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Friedensnobelpreis an die EU

Kinder geben irgendwie immer ein gutes Bild ab - das dachte wohl EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, als sie am Freitag per Internet wissen ließ, wer ihrer Meinung nach den Friedensnobelpreis in Oslo entgegennehmen sollte.

Von Johanna Herzing | 15.10.2012
    Die Vertreter der EU – man merkt es – sind ein wenig nervös und angespannt ob der Ehre, die ihnen zuteil wird. Jetzt nur nichts falsch machen und am Ende denjenigen in die Hand spielen, die schon immer meinten, die EU sei ein bürokratischer Machtapparat, der tyrannisch 500 Millionen Menschen regiert.

    Jose Manuel Barroso, der Kommissionspräsident, hat diese Gefahr blitzschnell erkannt: für ihn ist der Preis eine Ehrung für alle europäischen Bürger und – ja, das auch – eine Ehrung für Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen. Aber zunächst einmal für die Bürger. Fein gesagt. Aber wer repräsentiert denn nun diese 500 Millionen? Gleich drei Präsidenten hat die EU zu bieten: Kommissions-, Rats- und Parlamentspräsident. Die größte demokratische Legitimation besitzt eigentlich Letzterer. So richtig bekannt ist der aber nicht.

    Parlamentspräsident Martin Schulz mag man in dessen Heimat Deutschland noch kennen, im Ausland sind es aber wohl lediglich die Gebildeten, die beflissenen Zeitungsleser, die Eliten, die mit dem Namen etwas verbinden. Etwas besser sieht es da für Jose Manuel Barroso aus, zwei Amtszeiten sind eben ein Vorsprung, gewählt hat ihn aber keiner der 500 Millionen Europäer. Und Herman van Rompuy, der Ratspräsident? Er steht für Regierungen der Mitgliedstaaten und damit eigentlich mehr für ein Gremium der Partikularinteressen denn für die Gemeinschaft. Schon bevor die unerhörte Neuigkeit am Freitag die Runde machte, war sich die EU ihres Problems bewusst: Sie hat Kopf, Rumpf, Gliedmaßen und Organe, aber sie hat kein Gesicht. Und so kann sie den Bürgern jetzt auch schwer zuzwinkern: 'Toll gemacht, Preis verdient, seid weiter lieb zueinander'.

    Dabei wäre das so nötig, wo neuerdings so viele wieder vom irgendwie besseren, erhabenen Norden phantasieren. Doch die EU ist von ihren Bürgern weit weg. Da helfen alle Informationsbüros und Broschüren nichts. Ihr fehlt die Überzeugungskraft, die demokratische Aura, die beispielsweise die Kandidaten für die belgischen Kommunalwahlen umgibt, wenn sie wie in den vergangenen Wochen über die Marktplätze schlendern, über überfüllte Mülleimer diskutieren und schon mal ihre Telefonnummern verteilen: wenn Sie Fragen haben, rufen Sie an!

    Die Belgier, sie müssen sich wohl oder übel für die Wahlen interessieren: schließlich herrscht hier Wahlpflicht. Gestern dürfte der Großteil der Belgier sie wieder einmal erfüllt haben. Europa hingegen bringt immer weniger Bürger an die Urnen. Waren es Ende der 70er-Jahre 63 Prozent der Europäer, die bei den Europawahlen ihre Stimme abgegeben hatten, sind es 2009 nur noch 43 Prozent gewesen. Viele meinen, das liegt daran, dass es uns zu gut geht, dass inzwischen die wenigsten von uns Krieg erleben mussten, dass wir Frieden als selbstverständlich empfinden. Doch jeder Teenager, der schon einmal ein Visum für die USA beantragt hat, jeder Fußballfan, der vergangenen Sommer die Grenzsicherungsanlagen auf dem Weg in die Ukraine passiert hat, jeder Erasmus-Student hat doch genug Anlass, die EU für eine gute Idee zu halten.

    Da braucht es gar keine Kriegserfahrung. Ein Gesicht hingegen, das für die Europäische Union steht und das von Zypern bis Finnland jeder erkennt, dürfte die Sache deutlich einfacher machen und Cecilia Malmströms europäischer Kinderchor könnte dann in Oslo ein Lied trällern anstatt als Niedlichkeit vorgeführt zu werden.

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