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Friedrich: Kein Automatismus beim Beitritt zum Verbotsverfahren

Einen engen Schulterschluss zwischen Regierung und Parlament wünscht sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bei der Entscheidung über das NPD-Verbotsverfahren. In fast allen Fraktionen im Bundestag gäbe es Skeptiker.

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Silvia Engels | 07.12.2012
    Silvia Engels: 2003 scheiterte der erste Versuch, die NPD vor dem Verfassungsgericht verbieten zu lassen. Lange Zeit waren sich Bund und Länder danach einig, nicht noch mal diesen Versuch zu wagen. Zu gering erschienen die Chancen. Doch in den letzten Monaten, auch nach bekannt werden des NSU-Terrors, ist die Stimmung gekippt, besonders in den Bundesländern. Die Ministerpräsidenten – darunter Thüringens Ministerpräsidentin Lieberknecht – wollen nun parteiübergreifend einen neuen Antrag stellen. Die Bundeskanzlerin zweifelt.

    O-Ton Christine Lieberknecht: "Es gibt eine Fülle, eine tausendseitige Materialsammlung."

    O-Ton Angela Merkel: "Die Materialsammlung ist das eine."

    O-Ton Christine Lieberknecht: "Die Indizien sind aus unserer Sicht eindeutig."

    O-Ton Angela Merkel: "Wir haben unsere Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen."

    O-Ton Christine Lieberknecht: "Deswegen wollen wir diesen Verbotsantrag jetzt vorbereiten."

    O-Ton Uwe Schünemann: "Und all dieses ist anhand von offenen Quellen, das heißt nicht durch V-Leute beeinflusst, auch zu beweisen."

    O-Ton Torsten Albig: "Aber wir wissen, dass wir damit nicht leichtfertig umgehen, sondern dass wir damit auch den Menschen in diesem Land zeigen, dass dieses eine Demokratie ist, die in der Lage ist, sich mit rechtsstaatlichen Mitteln auch zu wehren gegen die, die sie angreifen, und gegen die, die sie unterhöhlen wollen. Und das will die NPD."

    Engels: Stimmen der Befürworter eines neuen NPD-Verbotsverfahrens, zuletzt der niedersächsische Innenminister Schünemann (CDU) und der sozialdemokratische Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Torsten Albig.

    – Ähnliche Zweifel wie die Bundeskanzlerin hat allerdings auch der Bundesinnenminister. Guten Morgen, Hans-Peter Friedrich!

    Hans-Peter Friedrich: Guten Morgen!

    Engels: Warum haben die Ministerpräsidenten keine Zweifel, wo Sie welche haben?

    Friedrich: Na ja, also zunächst mal muss man sagen, die Entscheidung ist gefallen, gestern 16:0 in dieser Ministerpräsidentenkonferenz. Ich glaube, es liegt daran, dass die Länder, natürlich vor allem Thüringen – das hat man auch an der Ministerpräsidentin schon gespürt -, unter diesem Eindruck der NSU-Morde und auch einem Vordringen der NPD beispielsweise in die Landtage von Sachsen in einer besonderen Situation sich sehen. Das, glaube ich, hat wesentlich dazu beigetragen.

    Engels: Was lässt Sie zögern?

    Friedrich: Na ja, zunächst mal: Es gibt politische Argumente, zu sagen, ist das überhaupt ein richtiges Mittel, ist ein Parteienverbot überhaupt in einer gefestigten Demokratie der richtige Weg. Da sage ich ja, ein solches Parteienverbot sieht die Verfassung vor. Der wehrhafte Staat muss sich auch gegen seine Feinde wehren können. Aber ich sage auch, es gibt da durchaus unterschiedliche Auffassungen, sowohl im Bundestag als auch in der Bundesregierung, über die man reden muss. Und dann gibt es natürlich die politische Frage, wertet man mit einem solchen Antrag die Partei auf. Diese politische Frage ist entschieden, denn der Antrag ist jetzt Realität. Und jetzt geht es darum, dass wir eine juristisch saubere Beweisführung ermöglichen und diesem Antrag am Ende auch zum Erfolg verhelfen.

