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"Freundschaft!"

Bis heute ist das Bild vieler Briten von Deutschland und den Deutschen geprägt von der nationalsozialistischen Vergangenheit; die einschlägigen Stereotypen werden von der Boulevardpresse gehegt und gepflegt. Doch plötzlich scheint sich das Deutschlandbild zu wandeln. Der Grund: Die Fußballweltmeisterschaft lässt das Land in einem anderen Licht erscheinen. Ruth Rach berichtet.

27.06.2006
    Historische Dokumentationen über die Hitlerzeit, Spielflime über den zweiten Weltkrieg: jahrzehntelang die Alltagskost britischer Fernsehzuschauer - zum Kummer deutscher Botschafter und Kulturinstitute, die sich stets um ein anderes Deutschlandbild bemühten.

    Aber nun sind in britischen Medien ganz andere Töne zu hören. Karl Pfeiffer, Marketing Direktor vom Goethe Institut London:

    "Ich hatte hier einen Bericht vom BBC Newsblock 'We all love you Germans' und das war wirklich nicht ironisch gemeint, von Leuten, die für ihr Medium durch Deutschland reisen."
    In der Tat: soviel Streicheleinheiten haben die Deutschen in Großbritannien noch nie abbekommen.

    "Freundschaft!" so überschreibt auch gleich die Tageszeitung The Independent einen Leitartikel. Die WM entwickle sich zu einem Straßenfest. Die Atmosphäre sei, mit wenigen Ausnahmen, wunderbar weltoffen. Die deutsche Polizei sei ein bisschen lockerer. Für junge Briten, deren deutsches Geschichtsbild sich bislang auf Hitler, Stechschritt und Hakenkreuz beschränkte, dürften die letzten Wochen eine Offenbarung gewesen sein.

    In dieser Fußballkneipe in Nordlondon ist keine einzige negative Stimme zu hören

    "Deutschland ist ein sehr schönes Land, ich würde es gerne mal kennen lernen, vor allem den Schwarzwald", sagt Steve, ein Brückenbauer aus Nordengland. Steves Vater ist im 2 Weltkrieg gefallen. Aber er betont: dieser Konflikt ist längst Geschichte. Heutzutage zerbrechen sich die Leute in England über ganz andere Dinge den Kopf.

    Mike, ein Bauarbeiter aus Südlondon nickt:

    "Natürlich wollen wir Deutschland auf dem Fußballfeld unbedingt schlagen und möchten auch gerne, dass die Deutschen gegen andere Länder verlieren. Trotzdem müssen wir zugeben, dass wir uns kulturell wahrscheinlich viel näher stehen und dass die Deutschen wunderbare Gastgeber sind."

    "Bei der WM geht's doch gar nicht um Nationalismus, sondern um Internationalismus", findet Mikes Kumpel Ian. Diese Botschaft werde von Deutschland glänzend vermittelt. Und im Übrigen: sollten es sich die Deutschen nicht zu Herzen nehmen, wenn Briten blöde Witze über sie rissen, das sei nicht bösartig gemeint.

    Wir machen uns genauso gnadenlos über uns selbst lustig. Niemand bleibt verschont. Angesichts der Leistungen ihrer Nationalmannschaft vergeht jedoch selbst Engländern der Sinn für Humor. Während sie deutsche und argentinische Spieler mit Lob überhäufen, finden viele für die eigenen Fußballer Kommentare, die kaum mehr sendefähig sind.

    "Schändlich. Null Gewinnchancen."

    Kommentare so defätistisch, dass ihnen Moderatoren im Rundfunk gut zusprechen müssen:

    "Sie sahen nicht gut aus, aber sie haben's zumindest geschafft... Um Himmelswillen, verliert nicht den Glauben an sie."

    Die Deutschen scheinen unterdessen, so finden jedenfalls die Briten, im Zuge der WM den Glauben an sich selbst wieder zu finden. Erst vor kurzem empfahl der englische PR-Papst Wally Olins den Deutschen, ihr eigenes Image doch endlich aufzufrischen:

    "Deutschland seit 1945 ist ein völlig anderes Land: es hielt sich im Hintergrund, hat sich ängstlich mit seiner eigenen Geschichte beschäftigt. Vielleicht hat Deutschland noch nicht zu sich selbst gefunden."

    Ian, Nordlondoner Fußballfan, findet es gut, dass die Deutschen es endlich auch wagen, ihre Fähnchen zu schwenken. Und was hält er von der deutschen Nationalhymne?

    ""Sie haben Recht, die erste Strophe wegzulassen, aber die Melodie ist einfach fantastisch."