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Friedenspreis des Buchhandels
Pionier der digitalen Welt

Der US-Schriftsteller Jaron Lanier ist mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Damit soll er als Pionier und Kritiker der digitalen Welt geehrt werden. Lanier warnte in seiner Dankesrede davor, die Demokratie den Technologiefirmen zu überlassen - zum Beispiel Facebook.

12.10.2014
    Der Internetkritiker Jaron Lanier erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
    Der Internetkritiker Jaron Lanier erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. (dpa / Arne Dedert)
    Künstliche Intelligenz könne nie mehr sein als ein technisches Hilfsmittel, da der Mensch immer über dem Computer stehe, sagte Jaron Lanier bei der Verleihung des Friedenspreises in der Frankfurter Paulskirche, die als Wiege der Demokratie in Deutschland gilt. Heute müsse man sich fragen, ob es ein "Outsourcing" der Demokratie an Technologiefirmen gebe, sagte Lanier. So würden soziale Beziehungen weltweit über Facebook gesteuert. Lanier sprach dabei von einem "gewaltigen Imperium der Spionage und Verhaltensmanipulation".
    Das Internet dürfe nicht zur einzigen Plattform der Kommunikation werden, mahnte Lanier und sagte: "Das Buch ist ein Bauwerk menschlicher Würde." Die Idee, dass Datenschutz und Privatsphäre in der digitalen Welt nicht mehr als notwendig betrachtet würden, sei bizarr.
    Kein Kulturpessimist
    In seiner Laudatio sagte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), Lanier erhalte den Friedenspreis "stellvertretend für alle, die diese wichtige Debatte über die digitale Zukunft führen". Kaum jemand habe die Gefahren und Risiken der Digitalisierung grundsätzlicher benannt als Jaron Lanier, sagte Schulz. "Seine Kritik ist nicht kulturpessimistisch, schon gar nicht technologiefeindlich, sondern er mahnt aus der Position eines kenntnisreichen, zur Sache selbst aber loyalen Oppositionellen. Dadurch sind seine Überlegungen besonders erhellend."
    Schulz griff Laniers Kritik auf: "Der Glaube, dass wir nur die Summe unserer Daten sind, reduziert und entwürdigt Menschen und verkennt überdies, wer der Schöpfer von Kultur ist." Deshalb dürfe es nicht hingenommen werden, dass die Urheber von Werken leer ausgingen, während "einige Wenige mit diesen kulturellen Leistungen Milliardengewinne machen". Schulz forderte eine "Charta der digitalen Grundrechte" mit Standards für eine angemessene Honorierung kreativen Leistungen vor.
    Der 54-Jährige Lanier sei ein Pionier der digitalen Welt und einer ihrer wichtigsten Kritiker, sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller. Lanier warne vor einer "Datensammelwut" von Internetkonzernen, Geheimdiensten und Regierungen. Er trete dafür ein, der digitalen Welt Strukturen vorzugeben, die die Rechte des Individuums beachten und die demokratische Teilhabe aller fördern.
    Der Friedenspreis soll dem Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker dienen. Er ist mit 25 000 Euro dotiert. Im vergangenen Jahr ging der Preis an die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch.
    Vom Schulabbrecher zum Internetpionier
    Laniers Laufbahn hört sich sehr US-amerikanisch an: Er brach die Schule ab, besuchte Vorlesungen in Mathematik und bildete sich zum Informatikexperten aus. Er gilt als der Vater des Begriffs der "virtuellen Realität", initiierte internet-basierte Computernetzwerke und konstruierte virtuelle Kameras, 3D-Grafiken für Kinofilme und den ersten Avatar, einen künstlichen Stellvertreter für eine reale Person in der virtuellen Welt. Lanier lehrt an mehreren US-amerikanischen Universitäten und arbeitet als Forscher für Microsoft Research.
    Seit der Jahrtausendwende setzt sich Lanier zunehmend mit der immer größer werdenden Diskrepanz zwischen Mensch und Maschine sowie zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität auseinander. Zuletzt trat er als vehementer Kritiker des Geschäftsmodells von Internet-Unternehmen wie Google und Facebook hervor. In seinem Buch «Wem gehört die Zukunft?» schlägt er ein neues Modells der Internet-Wirtschaft vor, bei dem die privaten Urheber von Informationen für jeden Aufruf ihrer Daten mit Kleinstbeträgen vergütet werden sollen. Für seine Erfindungen und Entwicklungen wurde Lanier mit zwei Ehrendoktortiteln ausgezeichnet.
    (sdö/jcs)