    Engels: Haben Sie denn konkrete Hinweise darauf, dass das Material, das die Behörden gesammelt haben, um eben diese aggressiv-kämpferische Verfassungsfeindlichkeit der NPD zu belegen, zum Teil doch von V-Leuten stammt?

    Friedrich: Nein. Also wir haben, und das war, glaube ich, eine wichtige Entscheidung schon zu Beginn des Jahres -, ich habe auf die juristischen Risiken, die sich insbesondere aus dem Beschluss 2003 ergeben, hingewiesen und gesagt, wir müssen eine Beweisführung liefern, die erstens die Quellen abschaltet in den oberen Etagen der NPD, das war eine klare Maßgabe des Verfassungsgerichts. Und zweitens nach Möglichkeit V-Mann-freies Material. Grundsätzlich ist es möglich, dass man auch V-Mann-Material nimmt, aber der Beweiswert, sagt das Verfassungsgericht sehr klar, ist viel niedriger. Und deswegen haben wir uns darauf geeinigt, V-Mann-freies Material.
    Das Material, das wir jetzt haben, stammt zum überwiegenden Teil übrigens vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Dieses Material ist V-Mann-frei. So haben es auch alle Innenminister vorgestern in Rostock in ihrem Beschluss zur Kenntnis gegeben. Und wir werden jetzt mit diesem Material antreten. Ob das am Ende noch das Material sein wird, das in eineinhalb, zwei, zweieinhalb Jahren den Ausschlag geben wird, das ist eine andere Frage.

    Engels: Die Bundeskanzlerin hat gestern erklärt, die Bundesregierung werde sich erst im ersten Quartal 2013 festlegen, ob sie den Antrag unterstützt. Warum so lang?

    Friedrich: Also zunächst mal muss man sagen, der Antrag ist jetzt Realität, der Antrag durch die Länder. Aber es gibt natürlich keine Automatik, dass, wenn ein Verfassungsorgan sagt, wir stellen den Antrag, alle anderen automatisch mit müssen, sondern es ist eine souveräne Entscheidung, in der jedes Verfassungsorgan, die Bundesregierung, der Bundestag, abwägen muss. Und ich halte es jetzt aber für richtig, dass wir, also die Bundesregierung, den sehr engen Schulterschluss mit dem Bundestag suchen, die Fraktionen einbeziehen. Ich werde das Material, das wir gesammelt haben, den Bundestagsabgeordneten zur Verfügung stellen, auch unsere Bewertung. Und wir werden alle juristischen, politischen Argumente, Aspekte, die es gibt, mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages diskutieren.

    Engels: Einer hat sich da schon entschieden, nämlich Bundestagspräsident Lammert. "Man sollte es besser lassen", so zitiert ihn heute die FAZ. Und er führt auch die juristischen Probleme bei dem neuen Verbotsantrag an. Und er sagt auch, er vermute, dass der Bundestag mit einem eigenen Verbotsantrag sich dem Vorhaben der Länder eher nicht anschließen sollte. Hat er recht?

    Friedrich: Na ja, das muss man sehen. Es gibt Argumente dafür, Argumente dagegen. Wie gesagt, ich sehe nicht, dass man, nur weil der Antrag von den Ländern gestellt ist, automatisch jetzt auch dazu kommen muss, dass der Bundestag und die Bundesregierung es macht. Aber wir müssen das diskutieren, im Bundestag, in der Bundesregierung. Es gibt die unterschiedlichen Auffassungen, alle sind legitim, und am Ende hoffe ich, dass wir eine von der großen Mehrheit getragene Lösung finden werden.

    Engels: Spricht denn Herr Lammert nach Ihrer Kenntnis für die Mehrheit der Unions-Fraktion?

    Friedrich: Das kann ich sehr schwer abschätzen. Aber 2001 war es so, dass es eine klare Mehrheit am Ende bei aller Skepsis für den Verbotsantrag gab. Da wird natürlich eine gewisse Dynamik auch ausgelöst. Ich sehe in allen Fraktionen Skeptiker, die sagen, ist das der richtige Weg, die auch kritische Fragen stellen. Gut: Bei der SPD, da scheint es eindeutig durchgängig zu sein, dass man sagt, der Antrag muss gestellt werden. Aber da, wo kritische Fragen gestellt werden, ist es legitim, dass man sie diskutiert und dass man auch Antworten findet.

