Donnerstag, 18. April 2024

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Friedrich Hölderlin
Zwei Neuerscheinungen zum 250. Geburtstag

Der Orientalist und Autor Navid Kermani hat zum 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins ein Lesebuch zusammengestellt. Der frühere Theaterkritiker Peter Michalzik schreibt über Hölderlins Zeit im Hause des Frankfurter Bankiers Jacob Gontard und seiner Gattin Susette, die zu Hölderlins großer Liebe wurde.

Von Christian Gampert | 20.03.2020
Eine Skulptur des Künstlers Waldemar Schröder, die Friedrich Hölderlin darstellt, steht vor Bäumen.
Friedrich-Hölderlin-Denkmal in Nürtingen (Baden-Württemberg) (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
Aus kaufmännischer Sicht ist es natürlich eine gute Idee, einen der bekanntesten deutschen Intellektuellen ein Hölderlin-Lesebuch herausgeben zu lassen. Und Navid Kermani macht das (für den Verlag C.H.Beck) im Prinzip auch lege artis: er bietet eine Auswahl an Gedichten, die Bekanntes und weniger Bekanntes mischt; er bietet Auszüge aus dem "Hyperion" und dem "Tod des Empedokles", und zwar jeweils aus mehreren Fassungen und Entwürfen. Dazu kommen Aufsätze und vor allem Hölderlins Briefe, die das ambivalente Verhältnis zur Mutter und die reichlich depressiv getönte Zuneigung zu Susette Gontard beleuchten.
Es macht wenig Sinn, an einzelnen editorischen Entscheidungen herumzumäkeln. Interessanter ist die Frage, warum Kermani überhaupt eine Beziehung zu Hölderlin unterhält. Kermani schildert im Nachwort, wie ihn anfänglich Hölderlins hoher Ton und der ständige Rekurs auf die Götter befremdete. Der Durchbruch sei dann die von Dietrich Sattler bei Stroemfeld herausgegebene Frankfurter Ausgabe gewesen – weil hier, aufgrund der streng chronologischen Anordnung der Schriften, das Erhabene mit den Erfordernissen des Alltags konfrontiert werde, zwischen den Hymnen auch "Wäschelisten und Amtsbescheide" auftauchen und in den "Hyperion" die Briefe an Susette Gontard eingestreut sind. Das metaphysische Sehnen sei derart mit einer auch materiellen Not verwoben, dass derjenige, der sich dichtend ins Göttliche und Fremde begab, für Kermani nun auch als Person fassbar wurde.
Und trotzdem ist das, was Kermani an Hölderlin fasziniert, vor allem jener Bedeutungs-Überschuss, der sich eben nicht herausinterpretieren lässt, etwas, das nicht ganz von dieser Welt ist. Einerseits ist das natürlich Hölderlins "Verrücktheit" (und Kermani spricht ganz selbstverständlich von einem "Irren"), andererseits aber das Religiöse.
"Und mir wurde klar, dass die Götter, von denen er dauernd spricht, so real sind wie in einer Offenbarung"
Hölderlin als Religionsstifter
Das hymnische Schwärmen, das nicht gerade Hölderlins beste Eigenschaft war und seine Lebens-Untauglichkeit maßgeblich beförderte, wird bei Kermani zum Vehikel der "Offenbarung". Schon in seiner Untersuchung "Gott ist schön" hatte Kermani ja den Koran, völlig jenseits von dessen Ideologie und der Realität in den islamischen Ländern, als Poesie verstanden, als deutungsoffenes Kunstwerk. Hier, bei Hölderlin, fallen – wieder – Poesie und Religion in eins: Hölderlins Stimme sei "unergründlich, auf überirdische Weise gefühllos und, ja, schön". Für Kermani ist Hölderlin eine Art Religionsstifter, mindestens aber ein Prophet – der von himmlischen Sphären und den Göttern Griechenlands kündet.
