Freitag, 29. März 2024

Archiv

Friedhof aus der Steinzeit
Forscher untersuchen ältestes Babygrab Deutschlands

In der mittleren Steinzeit lebten die Menschen im heutigen Mitteleuropa als Nomaden. Ihre Toten begruben sie dort, wo sie gerade Rast machten. Die Entdeckung auf einem Hügel in der brandenburgischen Uckermark von Dutzenden Skeletten, darunter dem eines Babys, war darum eine Sensation. Forscher an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin untersuchen jetzt den Fund.

Von Julia Beißwenger | 03.05.2016
    In der Erde stecken ein Schädel und Teile einer Wirbelsäule.
    Knochenfund bei der Grabung bei Groß Fredenwalde (dpa / Thomas Terberger)
    "Ich schaue mir jetzt mit der Lupe die Schädelknochen noch mal genauer an. Der Knochen ist zum Teil ein bisschen verwittert. Ich sehe aber, hier an der Seite des Schädels, an der linken Seite ein paar poröse Veränderungen: Lochartige Strukturen, die eventuell auf eine Mangelernährung hindeuten. Es könnte eventuell Rachitis sein, vielleicht auch Skorbut, das ist aber nur ein grober Verdacht."
    Die Anthropologin Bettina Jungklaus beugt sich über einen viereckigen, steinharten Erdblock. In ihm steckt ein uraltes Säuglingsskelett. Es wurde an der Fundstätte bei Groß Fredenwalde mit der Erde aus dem Boden geschnitten. Das Kind liegt auf dem Rücken, die Beine ausgestreckt, die Arme angewinkelt über der Brust. Am Kiefer seines Schädels ist ein Milchzahn zu sehen. 8400 Jahre ist er alt.
    "Die älteste Säuglingsbestattung in Deutschland"
    "Das ist eine kleine Sensation. Das ist die älteste Säuglingsbestattung, die wir in Deutschland auf jeden Fall kennen. Die Knochen stammen aus Brandenburg, aus der Uckermark. Üblicherweise haben wir dort eher Sandboden in der Region und der ist für Knochenerhaltung nicht gut. Der Sandboden entzieht den Knochen das Kalzium und dadurch zerfallen sie schneller. Aber wir haben hier die besondere Situation, dass die Knochen auf einer Kalkschicht liegen. Der Boden hat den Knochen keinen den Kalk entzogen. Sie sind dadurch gut erhalten."
    Bis auf die Hände ist das Skelett, das Bettina Jungklaus gerade vermisst, fast vollständig. Das Kind war etwa sechs Monate alt, als es starb. Wie in der mittleren Steinzeit bei Bestattungen üblich, wurde seine Leiche mit roter Erde bestreut.
    "Wir sehen um die Knochen herum tatsächlich eine rötliche Verfärbung. Die Farbe Rot steht vielleicht für Leben oder für Blut oder sowas in der Art."
    Grabbeigaben haben die Forscher bei dem Säugling nicht gefunden. Im daneben gelegenen Grab eines jungen Mannes dagegen fanden Bettina Jungklaus und ihre Kollegen zahlreiche Messer aus Feuerstein, sowie durchlochte Hirschzähne als Schmuck. Es sind typische Grabbeigaben der Mittelsteinzeit. Trotzdem war die Bestattung des Mannes ungewöhnlich.
    "Wir haben festgestellt, dass die Beine aufrecht standen in einer tiefen Grube und man konnte erkennen, dass diese Grube offen gelassen wurde. Dann ist der Oberkörper zerfallen, und so sind die Knochen auf den Boden der Grube gefallen. Dann sind die Menschen wieder gekommen, die Angehörigen oder wer auch immer, haben die Grube zugeschüttet und haben dann noch als Abschluss des Bestattungsrituals ein Feuer dort entzündet.
    Das ist ganz außergewöhnlich. Dafür gibt es überhaupt keine Parallelen weltweit. Wir haben keine Erklärung, warum man ihn aufrecht stehend bestattet hat."
    Genauso wissen die Wissenschaftler nicht, warum gleich zwölf Menschen am selben Ort begraben wurden und das über einen Zeitraum von 1400 Jahren.
    Fördergelder beantragt, um weiter zu forschen
    "Es findet sich keine Parallele, dass wir aus dieser Zeit an einem Ort so viele Bestattungen haben. Er liegt auf einem relativ markanten Hügel: Der Weinberg bei Groß Fredenwalde. Und es wäre die Idee, dass die Menschen vielleicht nicht mehr so mobil waren, wie wir denken, sondern in einem kleineren Kreis umherzogen, so dass dieser kleine Berg oder Hügel dort für sie eine besondere Bedeutung hatte."
    "Das Klima vor 8000 Jahren war etwas wärmer als heute, die Lebensbedingungen gut", erzählt Bettina Jungklaus. Sie hat bisher die Skelette von neun Mittelsteinzeit-Menschen untersucht, die zu ihren Lebzeiten alle auffallend gesund waren.
    "Abnutzungen der Gelenke durch starke einseitige Arbeit, das findet man bei bäuerlicher Bevölkerung. Das war hier nicht so in dem Maße. Oder Karies zum Beispiel: Als Hinweis auf eine kohlenhydratreiche Ernährung, das fand sich an überhaupt keinem Skelett. Die haben nicht so viele Kohlenhydrate gegessen, weil sie ja auch kein Getreide angebaut haben, sondern sie haben sich eher proteinhaltig ernährt, also Fleisch und Fisch und sonst eben faserreiche pflanzliche Nahrung, Nüsse oder Wurzeln."
    Die Menschen waren also noch Jäger und Sammler. Doch wie lange blieben sie an einem Ort und wo bauten sie ihre Rastplätze? Bettina Jungklaus und ihre Kollegen haben Fördergelder beantragt, um in der Umgebung des Gräberfeldes nach Spuren zu suchen. Sie hoffen, Siedlungen zu finden, die die Menschen der Mittelsteinzeit trotz ihrer Wanderungen immer wieder aufsuchten. Das würde erklären, warum sie einen bestimmten Ort wiederholt als Friedhof nutzten.