    Engels: Rein juristisch – Sie haben es angesprochen – genügt es, dass die Bundesländer diesen Antrag über den Bundesrat auf den Weg bringen. Aber was für eine Wirkung hat es denn, wenn sich Bundesregierung und das Parlament möglicherweise nicht anschließen?

    Friedrich: Na ja, also ob vor Gericht einer klagt oder fünf, das ist für die Frage des Erfolges eines Gerichtsverfahrens nicht ausschlaggebend. Wenn der Antrag gestellt ist, dann obliegt es dem Bundesverfassungsgericht zu entscheiden über den Antrag. Dann kommt es in erster Linie darauf an, dass das Material, dass die Beweisführung schlüssig ist und gut ist. Und ich kann sagen, wir werden vonseiten des Bundes, der Bundesregierung, des Bundesamtes für Verfassungsschutz insbesondere, alles tun, um auch in den nächsten Jahren, die jetzt vor uns liegen, während des Laufes dieses Verfahrens die Antragsteller zu unterstützen, das heißt, auch dort, wo Beweislinien angegriffen werden, neues Material nachzuliefern. Der Verfassungsschutz wird da eine wichtige Aufgabe haben. Auch das muss man, glaube ich, an der Stelle sagen. Ohne den Verfassungsschutz, den Verfassungsschutz des Bundes und der Länder, hätten wir diese Materialsammlung überhaupt nicht. Also insofern kann man auch daran sehen, wie wichtig ein Verfassungsschutz ist.

    Engels: Aber wie verheerend wäre anders herum die Wirkung, wenn dieses NPD-Verbotsverfahren noch einmal scheitert? Wertet man dann die NPD wieder auf, wie zum Beispiel der Innenexperte Ihrer Fraktion Bosbach vermutet?

    Friedrich: Ja, diese Diskussion ist zurecht geführt worden. Aber man muss sie jetzt nicht weiterführen, denn der Antrag ist ja jetzt Realität und jetzt geht es darum, mit vereinter Kraft aller Sicherheitsbehörden, die auch Material beschaffen können, Beweise, Belege herbeibringen können, diesen Antrag zum Erfolg zu verhelfen.

    Engels: Das klingt nicht sehr überzeugt?

    Friedrich: Doch, doch! Also jetzt geht es nicht mehr darum zu zweifeln, ist es richtig oder nicht, denn der Antrag ist Realität und jetzt geht es darum, dass dieser Antrag auch am Ende zu einem Verbot der Partei führt. Das ist jetzt auch die Aufgabe, vor der ich als Innenminister stehe und sage, das Bundesamt für Verfassungsschutz muss alle Möglichkeiten auch in den nächsten Jahren nutzen, um dieses Verbot am Ende erfolgreich zu machen.

    Engels: Das Verfahren wird sich ziehen. Die Bundesregierung will sich erst im ersten Quartal 2013 festlegen. Rutscht das Thema also in den Wahlkampf zur Bundestagswahl und dann steht man da als Zögerer im Kampf gegen Rechtsextremismus, wenn man sich nicht anschließt?

    Friedrich: Na ja, also der Bundesrat wird wohl am 14. Dezember – so ist es angekündigt – entscheiden. Dann muss man einen Prozessbevollmächtigten finden und dann wird man eine Antragsschrift beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Dann sind wir im Grunde schon im März/April 2013 und ich hoffe, dass es nicht Gegenstand irgendwelcher Wahlkampfauseinandersetzungen wird, sondern dass das ein Verfahren wird, das so geführt wird, wie es die Verfassung auch vorsieht: mit einer klaren Beweisführung. Ich glaube, dass das auch der Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht gebietet, dass man sauber argumentiert und nicht einen großen öffentlichen Brimborium und Druck erzeugt. Aber gut: Wahlkampf hat immer seine Eigengesetzlichkeiten.

    Engels: Über das Ringen um das neue NPD-Verbotsverfahren sprachen wir mit Hans-Peter Friedrich, dem Bundesinnenminister. Vielen Dank für das Gespräch.

    Friedrich: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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