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Frühkindliche Bildung
"Eine gute Kita bietet einfach mehr Möglichkeiten"

Erziehungsforschung. - In Berlin haben Deutschlands Wissenschaftsakademien heute eine gemeinsame Stellungnahme zur frühkindlichen Sozialisation vorgestellt. Fördern durch spielen, das gelinge in einer Kita einfach besser als in einer Familie. Und auch für den Spracherwerb gilt: Wer eine andere Muttersprache hat, lernt in der Kita Deutsch "wie von selbst".

Volkart Wildermuth im Gespräch mit Ralf Krauter | 03.07.2014
    Kinderspielzeug hängt an einem Rahmen. Im Hintergrund spielt eine Erzieherin mit zwei kleinen Kindern
    Sozialisation fällt in der Kita leichter. (dpa / Julian Stratenschulte)
    Krauter: Herr Wildermuth, zu welchem Schluss kommen die Experten in dem 100-seitigen Positionspapier? Vielleicht spielen, oder sollten die ganz Kleinen aktiv gefördert werden?
    Wildermuth: Ja, es geht hier nicht um lernen, sondern es geht um fördern durch spielen. Eine gute Kita bietet einfach mehr Möglichkeiten als eine Familie auf diesem Gebiet. Ausgangspunkt der Überlegungen der Akademien war ein Befund aus der Entwicklungspsychologie und Hirnforschung: Kleinkinder lernen nicht nur schneller, sie lernen auch anders als ältere Kinder und Erwachsene. Ihr Gehirn und Geist ist einfach besonders offen und saugt Erfahrungen auf. Und diese besondere Offenheit, die verschwindet einfach nach einer Weile. Und dann kann natürlich nur noch gelernt werden, aber, wie wir alle wissen, mit deutlich mehr Mühe und Anstrengung. Gerade im Spracherwerb ist deutlich: Wenn ein Kind eine Sprache perfekt lernen will, so wie seine Muttersprache, dann muss dieses Kind die Sprache schon vor dem vierten Geburtstag intensiv erleben können.
    Krauter: Heißt das, die englisch- oder chinesischsprachige Nanny zahlt sich am Ende doch aus, und jeder sollte eine haben?
    Wildermuth: Ja, das wäre vielleicht wirklich nicht schlecht. Aber den Wissenschaftlern geht es um etwas anderes. In Deutschland wachsen ja viele Kinder in Familien auf, die eine andere Muttersprache haben. Und wenn die nicht in die Kita gehen, dann verpassen sie einfach eine große Chance. Wenn die dann in die Schule kommen und dort Deutsch lernen müssen, dann starten sie mit einem großen Handikap. In einer Kita, in der viel Deutsch gesprochen wird, da lernen sie die Sprache wie von selbst. Das geht im übrigen nicht auf die Kosten der Muttersprache. Also, die Kinder sprechen dann fließend Deutsch und Türkisch, Deutsch und Arabisch oder Deutsch und Chinesisch.
    Krauter: Sie haben das kritische Zeitfenster erwähnt. Bis zu vier Jahre beim Spracherwerb. Gibt es etwas ähnliches auch beim Erlernen anderer Fähigkeiten, also eine Schwelle, ab wann es dann wirklich deutlich schwieriger wird?
    Wildermuth: Also solche Zeitfenster sind da nicht mehr so genau definiert. Aber es ist schon so, dass zum Beispiel die Intelligenz, wenn die früh in die richtigen Bahnen gelenkt wird, später einfach leichter wachsen kann, und - was ich besonders spannend fand - das gilt auch im sozialen Bereich. Ein hoher IQ, der bringt später im Leben wenig, wenn man nicht motiviert ist, wenn man sich nicht selbst unter Kontrolle hat, wenn man nicht mit anderen zusammenarbeiten kann. Und diese sozialen Fähigkeiten, die entwickeln sich nicht von selbst. In der Kita, da ist viel mehr Anregung, da geht das besser und da gibt es Programme wie zum Beispiel "Tool of the minds", die zeigen, dass sich das Stärken der Selbstkontrolle auf lange Sicht wirklich auszahlt.
    Krauter: Auszahlt auch im ökonomischen Sinne verstanden? Also in Heller und Pfennig?
    Wildermuth: Also eher in Dollar und Cent, weil die meisten dieser Studien, die kommen aus Nordamerika. Aber die Ökonomin auf dem Podium, die meinte, dass sich gerade Investitionen in die frühkindliche Bildung ganz besonders auszahlt für das einzelne Kind und auf lange Sicht auch für die Gesellschaft in Form von höheren Steuereinnahmen. Da gibt es wirklich Studie dazu. Und es dient auch der Bildungsgerechtigkeit, weil gerade solche frühen Investitionen es erlauben, dass jedes Kind das Potenzial, dass es hat, wirklich ausschöpfen kann.
    Krauter: Da waren ja jetzt Experten ganz unterschiedlicher Disziplinen am Start. Auf welche konkrete Empfehlungen an die Politik konnten die Forscher sich den einigen?
    Wildermuth: Da waren sie dann doch ein bisschen zurückhaltend. Man kann eben nicht aus neurobiologischen Daten direkt einen Lehrplan ableiten. Aber zwei Dinge sind ganz klar. Erstens: Frühkindliche Investitionen lohnen sich. Zweitens: Es kommt auf die Qualität der Angebote an. Das heißt, dass sich Erzieherinnen auch fortbilden müssen, die Gruppen nicht zu groß sein dürfen. Der dritte Punkt: Besonders profitieren Kinder aus eher benachteiligten Familien, und das sind leider die Familien, die solche Angebote eher wenig annehmen. Hier kann ein Anreiz und Aufklärung besonders effektiv sein.
    Krauter: Klingt für mich aber so, als ob in dieser Studie, in dieser Stellungnahme, jetzt nicht das Rad nicht gerade neu erfunden worden wäre. War das nicht schon alles länger schon klar? Welchen Mehrwert hat dieses Positionspapier jetzt wirklich?
    Wildermuth: Also es ist viel schon in Bewegung, gerade quantitativ, sagen die Bildungsforscher ganz optimistisch. Es gehen immer mehr Kinder in Deutschland in die Kita. Aber was die Qualität betrifft, da stellt diese Studie wirklich noch einmal klar, von der Gehirnentwicklung über die Pädagogik bis zur Ökonomie, wie wichtig das ist. Und das ist eine Botschaft, die sowohl Eltern als auch Politiker hören sollten.