Donnerstag, 18. April 2024

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Freundlicher Lockenkopf

Narren und Weise haben viel gemeinsam. Als Etgar Kerets erste Kurzgeschichten in der Bundesrepublik vorgelegt wurden, erschienen ihre Naivität als Luftballon kindlicher Phantasie in einem kriegerischen Land. Keret ist Jahrgang '67. Wie viele der Autoren seiner Generation galt er als ein Kind von Groß Israel, hatte er die Bedrohung durch syrische Kanonen auf dem Golan und die schmale Landestaille zwischen der Westbank und dem Meer nie existenziell erfahren. Keret, der nach dem Selbstmord seines besten Freundes das Schreiben für sich entdeckte interessierte sich nie für Helden, sondern die subjektive Sicht der Schwachen und deren Verweigerung. Vielleicht, weil seine Generation als die im Gelobten Land geborenen Nachkommen der unterdrückten Schtetljuden dazu auserkoren worden war, den neuen David Schwarzenegger darzustellen, der stets die Übermacht besiegt, und doch kein bisschen Muffensausen kriegt.

Jochanan Shelliem | 17.11.2003
    Anders als die Generationen, die uns vorausgegangen sind, nehmen meine Altersgenossen und ich unser Land als gegeben hin, es gab den Staat Israel bereits als ich geboren worden bin, es gab ihn bereits in seiner heutigen Größe, er war nicht klein, er musste nicht gegründet werden, man musste nicht um sein Überleben kämpfen, er war ein Staat, wie all die Nachbarstaaten auch. Unsere Eltern haben ihr gesamtes Leben am Zionismus ausgerichtet, Opfer gebracht, für den Aufbau des Staates Israel gekämpft. Wir aber haben nicht mehr das Gefühl, dass wir den Zionismus jetzt noch brauchen würden. Diese Ideologie ist kollabiert, sie hat in unseren Seelen ein Vakuum hinterlassen, ein Loch.

    Der kombatante Zionismus erschien ihm stets als Beagle, als prall gefüllte Ideologiekringel mit einem Loch als Kern. Kein Wunder, dass die Kämpen der alten Schriftstellergarde den jungen Keret nicht verstanden haben.

    In einem Interview hat Abraham B. Jehoschua gesagt, dass er meine Art zu schreiben mag, mich aberfür einen Feigling hält, weil ich keine politischen Standpunkt bezöge. In meinen Alter hätten andere, wie Amos Oz, längst ihre Position deutlich gemacht. Ich denke aber, dass Literatur zu weit komplexeren Aussagen taugt, als aufzuschreiben, was richtig ist und was falsch, und wenn ich meinen Lesern etwas mitteilen will, dann, nicht unbedingt auf dem eigenen Recht zu bestehen, sondern ganz einfach nett zu sein.

    Das sagte Keret vor fünf Jahren, heute ist die Qualität seiner Radiographien nicht nur in Israel anerkannt. Keret, der auch in seiner vierten Sammlung von Short Stories, die dieser Tage bei Luchterhand erschienen ist, seinen Blick nicht von den kleinen Dingen im heute verbitterten Alltag seines Landes abwendet, Keret enhüllt in seinen Momentaufnahmen die grausame Wahrheit in diesem unerklärten Krieg jenseits aller Ideologie.

    Nein, meine Kurzgeschichten sind nicht nett. Sie werden immer bitterer, ich muss nur aus dem Fenster sehen. Es ist diese Wirklichkeit die meine Phantasie einfärbt, meine Geschichten werden immer grausamer, verrückter, immer mehr erschreckt.

    " Die Brüste der Achtzehnjährigen" heißt eine Kurzgeschichte seiner neuen Sammlung Mond im Sonderangebot .

    Da ist die Geschichte von dem Taxifahrer, der sich mit seinem Fahrgast unterhält. Es ist eine Nacht in der viele Soldaten getötet werden. Der Taxifahrer ist sehr geil. Er spricht die ganze Zeit von jungen Frauen und davon, wie er mit ihnen schlafen will. Zwischendurch ruft er seine Ex an. Sie macht sich Sorgen um ihren gemeinsamen Sohn, der in der Einheit dient, von der es heißt, dass dort zwanzig Männer gestorben sind. Ihn hat es nicht erwischt, sagt er, du bist paranoid. Ruf doch die Einheit an. Zu seinem Fahrgast sagt, Frauen sind so hysterisch, schauen Dir die an, der würde ich’s besorgen. Am Ende aber, als ihn seine Frau sagt, dass es ihrem Sohn gut geht, zeigt sich, dass er die ganze Zeit aufgewühlt gewesen ist. Er bricht beinah in Tränen aus, doch auch in dieser Situation kann er seiner Rolle als Macho nicht entkommen.

    Es ist diese Doppelbödigkeit, die Kerets Kurzgeschichten zu Parabeln werden lässt, der scheinbar naive Blick enthüllt eine kafkaeske Welt. Die Leichtigkeit der Kurzgeschichten täuscht dabei über die kunstvolle Sprachkonstruktion und die Abgründe der Geschichten hinweg.

    In vielen meiner neuen Kurzgeschichten spielen das Misstrauen der Figuren und die Verdächtigungen aller eine große Rolle. Dabei sind meine Helden meistens Optimisten, befinden sich aber in einer derart unsicheren Situation, dass sie kein Anker sichern kann und kein Refugium beschützen. Jede Berührung bringt sie mehr aus dem Gleichgewicht, als sie es zu Beginn gewesen sind.

    "Kopfschuß für Tuvja" beispielsweise, eine bittere Parabeln auf die Verwandlung des Judenstaates, eine ratlose Parabel ohne Moral.

    Es ist die Geschichte eines Kindes, das einen Hund bekommt, der aber alle anderen beißen will. Der Vater will den Hund loswerden, fährt ihn weit weg, wirft ihn ins Wasser, doch der Hund kommt stets zurück, er liebt das Kind. Es ist ein guter Hund, nur will er immer alle anderen beißen. Am Ende fahren der Vater und der Bruder des Jungen mit Tuvja weg, sie wollen ihn erschießen. Und sie tun es, der Junge ist traurig, doch einige Monate später kommt er zurück. Mit der Kugel im Kopf. Er ist paralysiert, er humpelt, doch er ist wieder da. Und das ist dann die Lösung. Er ist so schwach dass er keinen mehr beißen kann, auch wenn er das gern würde.

    Man kann Kerets Kurzgeschichten sehr gut als hellsichtige Parabeln sehen, Parabeln über einen Staat im Nackengriff des Krieges. Durch die leichtfüßige Konstruktion von Etgar Keret kann man die kunstvolle Verdichtung der Sprache aber auch übersehen, vor allem, wenn einem dieser freundliche Autor mit seinem Lockenkopf gegenüber steht.

    Man muss nur aus dem Fenster sehen, dann fallen einem derartige Geschichten ein. Wir brauchen kein Reality-TV, in Israel man muß nur aus dem Fenster sehen, dann sieht man all den Irrsinn der draußen geschieht.

    Edgar Keret
    Mond im Sonderangebot
    Luchterhand, 204 S., EUR 17,50