Donnerstag, 25. April 2024

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Friedrich-Kritik an Merkel
"Das ist mir zu simpel"

Ist Angela Merkel, wie Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagt, für die Pegida-Bewegung verantwortlich? Es sei ein Fehler, politische Grundsatzanalysen an Namen festzumachen, sagte Wilfried Scharnagl im DLF. Inhaltlich stimmte er seinem Parteifreund sonst allerdings zu.

Wilfried Scharnagl im Gespräch mit Dirk Müller | 29.12.2014
    Wilfried Scharnagl
    Für die Anführer der Pegida habe Scharnagl kein Verständnis, man müsse aber unterscheiden zwischen ihnen und den Ängsten der Menschen. (imago/Sven Simon)
    Friedrich habe "vernünftige Sachen" angesprochen, so der langjährige Chefredakteur der CSU-Parteizeitung Bayernkurier. Der ehemalige Bundesinnenminister hatte in einem Interview mit dem "Spiegel" Kritik an Angela Merkels politischem Kurs geäußert. So bezeichnete er das Erstarken der AfD und das Aufkommen der Pegida-Bewegung als Folge davon, dass die Unionsparteien "mit der Frage nach der Identität unseres Volkes und unserer Nation zu leichtfertig umgegangen" seien. Anstatt konservative Wähler zu binden, habe sich die Kanzlerin entschieden, "der SPD und den Grünen die Themen wegzunehmen".
    "Man tut so, als ob ganz Deutschland in Flammen stünde"
    Die Union müsse wieder versuchen, "die Wähler, die zu ihr gehören, zurückzugewinnen", sagte Scharnagl im Deutschlandfunk. "Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben", zitierte er in diesem Zusammenhang den ehemaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, mit dem er lange zusammenarbeitete. Bundespolitisch hätte sich seit dem Öffnen der SPD gegenüber der Linkspartei die "Geschäftslage völlig verändert".
    Ob es eine Spaltung des bürgerlichen Lagers gebe, wisse er nicht, so Scharnagl. Er beobachte eine große Offenheit gegenüber dem Islam, bei den Protesten der Pegida-Bewegung aber auch, dass Menschen Angst haben. Für die Pegida-Anführer habe er kein Verständnis, man müsse aber unterscheiden zwischen ihnen und den Ängsten der Menschen: "Man tut so, als ob ganz Deutschland in Flammen stünde."
    "Restbestand an persönlicher Verbitterung"
    Dass Friedrich die Bundeskanzlerin nun persönlich angegriffen hat, zeugt für Scharnagl von einem "starken Restbestand an persönlicher Verbitterung" aus der Edathy-Affäre. Hier sei Friedrich der Einzige gewesen, "der sich staatspolitisch korrekt verhalten hat und personell dafür einen bitteren Preis bezahlt hat". Allerdings sei ihm die nun geäußerte Kritik "zu simpel".
    Friedrich hätte seit Jahren zum Spitzenpersonal der Regierung gehört und dabei viele Entscheidungen mitgetragen: "Was entschieden wurde, wurde mit großen Mehrheiten entschieden. Friedrich hat dem zugestimmt, diesen Schuh muss er sich nun anziehen." Außerdem sei er besser beraten gewesen, seine Kritik in den parlamentarischen Gremien und nicht im "Spiegel" zur Sprache zu bringen, so Scharnagel.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: "Was erlauben Hans-Peter Friedrich?", würde vielleicht Trainerlegende Giovanni Trapattoni dazu sagen. Was hat er sich denn erlaubt, der frühere Bundesinnenminister und der frühere Landwirtschaftsminister? Nun ist er stellvertretender Chef der Unionsfraktion im Bundestag. Der CSU-Politiker hat ganz offen und unverblümt die Kanzlerin kritisiert, die CDU-Parteichefin. Er wirft Angela Merkel eine Wischiwaschi-Politik vor, die laut Friedrich dazu geführt hat, dass die AfD wie auch die Pegida erst entstehen und erstarken konnte.
    Ex-Minister Friedrich kritisiert die Kanzlerin, Beitrag von Stefan Maas
    Ungeheuerlich, was Hans-Peter Friedrich sich da erlaubt! Das denken viele in der Union, wir haben es in unserem Korrespondentenbericht gerade gehört, einige denken zumindest so. Vielleicht aber nicht CSU- und Unionskenner Wilfried Scharnagl, viele Jahre Chefredakteur beim "Bayernkurier". Wir erreichen ihn auf dem Flughafen, guten Morgen!
