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Früher Finanzskandal
Die Pleite einer adeligen Handelsgesellschaft

Riskante Investitionen und leichtsinnige Geschäfte sind nicht erst Erfindungen des globalisierten Finanzmarktes. Christian Bommarius schildert in "Der Fürstentrust" einen Wirtschaftsskandal aus wilhelminischer Zeit. Es geht um Spekulanten, Hochrisiko-Unternehmungen und Haftungsfragen.

Von Michael Braun | 17.07.2017
    Max Egon zu Fürstenberg und Kaiser Wilhelm II auf Fuchsjagd.
    Max Egon zu Fürstenberg und Kaiser Wilhelm II auf Fuchsjagd. (Berenberg Verlag )
    Zwei Männer auf der Fuchsjagd. Max Egon zu Fürstenberg und der Kaiser. Die blank geputzten Stiefel lassen zweifeln, ob sie das Tier, das Wilhelm II. an den Hinterläufen hochhält, wirklich selbst erlegt haben. Aber das Foto auf dem Einband passt schön zum Buch "Der Fürstentrust" von Christian Bommarius und dessen Untertitel: "Kaiser, Adel, Spekulanten". Man ahnt was kommt, ein Bericht aus der Zeit, als Etikette viel galt und Geld auch und als in der Oberschicht Männerfreundschaften mit Macht und Machenschaften zu tun hatten.
    "Der Fürstentrust" erzählt die Geschichte einer Aktiengesellschaft, der Handelsvereinigung AG, mit der zwei große Fürstenhäuser mit engem Kontakt zum Kaiser ihre wirtschaftliche Basis mehren wollten - und grandios scheiterten. Unfähigkeit, Nibelungentreue zu falschen, gar korrupten Beratern und Verwaltern, geprägt vom Standesdünkel einer Oberschicht, deren Ende sich andeutete, die Finanzgespräche mit ihren Banken leichthin absagte, weil sie plötzlich lieber ins Theater ging. Es geht um die beiden reichen Adeligen Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen und Max Egon II. Fürst zu Fürstenberg. Der Autor Christian Bommarius kann nach aufwändigen Recherchen für die beiden nicht viel übrig haben:
    "Früher gab es dafür das Wort Hasardeure, heute würden wir eher sagen Zocker, Börsenzocker. Sie waren Zwitter, einerseits eben Zocker und andererseits eben Fürsten mit einem feudalen Selbstbild. Sie glaubten, sie hätten Anspruch darauf, jedermann, also auch den Kapitalisten und dem kapitalistischen Markt die Regeln vorzugeben. Und das taten sie. Mit dem 'kleinen Fehler', dem Nachteil, dass niemand diese Regeln akzeptierte. Das heißt: Sie fielen durch."
    Die Geschichte des "Fürstentrusts" ist eine Geschichte riskanter, unkontrollierter, verschachtelter, unprofessioneller und verlustreicher Investitionen. Zwei Aristokraten scheiterten an ihrem Ego, das sich mit ökonomischen Gesetzen nicht auseinandersetzen zu müssen glaubte.
    Zwei unersättliche Inverstoren
    Sie kauften alles, was die damalige Zeit hervorbrachte: Spielcasino, Reedereien, die Deutsche Palästina-Bank, Baufirmen, die luxuriöse Berliner Warenhäuser und Edelhotels wie das Grand Hotel Esplanade bauten, die Allgemeine Berliner Omnibus-AG, dazu Kaliwerke, Kohlengruben, ein Rückversicherer, Kaffeeplantagen und und und.
    "Die Palette der breit gefächerten Engagements […] erklärt, warum der Berliner Volksmund die Handelsvereinigung nach kurzer Zeit als 'Monsieur Überall' verspottet."
    Christian Bommarius hat blendend recherchiert. In die Archive der Fürstenhäuser kam er zwar nicht. Seine Anträge seien "ebenso höflich wie ausnahmslos" abgewiesen worden. Aber zeitgenössische Zeitungen wertete er zuhauf aus, dazu die – allerdings recht spärlich vorhandene – relevante Literatur. Und einiges Material fand sich auch im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, weil die Fürsten eben nicht nur Fürsten und reich waren, sondern auch mit dem Kaiser per "Du".
