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Frieden, aber keine Jobs

Zehn Jahre nach Ende des Kosovo-Krieges heißt es bei der NATO: Die Sicherheitslage habe sich verbessert, und so sei nur noch eine "Abschreckungspräsenz" nötig. Die serbische Minderheit beobachtet den Rückzug teilweise mit Skepsis. Die Kosovo-Albaner sehen hingegen die schleppende wirtschaftliche Entwicklung mit Sorge.

Von Andrea Mühlberger | 12.06.2009
    Niedrige Bauernhäuser, eine Schule mit Bolzplatz, eine Dorfkneipe, ein Kirchhof mit eigener Weinkellerei. Und das alles umgeben von Hügeln, auf denen seit Jahrhunderten Wein angebaut wird. Velika Hodscha war einmal ein beschauliches, lebendiges Dorf im Süden Kosovos. Seit Ende des Krieges ist es eine serbische Enklave, aus der nach und nach die Menschen abgewandert sind. Nicht einmal jeder Zehnte hat Arbeit. Und seit die Soldaten der Schutztruppe KFOR ihren Stützpunkt über den Weinbergen geräumt haben, sind die verblieben 600 Einwohner in großer Sorge.

    "Wir haben Angst. Ohne den Schutz der internationalen Soldaten sind wir den Albanern ja regelrecht ausgeliefert!"

    …klagt eine Frau, die gerade ihre Einkäufe erledigt hat. Der Dorfvorsteher Alexandar Mitic pflichtet ihr weitgehend bei:

    "Die Lage hat sich zwar in den letzten Jahren gebessert. Und im Dorf sind wir auch relativ sicher. Das Problem ist aber, dass sich die Weinbauern draußen, auf ihren Feldern, bedroht fühlen. Sie haben Angst, dass man sie umbringt oder kidnappt. Denn solche Erfahrungen haben wir immer wieder gemacht."

    Mögen diese negativen Erfahrungen auch weit zurück liegen: Zehn Jahre nach Kriegsende sind viele Erinnerungen und Wunden noch immer frisch – auf beiden Seiten. Gegenseitiges Misstrauen bestimmt noch immer den Alltag von Serben und Albanern im Kosovo.
    "Für uns Serben ist die Lage schlimmer geworden, seit die Albaner die Unabhängigkeit ausgerufen haben. Sie treten jetzt sehr arrogant auf – und haben so eine unglaubliche Energie... "

    Angst und Perspektivlosigkeit bei den Serben, Aufbruchstimmung bei den Kosovo-Albanern? Bei der internationalen Schutztruppe im Feldlager Prizren sieht man die Energie der Kosovo-Albaner eher positiv. Gleiches gilt für die Sicherheitslage. Der Schutz der Minderheiten im Land hat natürlich weiter Priorität - erklärt der Brigadegeneral des Deutschen Einsatzkontingents, Benedikt Zimmer.
    "Der Kernauftrag von KFOR ist unverändert ein sicheres und stabiles Umfeld zu gewährleisten. Dieser Schirm der Sicherheit, den wir seit mittlerweile zehn Jahren gewährleisten, ist sehr akzeptiert von der Bevölkerung. Seit Beginn der KFOR-Operation haben wir schon deutlich reduziert. Das zeigt, dass wir immer wieder der Entwicklung in diesem Land Rechnung tragen... "

    Und aus Sicht der NATO ist die Sicherheitslage im Kosovo, zehn Jahre nach dem Krieg, so stabil, dass inzwischen eine "Abschreckungspräsenz" genügen dürfte – im Klartext bedeutet das: weiterer Truppenabbau. Sicherheitsexperten sind sich inzwischen auch weitgehend einig: Die größte Gefahr für den jüngsten Staat Europas ist nicht das latente Misstrauen der Serben und Albaner. Sondern die wirtschaftliche und soziale Lage im Land. Fragt man jugendliche Kosovo-Albaner, wovon sie träumen, antworten sie:
    "Nach Deutschland gehen, dort ist es besser..."

    Denn für die überdurchschnittlich vielen Schul- und Studienabgänger sieht die Zukunft nicht besonders rosig aus: Gut bezahlte Jobs bei internationalen Organisationen oder bei der Regierung bekommt man in der Regel nur durch Beziehungen.

    "Wenn du keinen kennst, bei der Regierung oder bei den internationalen Institutionen, bekommst du keinen Job!","

    …klagt eine junge Albanerin, die Wirtschaft studiert hat und seit drei Jahren auf Arbeitssuche ist, aber nicht auf der Liste gewisser Clans steht. Im Kosovo gibt es kein Arbeitslosengeld, keine richtige Krankenversicherung und Altersvorsorge. Die meisten leben von den Überweisungen ihrer Verwandten, die im Ausland arbeiten:

    " "Mein Onkel gibt uns Geld und wir studieren. Es ist schwer, weil wir haben hier nicht viel Arbeit im Kosovo..."

    …beschreibt eine Studentin die trostlose Lage. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Ausländische Investitionen laufen bisher schleppend an. Nach der Unabhängigkeitserklärung vor anderthalb Jahren gab es einen kurzen Aufschwung. Dann kam die globale Krise. Für den Regime-Kritiker Albin Kurti ist das keine Entschuldigung. Vieles an der Misere sei hausgemacht:

    "Peace as lack of war!" - Allein für Frieden und Stabilität zu sorgen, genüge nicht, kritisiert der Kosovo-Albaner das einseitige Engagement von Internationaler Gemeinschaft und Europäischer Union im Kosovo. 80 Prozent der Hilfsgelder seien in Seminare, Konferenzen und Beratertätigkeiten geflossen, anstatt in Schulen, das Gesundheitswesen oder die Industrie. Die in Pristina forschende Balkanexpertin Verena Knauss gibt ihm in diesem Punkt recht:
    "Da stimme ich mit Albin Kurti überein, dass eine internationale Präsenz, die den Status Quo erhalten möchte, eine Art Fessel ist."
    Das Einzige, was Kosovo wirklich helfe, sei eine langfristige EU-Perspektive - fordert auch der langjährige Balkankenner Erhard Busek:

    "In Wirklichkeit gehört eine klare europäische Perspektive eröffnet, in Richtung auf Mitgliedschaft von Kosovo beziehungsweise ein Stabilisierungs - und Assoziierungsabkommen. Nicht heute, nicht morgen - aber es ist ganz entschieden notwendig."