Etwas prosaischer geht der Frankfurter Autor und Kritiker Peter Michalzik mit Hölderlin um. Sein Buch heißt "Der Dichter und der Banker" und untersucht Hölderlins Zeit in Frankfurt 1796 bis 1798. Es geht um Hölderlins Liebe zu der Bankiersgattin Susette Gontard, in deren Haus der Dichter als Lehrer des Sohnes angestellt war – und um Hölderlins Verhältnis zu seinem Brotgeber, dem Bankier Jacob Gontard, der ihn schließlich des Feldes verwies. Michalzik hat sich offensichtlich die "einfühlende" Methode von Peter Härtlings Hölderlin-Roman zum Vorbild genommen und folgt seinem Helden eng auf den Fersen. Er weiß genau, wann und wo er in Frankfurt ankam, wo er einkehrte und was er dabei dachte. Hölderlin sei in Frankfurt wegen Susette glücklich gewesen, so Michalziks These. Im Hause Gontard geht es aber auch um die Beziehung zwischen Liebhaber und Ehemann - das heißt: um das Verhältnis von Geist und Geld. Und hier phantasiert Michalzik zum Teil wild drauflos.
"Wovon könnten sie gesprochen haben? Gontard muss Hölderlins Befremden und Interesse wahrgenommen haben angesichts der Gespräche, die zwischen den Handelsherren geführt wurden. Er könnte auf die Idee gekommen sein, Hölderlin eine kleine Einführung zu geben."
Wohlgemerkt: über Kontakte zwischen Hölderlin und Gontard ist nichts bekannt. Bei Michalzik aber führt der Bankier Gontard den Hauslehrer Hölderlin in die Anleihegeschäfte der Banken ein, die den verschuldeten Staaten Geld für ihre Kriege besorgten - während Hölderlin sich von Gontard offenbar zwecks Anbetung - und mehr - die Gattin ausleiht. Nachhilfestunden in Wirtschaftslehre für den Hofmeister mit Familienanschluss - das ist schwülstig geschildert und bleibt reine Spekulation.
Für Michalzik ist Hölderlin in Frankfurt im Paradies, in der wunderbaren Welt des Geldes.
"Hier in Frankfurt schien man gerade das Geld, das man bei Hölderlin zu Hause doch so sehr hütete und verbarg, neu zu erfinden… Es konnte scheinen, als sei (…) die Anleihe die Antwort auf das alte Alchimistenproblem, wie man aus Heu Gold mache".
Ein konstruiertes Verhältnis
Ja, so könnte es scheinen. Wer aber auf Belege für Hölderlins Anleihe-Affinität besteht, dem könnte es halt nicht so scheinen. Ein vom Geld faszinierter Hölderlin ist Peter Michalziks ureigenste Erfindung, offenbar eine späte Eingemeindung des griechischen Schwaben in die Schatten heutiger Frankfurter Bankentürme.
Michalzik schildert idyllische Szenen in den Kasseler Parkauen und in Bad Driburg, wo das ziemlich keusche Paar Hölderlin – Susette um die eigentlich attraktivere Gontard-Erzieherin Marie Rätzer erweitert wird. Grotesker Höhepunkt der erotischen Wirren ist bei Michalzik ein Treffen Hölderlins mit Hegel, der den Begriff der Liebe dialektisch entfaltet – und während Hölderlin "in Trance" Diotimas "griechisches" Gesicht sieht und "das Lebendige" spürt, möglicherweise im Unterleib, sagt er zu Hegel: "Hegel, rede mir nicht von der Liebe! Rede mir einmal über Geld." Da ist sogar Hegel sprachlos. Der Leser allerdings auch.
Michalzik bietet schöne Details zur Frankfurter Stadtgeschichte –und theoretische Ausflüge in die Geldtheorie. Das, was er über Hölderlin und Susette phantasiert, ist leider sehr betulich geschrieben. Das Verhältnis zum Bankier Gontard wirkt konstruiert. Hölderlin muss gehen, weil er den Gontard-Sohn mangelhaft aufs Geschäftsleben vorbereitet.
Und so ist es vielleicht doch besser, Hölderlin selbst zu lesen. Man benutze eine der Gesamtausgaben – oder eben Navid Kermanis Lesebuch.
Friedrich Hölderlin: "Bald sind wir aber Gesang. Eine Auswahl von Navid Kermani"
mit einem Nachwort von Navid Kermani
C.H.Beck textura, München. 256 Seiten, 23 Euro.
Peter Michalzik: "Der Dichter und der Banker.
Friedrich Hölderlin, Susette und Jacob Gontard"
Reclam Verlag, Ditzingen. 188 Seiten, 16 Euro.