    Wilfried Scharnagl: Guten Morgen!
    Müller: Herr Scharnagl, hat die Kanzlerin eine Watschen verdient?
    Scharnagl: Ich glaube, es ist immer ein Fehler, wenn man eine grundsätzliche politische Analyse und Bewertung und Schlussfolgerung - daraus Annahmen festmacht. Sicherlich hat Hans-Peter Friedrich, der ein kluger und mutiger Kopf ist, Vernünftiges angesprochen, aber dieses jetzt an Personen festzumachen, ist schon deshalb ein Fehler, weil in der Tat Hans-Peter Friedrich seit vielen Jahren zur Spitzenmannschaft von CDU und CSU gehört und halt bei allen Dingen auch mit dabei war. Dennoch, diese persönliche Bemerkung ist mir wichtig: Wenn ich denke, unter welchen Umständen Hans-Peter Friedrich sein Amt als Minister verlor. In dieser trüben Edathy-Affäre war er der Einzige, der sich ehrenhaft, staatspolitisch und persönlich korrekt und gut verhalten hat, indem er den SPD-Vorsitzenden gewarnt hat vor einer möglichen Berufung Edathys in ein Regierungsamt. Er ist der Einzige, der personell dafür einen bitteren Preis bezahlt hat. Und alle die, die in dieser trüben sozialdemokratischen Edathy-Suppe rühren, die gesamten Oppermänner und Hartmänner und andere, die bleiben ungestraft übrig. Dass dieses natürlich einen starken Restbestand an persönlicher Verbitterung hinterlassen muss, liegt auf der Hand. Dennoch ist es falsch, wollte man sich davon orientieren und beeinflussen lassen.
    Müller: Herr Scharnagl, eine lange, komplexe Antwort. Versuchen wir, noch einmal zu sortieren: Sie haben gerade die ...
    Scharnagl: Ist auch ein komplexer Zusammenhang.
    Müller: Genau. Sie haben gerade die Edathy-Affäre noch einmal angesprochen, der Rücktritt des Ministers. Dann hätte er sich doch jetzt Sigmar Gabriel vorknöpfen müssen und nicht die Kanzlerin! Oder Oppermann?
    Scharnagl: Nein, nein, die Kanzlerin hat ja nun die Geschichte angetreten, in die Öffentlichkeit getreten, durchgestochen. Das kommt ja einem kaum durchschaubaren sozialdemokratischen Biotop. Insofern ist das schon die richtige Adresse hier zu fragen, was ist los. Und Sie sehen ja, was jeden Tag immer wieder Neues in dieser Geschichte zutage kommt, und da wird ja das Bild von Hans-Peter Friedrich in diesem Kontext immer strahlender und das der anderen SPD-Agierer immer düsterer, das muss man sagen. Aber zurück zum Thema ...
    "Seit Thüringen hat sich die Geschäftslage völlig verändert"
    Müller: Aber die Frage ist ja, warum hat er sich jetzt die Kanzlerin ausgesucht, wenn er sauer ist auf die Edathy-Umstände?
    Scharnagl: Ja gut, ich meine, die Umstände, die zu seinem Rücktritt geführt haben und zu seiner Entlassung oder wie immer, sind ja durch das SPD-Verhalten herbeigeführt worden.
    Müller: Eben. Warum jetzt die Kanzlerin? Weil die Kanzlerin ihn fallengelassen hat?
    Scharnagl: Das glaube ich nicht. Aber es ist natürlich so, dass wir, wenn wir auf die politische Lage insgesamt schauen, bei aller Freude über gute Ergebnisse, wobei ich also hier sowieso schon eine etwas abweichende Meinung habe, denn ich finde, 40 stramme Prozent für die Union ist eine tolle Geschichte, vor allem angesichts dessen, was der SPD, die ja irgendwo bei 23, 24 krebst, aufzuweisen. Dennoch muss ich sagen, seit Thüringen hat sich die Geschäftslage völlig verändert. 40 Prozent sind sehr viel, aber 40 Prozent sind angesichts der Bereitschaft der SPD, Rot-Rot-Grün zu machen, mit Blick auf 2017 und die Bundestagswahl zu wenig. Also muss mehr her. Also muss aus diesem Bereich, den Hans-Peter Friedrich angesprochen hat, AfD und Ähnliches, muss die Union versuchen, wieder die Wähler, die zu ihr gehören, zurückzugewinnen. Es ist ein ganz wesentlicher Ansatz. Und selbstverständlich gilt nach wie vor der große Grundsatz von Franz Josef Strauß, dass rechts der Union keine demokratisch legitimierte weitere Partei entstehen darf. Diese Kräfte müssen von der Union gebunden werden, nur das sichert auf lange Sicht oder auch mittelfristig die regierungsfähigen Mehrheiten.
