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Frühe Werkzeugmacher

Zahlreiche Untersuchungen konnten zeigen, dass die Neandertaler ihre Toten bestatteten, das Feuer beherrschten und erfolgreiche Jäger und Sammler waren. Jetzt präsentiert ein Archäologenteam eine Studie, nach der die Neandertaler auch geschickte Werkzeugmacher waren.

Von Michael Stang | 13.08.2013
    Die Dordogne im Südwesten Frankreichs verdankt ihren Namen den Kelten, die den Fluss als "du unna" bezeichneten, was so viel wie "schnelles Wasser" bedeutet. Doch die Kelten waren nicht die ersten Menschen, die die fruchtbare Gegend und das milde Klima dort zu schätzen wussten, sagt Marie Soressi. In den Erdschichten vor zwei Höhlen nahe des Ufers der Dordogne stieß die Archäologin von der Universität Leiden auf zahlreiche prähistorische menschliche Hinterlassenschaften.

    "An beiden Plätzen lebten ausschließlich Neandertaler und zwar vor rund 50.000 bis 40.000 Jahren. Wir haben dort einige einzigartige und sehr alte Knochenwerkzeuge gefunden. Diese sehen fast genauso aus wie jene, die Handwerker heute bei der Lederbearbeitung benutzen. Wir haben dann an einem der Knochen Mikroverschleißanalysen gemacht und konnten beweisen, dass damit Tierhaut bearbeitet wurde."

    Diese Spezialwerkzeuge sind die ältesten, die je in Europa entdeckt wurden. Dabei handelt es sich um vorn abgerundete Rippen von Rehwild. Wenn man mit diesen Knochenstäben über die Tierhaut schabt, wird das Leder weicher, glatter und wasserbeständiger.

    "Diese Entdeckung bestätigt, dass die Neandertaler sehr wohl komplexe, technische Fähigkeiten besaßen. Meiner Meinung nach ist das der nächste Beleg dafür, dass die Neandertaler nicht wegen angeblicher fehlender technischer Fähigkeiten ausgestorben sind."

    Die nun beschriebenen Fundstücke sind die ersten eindeutig den Neandertalern zugeordneten Werkzeuge dieser Art und auch wesentlich älter als die frühesten Spuren von anatomisch modernen Menschen in Südfrankreich. Dies wirft einige Fragen auf, sagt Shannon McPherron vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der an der Studie beteiligt war.

    "Wenn wir bei Ausgrabungen Werkzeuge entdeckt haben, die wir Neandertalern zuordnen konnten, dann stammten sie bislang immer aus der der Zeit, in der die anatomisch modernen Menschen bereits nach Europa gekommen waren. Von daher war es bislang immer sehr wahrscheinlich, dass es da einen Einfluss gab, dass also Neandertaler damit begonnen hatten, diese Werkzeugtechniken von unseren Vorfahren zu kopieren."

    Die Datierung eines der nun entdeckten vier Werkzeuge ergab aber ein Alter von 51.000 Jahren. Dies passt nicht in die bisherigen Theorien, denn zu dieser Zeit lebten die Neandertaler im Südwesten Frankreichs noch allein. Unsere Vorfahren kamen erst einige tausend Jahre später erstmals in diese Gegend. Als Erklärung bleiben zwei Möglichkeiten, so Shannon McPherron: Entweder haben die Neandertaler unabhängig von unseren Vorfahren diese Werkzeuge entwickelt, oder Vertreter von Homo sapiens sind schon viel früher nach Frankreich gekommen. Eine Antwort wird sich bald finden lassen, so der US-amerikanische Archäologe.
    "Ich vermute, dass wir weitere dieser Knochenwerkzeuge finden werden und zwar nicht nur hier, sondern auch in anderen Gegenden. Zudem ist es nicht unwahrscheinlich, dass es sie schon viel früher gab. Es gibt einige Anzeichen dafür, dass die Neandertaler diese Technik unabhängig von unseren Vorfahren entwickelt haben. Um das zu klären, müssen wir jetzt einfach nur in älteren Ausgrabungsstätten nach diesen Werkzeugen suchen."

    Finden sich diese Werkzeuge immer nur im Zeitraum von 50.000 bis 40.000 Jahren vor unserer Zeit, dann sei es wahrscheinlich, dass die modernen Menschen die einzigen Erfinder waren. Entdecken die Archäologen jene Werkzeuge aber auch in Schichten, die 70.000 oder 80.000 Jahren alt sind, ist der Plagiatsvorwurf an die Neandertaler vom Tisch. Dann wären nicht nur die Neandertaler die Erfinder dieser Technik, sondern sie hätten diese Fähigkeit vermutlich auch unseren Vorfahren beigebracht.