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Fruchtbares Forschungsgebiet

Genetik. – Die regulative Wirkung von Mikro-RNA in der Zelle konnte erst mit modernsten Methoden erfasst werden. Ein deutscher Forscher war bei der Entdeckung dieser neuen Klasse von Kontrollmolekülen ganz vorn dabei und – forscht heute in den USA.

Von Michael Lange |
    Die Ribonukleinsäure RNA - oder zu deutsch RNS - ist - wenn man so will - der kleine Bruder des Erbmoleküls, der DNA oder DNS. Das steht für Desoxyribonukleinsäure. Die RNA hat verschiedene Aufgaben in einer Zelle. Die wichtigste ist die als Bote vom erbgut zu den Orten, wo die Eiweiße hergestellt werden. Diese Moleküle heißen mRNA, messenger RNA - zu deutsch: Boten RNS. Die mRNA ist eine Abschrift eines einzelnen Gens aus dem Erbgut. Nach dem Plan, den die mRNA überbringt stellt die Zelle Eiweiße her. Das ist die Grundlage der Molekularbiologie, und seit den sechziger Jahren bekannt. Es gibt aber auch noch andere Formen der RNA. Eine davon steht erst in den neuesten Lehrbüchern. Das ist die Mikro-RNA. Kleine Schnipsel der Ribonukleinsäure. Ein junger deutscher Wissenschaftler hat sie Ende der neunziger Jahre entdeckt. Thomas Tuschl:

    "In Deutschland haben wir eine Methode entwickelt, um diese kleinen RNAs aufzuspüren. Da waren wir eben sehr überrascht, dass wir so viele kleine RNAs in Humangewebe und damals auch in Fliegen gefunden haben."

    Thomas Tuschl fand heraus, dass die kleinen RNA-Schnipsel eine Rolle bei der Genregulation spielen. Das heißt: Sie entscheiden mit darüber, ob ein Gen aktiv ist oder nicht. Also: Wird die DNA in RNA abgeschrieben oder nicht. Für viele Experten war das die wichtigste Entdeckung der Biologie in den letzten zehn Jahren. Tuschl:

    "Es ist ein grundlegender Mechanismus der Genregulation. Den hätte man schon längst vor zwanzig Jahren erkennen können mit den damals schon verfügbaren Methoden. Niemand hat gedacht, dass es so einen Mechanismus gibt. Das ging über die Vorstellung der meisten Biologen hinaus. Und man hat überhaupt nicht daran gedacht, dass so etwas existieren könnte."

    Thomas Tuschl wechselte dann vom Max-Planck-Institut in Göttingen zur renommierten Rockefeller-Universität in New York. Dort versucht er nun herauszufinden, wie die kleinen RNA-Schnipsel wirken. Der Mechanismus ist immer noch unklar. Bekannt ist: Sie funktionieren als fein abgestimmte Bremsen für einzelne Gene. Es läßt sich aber noch nicht vorhersagen, welche Bremse auf welches Gen wirkt. Viele Wissenschaftler sagen den kleinen Mikro-RNAs eine große Zukunft in der Medizin voraus: als gezielt wirkende Medikamente - auch und gerade in der Krebstherapie. Tuschl:

    "Es gibt bestimmte Mikro-RNAs, die fehlen manchmal in Tumorzellen, oder welche, die tauchen in Tumorzellen plötzlich auf. Die normalerweise nicht in gesundem Gewebe auftauchen. Und die Frage ist, ob das möglicherweise etwas mit der Regulation von Zellwachstum zu tun hat."

    Das Revolutionäre daran wird deutlich, wenn man eine fehlgesteuerte Zelle mit einem überschwemmten Badezimmer vergleicht. Herkömmliche Medikamente wirken wie Putzlappen. Sie wischen die Pfützen weg, ohne das Problem zu lösen. Gentherapeuten schrauben an den Rohrleitungen herum und richten manchmal eher Schaden an. Thomas Tuschl aber hat den Wasserhahn entdeckt. Jetzt geht es darum herauszufinden, wie man ihn zudreht. Spätestens dann winkt für Thomas Tuschl auch die höchste aller wissenschaftlichen Auszeichnungen:

    "Die Entdeckung der RNA-Interferenz, die hat sicher einen Nobelpreis verdient. Aber da gibt es natürlich viele Wissenschaftler, die man vorschlagen kann."