    Müller: Um das noch mal zu bündeln, Herr Scharnagl: Also, für Sie ist das ganz klar, Hans-Peter Friedrich hat mit seiner Kritik, mit Blick auf diesen Mittekurs der Kanzlerin, wie immer der definiert ist, recht. Das heißt, die Union ist zu sehr in die Mitte gerückt und hat alles andere vernachlässigt?
    Scharnagl: Das ist mir zu pauschal. Pauschale Politik ist immer falsch. Dass es Aspekte gibt, die angestammten Unionswählern manchmal Bauchgrummeln verursachen, aber das liegt natürlich daran, dass Koalition Kompromiss heißt, und das kann und mag natürlich nicht jeder ohne Weiteres verstehen. Wenn ich es richtig sehe, sind CDU und CSU in keinem Punkt über die Koalitionsvereinbarungen hinausgegangen, während es natürlich bei SPD-Ministern immer wieder Neigungen gibt, noch irgendwas zusätzlich draufzusatteln.
    "Keine Koalition zum Nulltarif"
    Müller: Vielleicht war das ja schon zu viel, Herr Scharnagl. Vielleicht sind die Koalitionsvereinbarungen ja schon zu viel gewesen für die Konservativen, für die Nationalorientierteren in der Partei. Kann das sein?
    Scharnagl: Das mag sein, aber die müssen sich natürlich dann fragen: Wo wäre die Alternative gewesen? Es gab nach diesem Wahlergebnis, das der Wähler so entschieden hat, wie er entschieden hat, keine andere Koalitionsmöglichkeit. Und dass keine Koalition zu einem Nulltarif zu haben, das müssen beide Seiten hinnehmen. Die SPD musste auch viel hinnehmen. Wenn ich denke, mit welchen Steuererhöhungsrauschproblemen, -vorstellungen die SPD in den Wahlkampf gegangen ist, alles ist verhindert worden, es gab keine Steuererhöhung. Die Union hat sich auch in wichtigen Punkten durchgesetzt, das musste auch die SPD schlucken. Nur, in manchen Dingen sieht es eben so aus, als ob – für manche angestammte Unionswähler –, als ob die SPD vielleicht eine Schaufel zu viel draufgelegt hat auf das, was sie bekommen hat. Und hier ist für Klarheit zu sorgen, das ist besonders eine Aufgabe der CSU.
    Müller: Herr Scharnagl, wir reden die ganze Zeit über die SPD, Sie tun das, dabei redet Hans-Peter Friedrich über die Kanzlerin. Sie haben eben zu meiner Frage gesagt, das ist mir zu pauschal, man muss das differenzierter betrachten. Dann sagen Sie uns doch ein, zwei, drei Punkte, die die Kanzlerin falsch gemacht hat?
    Scharnagl: Ich glaube nicht, dass man das machen kann. Erstens kann ich nur sagen, die Kanzlerin regiert nicht allein die Bundesrepublik Deutschland, die Kanzlerin regiert nicht allein die CDU und die Kanzlerin regiert auch nicht allein CDU und CSU. Was entschieden worden ist in Bundesregierung und Parlament, ist mit großen Mehrheiten entschieden worden. Und auch die, die heute Kritik üben - und diesen Schuh muss sich auch Hans-Peter Friedrich anziehen -, haben zugestimmt. Ich kann mich nicht erinnern, dass es bei den jetzt apostrophierten kritischen Punkten zu großen Schlachten, Abstimmungen, öffentlichen Kämpfen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gekommen wäre.
    Müller: Er ist offenbar über Weihnachten aufgewacht und hat jetzt gesagt, oh, das war ein Fehler, jetzt muss ich das unbedingt mal sagen. Und verantwortlich ist die Kanzlerin, sagt er.
    Scharnagl: Ja, mir ist das zu simpel, das ist mir zu einfach, das geht nicht. Wenn etwas falsch gemacht worden sein sollte, müssen sie alle in den Spiegel schauen und alle an der Nase fassen. Und alle, die im Parlament sitzen, die in der Landesgruppe sitzen, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sitzen und die sich mit lauter Kritik an Personen, an der Frau Bundeskanzlerin zu Wort melden, müssen sagen: Habe ich mich zu Wort gemeldet, als die Frau Bundeskanzlerin in der Fraktionsbank in der ersten Reihe saß?
