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Friedensnobelpreis
"Ein Zeichen der Hoffnung, wenn alles um einen herum zusammenbricht"

Der Friedensnobelpreis für an das Quartett für den nationalen Dialog in Tunesien wertet die Grünen-Außenpolitikerin Franziska Brantner als ein wichtiges Zeichen, das Hoffnung gibt. „Gerade in Tagen, wo man den Eindruck hat, es bricht alles um einen herum zusammen“, sagte sie im Deutschlandfunk. Der Preis sei ein Ansporn für die Tunesier, weiterzumachen – auch für Europa.

Franziska Brantner im Gepräch mit Marina Schweizer | 10.10.2015
    Porträtbild von Franziska Brantner
    Franziska Brantner (Grüne): Der Nobelpreis für das Dialog-Quartett ist ein Zeichen der Hoffnung. (Büro Franziska Brantner)
    Die Botschaft des Preises heißt für Brantner: "Vergesst nicht, Tunesien weiter zu unterstützen". Vieles hänge jetzt davon ab, dass es sozial und ökonomisch weitergehe. Weil nach den Anschlägen der Tourismus zurückgehe, brauche Tunesien andere Wirtschaftsmöglichkeiten – zum Beispiel den Export landwirtschaftlicher Produkte in die EU.
    Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Brantner, sie habe in ihrer Zeit als Europa-Abgeordnete selbst Kontakt zu den Menschenrechtlern gehabt, die ein Teil des Dialog-Quartetts bildeten. Die starke Rolle der Gewerkschaften sei besonders an Tunesien. Mit anderen Akteuren kann ihrer Meinung nach ein solches Quartett auch in anderen Krisenländern funktionieren.
    "Es ist wichtig, dass die Akteure aus der Zivilgesellschaft stärker beteiligt sind und versuchen, Dialogprozesse zu fördern - statt wie zum Beispiel in Ägypten eine Seite zu verteufeln und ins Gefängnis zu schicken." In Syrien sei ein Dialog zwar sehr schwierig. Brantner hält ihn aber nicht für unmöglich. Dazu müssten Akteure vor Ort gestärkt werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Franziska Brantner: Ich finde es ganz wunderbar, und es ist auch ein wichtiges Zeichen, das auch wieder Hoffnung gibt, ich sage mal, in Tagen, wo man eigentlich den Eindruck hat, es bricht alles um einen herum zusammen, man eben auf das Land, wo es auch berechtigte Hoffnungen gibt, man den Scheinwerfer zeigt und sagt, hier kämpfen Menschen für den Frieden, für ein gemeinsames Zusammenleben, ein demokratisches, und dass sie eben aber dafür auch Unterstützung brauchen. Und ich glaube, das kommt gut, und es ist ein wichtiger Zeitpunkt.
    Marine Schweizer: Das Zeichen brauchen sie – ist das dann aus Ihrer Lesart das politische Signal an Tunesien selbst, Ansporn zum Weitermachen?
    Brantner: Ja, einerseits für die Tunesier, dass sie auf dem durchaus richtigen Weg sind, den man begrüßt. Und andererseits glaube ich aber auch zum Beispiel an Europa, an Deutschland, zu sagen, mit allem jetzt, vergesst nicht, Tunesien wirklich zu unterstützen, weil viel hängt dort auch davon ab, dass es sozial und ökonomisch besser gehen wird. Mit den Anschlägen auf die Tourismusstationen ist der Tourismus wirklich zurückgegangen, und sie brauchen andere Wirtschaftsmöglichkeiten. Und da ist zum Beispiel die Frage, inwieweit die EU bevorzugte Einfuhrmöglichkeiten gibt für ihre landwirtschaftlichen Produkte. Und das sind alles Fragen, wo auch der Blick auf uns ist, wie können wir unseren Beitrag dazu leisten, dass in Tunesien, sage ich mal, die arabische Hoffnung dort auch vorangetragen wird.
    Schweizer: Momentan wäre ja da wahrscheinlich, Sie spielen ja darauf an, eher der Eindruck, in Tunesien läuft es ja eigentlich ganz gut?
    Brantner: Nein, es ist nicht so, dass da alles perfekt ist und einfach. Das ist auch in Tunesien ein schwieriger Prozess, der permanentes Aushandeln erfordert. Auch dort gibt es ISIS, sowohl Kämpfer, die nach draußen gehen, als eben auch die Anschläge. Tunesien ist in einer regionalen Lage, wo rechts und links es auch nicht einfach ist. Von daher glaube ich, ist das nichts Gewonnenes. Die haben richtige Schritte gemacht und bis jetzt sich toll durchgekämpft. Aber zu sagen, das ist jetzt schon fertig und alles auf einem guten Weg, das wäre, glaube ich, auch falsch.
    Schweizer: Frau Brantner, Sie waren ja auch vor Ort in Tunesien, damals noch in Ihrer Funktion als EU-Parlamentarierin. Haben Sie sich denn da auch vor Ort einen Eindruck machen können damals, vielleicht sogar mit der jetzt gepriesene Gruppe Kontakt aufnehmen können?
    Brantner: Wir hatten mit einer dieser Organisationen, mit der Menschenrechtsorganisation regelmäßigen Kontakt. Und ja, vor Ort – ich meine, das Besondere an Tunesien war immer, dass die Gewerkschaften eine starke Rolle gespielt haben und auch immer eben noch spielen. Dass es eben auch trotz Ben Ali vorher schon Organisationen gab, die durchaus eine starke Basis hatten. Und das war auch immer zu spüren, dass es da auch einen regen Austausch gab und auch eben Unterstützung.
    Schweizer: Sie sprechen ja jetzt diese Gruppe von Sozialpartnern an. Das ist ja schon eine Besonderheit in einem dann krisengebeutelten Land, das mitten dann in einer Revolution steckt, eine Gruppe von Sozialpartnern, die damals zum richtigen Zeitpunkt dann zu einer moralischen Autorität in ihrem Land wurde. Kann man das überhaupt jetzt als Schablone ansehen für andere Krisenregionen in dieser Region?
    Brantner: Ich glaube, die Zusammensetzung dieses Quartetts kann man nicht einfach eins zu eins übertragen auf andere Länder, aber den Anspruch zu haben, dass Akteure aus der Zivilgesellschaft eben stärker auch beteiligt sind, sich selber beteiligen und versuchen, Dialogprozesse zu fördern, das ist, glaube ich, schon notwendig. Und die Zusammensetzung müsste wahrscheinlich in jedem Land anders sein. Das hängt ja immer davon ab eben, welche historisch gewachsenen Gruppen gibt es, wer hat die Glaubwürdigkeit. Das ist auch sehr unterschiedlich. Aber diesen Anspruch, zu sagen, wir versuchen das im Dialog, wir machen keinen Prozess auf, der irgendwie einen Teil ausschließt und verteufelt, ins Gefängnis schickt, so wie das Al Sissi gerade in Ägypten macht, das ist, glaube ich, etwas, wo man sagen kann, das wäre eigentlich für die gesamte Region wichtig. Für Libyen natürlich genauso, dort ist es ja noch im Krieg. Aber dieser Anspruch, der ist, glaube ich, total berechtigt. Und dann sind es unterschiedliche Gruppen pro Land.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.