    Vom Geben und Nehmen in Adelskreisen
    Der Autor will mehr als nur eine Unternehmensgeschichte erzählen. Sein Untertitel "Kaiser, Adel, Spekulanten" deutet die investigative Absicht an, die Mauscheleien zwischen Kapital und Krone offenzulegen. In der Tat: Man kannte sich und man benutzte sich. So wie Kaiser Wilhelm II. etwa Max Egon zu Fürstenberg, seit 1896 Chef des gesamten fürstenbergischen Hauses. Das machte ihn zum Mitglied mehrerer Herrenhäuser, also Kammern mit gesetzgeberischen Funktionen, unter anderem in Preußen und Österreich-Ungarn. Einen solchen Wanderer zwischen den Staaten wie Max Egon konnte Wilhelm II. gut gebrauchen:
    "Für Wilhelm wird er damit nicht nur zum perfekten Informanten, der ihn über alle Vorgänge im Haus Habsburg auf dem Laufenden hält, der deutsche Kaiser benutzt ihn auch, um direkt auf die österreichische Politik Einfluss zu nehmen."
    Doch die erspürte Absicht des Autors, den "Fürstentrust" in eine Linie mit der Finanzkrise der heutigen Zeit zu stellen und daraus mehr als einen Wirtschaftskrimi zu machen, nämlich eine Kapitalismuskritik und eine Kritik am Zusammenspiel von Macht und Geld, diese spürbare Absicht scheitert an den Fakten.
    Die Konsequenzen trafen die Richtigen
    Zwar sorgte die Staatsspitze in Form Wilhelm II. für Hilfe, als die Handelsvereinigung AG, also der "Fürstentrust", wegen hoher Schulden und ebensolcher Verluste auf die Pleite zusteuerte. 1914 musste er liquidiert werden. Der Kaiser hatte die Deutsche Bank angesprochen und zu Hilfe geschickt. Die aber erledigte die Sanierung so, wie es sich gehört: Sie schloss, was geschlossen werden musste. Sie verkaufte, was verkauft werden konnte. Und sie ließ die Schuldigen dafür mit ihrem Geld bezahlen:
    "Der notorisch zahlungsunwillige Max Egon wird gezwungen, eine Anleihe in Höhe von 22 Millionen Mark aufzulegen und mit seinem Grundbesitz in Baden zu besichern. […] Verkauft werden Aktien der Niederlausitzer Kohlenwerke-AG im Wert von acht Millionen Mark, der Kaliwerke Friedrichshall und Sarstedt im Wert von elf Millionen und der Hohenlohe-Werke AG im Wert von 15 Millionen Mark."
    Zahlen mussten die Fürsten auch mit ihrem Ruf: "Darüber hinaus bescheinigt die Bank den Fürsten, Finanzbarone und Industrieritter zu sein, die im Geschäftsleben nichts zu suchen hätten." So weit, dass das Kaiserreich das Unternehmen aus der Misere rettete, ging es also nicht.
    Die Parallelen zur Gegenwart
    Man spürt, dass Bommarius neben dem unternehmerischen auch gern einen politischen Skandal recherchiert hätte. Das gab das Material aber nicht her. Parallelen zwischen heute und damals, so der Autor, gebe es dennoch:
    "Die Börsenkrisen können sein, wie sie wollen. Sie sind ja jedes Mal anders, aber in ihrer Krisenhaftigkeit dann letztlich doch immer gleich, auch immer getragen von der Habgier als handlungsleitendes Motiv. Das ändert sich auch nicht."
    Der Leser wünscht sich, dass das nicht stimmt. Und daraus erwächst ein Teil der Spannung, die die Lektüre dieser fast vergessenen Unternehmensgeschichte mit sich bringt. Schön, dass Bommarius sie ausgegraben hat.
    Christian Bommarius: "Der Fürstentrust. Kaiser, Adel, Spekulanten"
    Berenberg Verlag, 152 Seiten, 22 Euro.