    Pegida-Demonstrationen
    Müller: Jetzt schreiben viele Kommentatoren in den Tageszeitungen, vielleicht gibt es eine Spaltung des bürgerlichen Lagers. An Sie die Frage, Herr Scharnagl: Ist diese Spaltung nicht längst da?
    Scharnagl: Ich weiß es nicht. Es gibt immer spontane Aufwallungen in der Politik, die man außerordentlich ernst nehmen muss. Strauß' Wort, dem Volk aufs Maul zu schauen, ohne ihm nach dem Munde zu reden. Und ich glaube, man muss alles ernst nehmen. Man darf nicht immer nur dem Mainstream ... Der Mainstream ist zurzeit, angeblich gebe es Islamfeindlichkeit. Das glaube ich nicht. Wenn ich mich umschaue in meiner Nachbarschaft oder überall, ist das Gegenteil der Fall, eine große mitmenschliche Herzlichkeit in Deutschland. Andererseits, dass Menschen Angst habe, wenn zu Hunderttausenden Menschen aus dem Ausland zu uns strömen, das ist das andere. Und wenn gleichzeitig der Islam, überall in der Welt, wo Krieg ist, wo Christen verfolgt, hingerichtet, ihre Kirchen verbrannt, sie totgeschlagen werden, es islamische Kräfte sind, da muss ich für diese Menschen, die davor Angst haben, mehr Verständnis haben, als es bisher offiziell von der Politik und auch in den Medien gezeigt wird. Das, glaube ich, ist ein großes Problem.
    Müller: Verständnis für Pegida?
    Scharnagl: Ich habe nicht für die Anführer der Pegida Verständnis, aber ich habe genauso kein Verständnis dafür, wenn man die gleich niedermacht. Ich kann nur sagen, wie Seehofer gesagt hat: Durch Beschimpfung treibt man die Menschen eher in die Arme der Verführer, als dass man sie aus ihren Armen herausholt. Und da muss man schon ein bisschen unterscheiden und sagen, es gibt schlimmere Untaten in Deutschland auf den Straßen, als wenn jemand Weihnachtslieder singt. Wenn ich denke, was hier bei Demonstrationen, ob in Hamburg oder Berlin, wenn Hunderte von Gewalttätern immer durchs Land ziehen, Autos anzünden, Häuser vernichten, Läden plündern, da ist eigentlich die Aufregung wesentlich geringer als jetzt, wenn ein paar Tausend Leute demonstrieren und protestieren. Ob mir das gefällt oder nicht, das ist nicht die Frage. Aber ich kann nur sagen, man muss schon ein bisschen das Gleichgewicht wahren und die Dinge so sehen, wie sie sind, und nicht maßlos übertreiben. Man tut so, als ob Deutschland in Flammen stünde, weil ein paar Tausend Leute friedlich ... Mir ist nichts bekannt von Krawallen, von Zerstörungen, von Gewalttaten. Das Schlimmste, was sie angerichtet haben, sie haben Weihnachtslieder gesungen.
    Müller: Herr Scharnagl, Sie sind gut in Form, ich muss noch eine Frage stellen! Vielleicht hat Herr Friedrich genau das versucht, dieses Gleichgewicht herzustellen in der Partei?
    Scharnagl: Das mag schon sein. Ich meine, er ist ja nicht alleine, es gibt andere oder so. Aber insgesamt glaube ich, Friedrich, den ich für einen ehrenhaften, tüchtigen Mann halte, ist gut beraten, all das, was er für richtig hält - und vieles davon ist richtig -, intern und dort, wo es sein muss, in den parlamentarischen Gremien, in den Parteien, dort zur Sprache zu bringen. "Spiegel"-Interview ist immer reizvoll und delikat und wunderbar, aber das ist nicht das Forum, wo die politischen Entscheidungen getroffen werden.
    Müller: Wilfried Scharnagl, der frühere Chefredakteur des "Bayernkuriers" bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Sie sind auf dem Flughafen, ich hoffe, es geht in den Urlaub?
    Scharnagl: Nein, es geht nicht in Urlaub, ich habe meine Tochter hier abzuliefern, aber ich bin immer gerne auf einem Flughafen, der den wunderbaren Namen Franz Josef Strauß trägt.
    Müller: Das Schlusswort. Ich danke ganz herzlich für das Interview, Ihnen noch einen schönen Tag und kommen Sie auch gut ins neue Jahr!
    Scharnagl: Danke, Ihnen auch!
    Müller: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.