anwalt, lässt den Freund hängen, aber er übernimmt dessen Rechtsberatung. Ein subtiles Spiel folgt, in dem es um Abhängigkeit geht, um Macht, um Freiheit. Das hat das Zeug zu einem großartigen psychologischen Drama, doch dieser Handlungsstrang verpufft. Etwa zur Hälfte des Romans wird Vid freigesprochen - wegen eines Verfahrensfehlers vor Gericht.

    Schuld vereint. Vid Cosic darf sich nun als vollwertiges Mitglied von Kevins Familie fühlen. Auch diese birgt dunkle Geheimnisse. Eine Andeutung von häuslicher Gewalt, Brustkrebs, ungeöffnete Briefe aus Amerika, eine dramatische Scheidung, Drogen, eine ungewollte Schwangerschaft. Kurz, all das, was sich in irischen Familien so abspielt, wenn sie in einen Roman einziehen oder auf die Bühne gestellt werden. Das wirkt dann auch entsprechend klischeehaft und überfrachtet.

    Immer tiefer lässt Vid sich in diesen Morast hineinziehen, verlockt durch den dunklen, manchmal brutalen Charme jenes Mannes, den er für seinen besten Freund hält: Kevin Concannon ist eine gelungene Figur, das eigentliche Energiezentrum dieses Romans. Der deutsche Titel dieses Buchs, "Der irische Freund", trägt dem Rechnung.

    Vid Cosic hingegen kann sich kaum entwickeln, er hängt fest in der Rolle des Beobachters, so wie sie ihm auf den ersten Seiten des Romans angepasst wurde. Anders ausgedrückt: Vid ist der Analytiker und ganz Irland liegt auf der Couch.

    Zwar hat auch Vid eine dramatische Vergangenheit in Belgrad zurückgelassen, doch das konturiert die Figur nicht. Es gehört eher zu dem bedeutungsschwangeren Raunen, wie es diesen Roman durchzieht.
    Gegen Ende kommt dann noch eine unter tragischen Umständen ertrunkene Frau ins Bild. Das Geschehen verlagert sich an die raue irische Westküste, auf die Aran Islands, dorthin, wo noch Gälisch gesprochen wird. Inseln, Ertrunkene, das Wasser überhaupt, all das setzt einen großen, fast schon mythischen Assoziationshintergrund frei. Man ist angelangt im Kerngeschäft der irischen Folklore. Ausgerechnet Vid Cosic, der Fremde, soll hier nun aufräumen. Das klappt zwar auf dem Papier, nicht aber in den Köpfen und Herzen der Leser dieses Romans. Man schließt das Buch etwas benommen und fragt sich, wie viele Geschichten Hugo Hamilton in diesem einen Roman eigentlich schreiben wollte? Das ganze Irland zwischen zwei Buchdeckeln, das hat noch niemand geschafft.

    Hugo Hamilton: "Der irische Freund". Deutsch von Henning Ahrens.
    Luchterhand Verlag, 288 S.,19,95 Euro