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"Früchte des Zorns" am Thalia Theater
Flüchten: Wie und wohin?

Mit einem Klassiker der amerikanischen Literatur, John Steinbesks "Früchte des Zorns", haben am Thalia Theater in Hamburg die "Lessingtage" begonnen. Wohl auch weil sich das Theater stark engagiert in der aktuellen Flüchtlingsproblematik, hat Hausregisseur Luk Perceval diese Fabel vom Flüchten inszeniert: Ein Kommentar zum Streiten um die Geflüchteten dieser Tage.

Von Michael Laages | 24.01.2016
    Das Thalia Theater, aufgenommen am 14.06.2014 in Hamburg.
    Das Thalia Theater in Hamburg. (picture alliance / dpa / Thomas Warnack)
    Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden – sehr viel mehr als diese allerletzte Hoffnung der Bremer Stadtmusikanten hat auch Familie Joad nicht, als sie die Pacht für die ehedem eigene Farm nicht mehr zahlen kann und – vom eigenen Boden und Grund der Väter und Mütter vertrieben - den schwer asthmatischen Lastwagen anwirft und sich mit Sack und Pack, Kind und Kegel auf den Weg der Verzweiflung macht. Wer allerdings im Hamburger Thalia Theater die komplette (und sehr vielköpfige) Reisegesellschaft wieder treffen möchte, deren einzelne Geschichten sich in vielen verschiedenen Strängen vermischen in Steinbecks Roman, der wird erst mal suchen müssen – und dabei nicht unbedingt finden. Wer ist hier wer?
    Der Theaterfassung jetzt hat Luk Perceval die Version von Frank Galati zugrunde gelegt, die der 1990 für die experimentelle "Steppenwolf"-Company erarbeitete – und schon in der bleibt vom vielstimmigen Joad-Chor nicht allzu viel übrig.
    Sohn Tom treibende Figur
    Sechs verbliebene Personen suchen hier also fürs Theater ein Stück Literatur. Die starke Mutter hält das Heft längst in der Hand hält, und der fast verstummte Vater, ein massiger Farbiger in dieser Aufführung, setzt von Beginn an die Farben des Blues und der Jazz-Balladen in Percevals Inszenierung. Oma und Opa sterben auf dem Weg und existieren auf der Bühne nur virtuell und im Moment des Todes. Sohn Tom (der aus dem Gefängnis heimkommt und die alte Heimat schon zerstört und in Auflösung vorfindet) wird zur zentralen, treibenden Figur; nicht nur, weil er immer wieder den stotternden Motor des Lasters anwirft – und dabei rhythmisch mit den Füßen trappelt, wenn der alte Knatterkasten endlich läuft.
    Schwester Rosie ist schwanger und wird am Ende eine Totgeburt erleiden, dann kurbelt die Rest-Familie auch im kalifornischen Elend von Flüchtlingslager und Arbeitslosigkeit wieder den Lastwagen an - für die nächste Fluchtstrecke. Onkel John plappert derweil unentwegt, erzählt immer wieder denselben schlechten Witz und säuft sich fast zu Tode – der einstige Wanderprediger Jim Casy schließlich, der nicht mehr beten und nicht mehr glauben kann, geht am Ende mit dem toten Kind im Arm zugrunde in den herbstlichen Regenfluten, die das Lager überschwemmen.
    Nur zwei weitere Requisiten im leeren Raum
    Der siebte Hauptdarsteller sind tote Blätter, Laub, ganz viel altes Laub ... unablässig fällt es auf die Bühne von Annette Kurz, nach dem die Reise begonnen hat. Darüber hinaus gibt's nur zwei weitere Requisiten im leeren Raum: eine fast bühnenbreite Allwetter-Plane, die alles Mögliche darstellen kann: den Lastwagen persönlich oder –sorgsam zusammen gefaltet- auch den Körper der toten Oma. Und Vater, der Blues-Barde, schleppt abendfüllend eine Art übergroßen Hirtenstab mit sich herum, wie als Zeichen des Anführers ... aber auch er führt halt nicht mehr an. Was Perceval tatsächlich zeigen will, ist ein Kollektiv auf der Flucht, das immer weiter treibt und nie wirklich weiß, wohin und wie – und was am Ende des Weges sein wird. Flüchtende eben.
    Eine Passion aus Laub und Staub. Perceval schickt Steinbecks Familie auf den Leidensweg, als wär's ein Ritual, eine unendliche Litanei vom unaufhaltsamen Untergehen. Und genau so, im beinahe immer gleichen Ton, wird auch gesprochen in den nicht mal zwei Spielstunden – das international durchmischte Ensemble (zwei Ensemble-Mitglieder aus Hamburg, zwei aus Gent, eine Russin aus Sankt Petersburg und ein gebürtiger Nigerianer) findet diesen gemeinsamen, ziemlich beschwörenden Ton. Der Prediger, der keiner mehr sein will, nimmt zuweilen ein Megafon zur Hand, eine Flüstertüte, und gibt den Erzähler – aber nur das und das immer wieder kehrende Ritual des stotternden Motors geben dem ansonsten recht fahlen Abend Richtung und Struktur.
    Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss – und führt nirgendwo mehr hin. So – das sagt Perceval auch mit dieser Inszenierung - sollten wir uns wohl das Flüchten vorstellen, den Verlust der Heimat und aller Sicherheit, die sie mal bot. So passt diese triste Eröffnung vielleicht (und zumindest) ganz gut zum Streiten um die Geflüchteten dieser Tage.