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"Führererlass" schützt Nazi-Kriegsverbrecher in Deutschland

Zu den letzten "Tätern" des Zweiten Weltkrieges gehört der 89 Jahre alte Niederländer Klaas Carel Faber. Weil der "Führererlass" Adolf Hitlers den freiwilligen SS-Soldaten Faber zum Deutschen machte, konnte die niederländische Justiz Faber nie zur Rechenschaft ziehen - obwohl sie ihn vor 64 Jahren verurteilt hat.

Von Kerstin Schweighöfer | 04.07.2011
    Florens van den Bosch blättert in seiner Amsterdamer Wohnung durch ein Dossier mit alten Fotos seines Großvaters. Dieser niederländische Widerstandskämpfer war im Oktober 1944 im niederländischen Konzentrationslager Westerbork von einem Hinrichtungskommando erschossen worden.

    Iman Jacob van den Bosch war einer der Mitbegründer des sogenannten Nationalen Hilfsfonds. Während der deutschen Besatzungszeit sammelte er Geld ein für untergetauchte Juden, für die Familienangehörigen von anderen Widerstandskämpfern und von Seeleuten, die für die Alliierten kämpften.

    Daraufhin musste van den Bosch untertauchen. Zwei Jahre später wurde er verraten. "Das war bei einem Treffen mit anderen Widerstandskämpfern ”, erzählt sein Enkel:

    "Mein Großvater konnte zwar noch flüchten, es gelang ihm sogar, bei einer Fahrradwerkstatt ein paar Meter weiter die belastenden Dokumente, die er bei sich hatte, in den Ofen ins Feuer zu werfen. Aber dann wurde er verhaftet und gefoltert - und in Westerbork erschossen."

    Unter den fünf Todesschützen befand sich auch Klaas Carel Faber – jener niederländische SS-Freiwillige, der seit Jahrzehnten unbehelligt von der deutschen Justiz in Ingolstadt wohnt und dessen Auslieferung die niederländische Justiz bislang vergeblich gefordert hat.

    Die niederländischen Medien berichten regelmäßig über den Fall und stellen sich dabei wie viele Bürger immer wieder dieselbe Frage.
    Faber war 1947 wegen 22-fachen Mordes an Juden und Widerstandskämpfern zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Doch schon 1952 gelang ihm zusammen mit sechs anderen verurteilten Kriegsverbrechern die Flucht aus dem berüchtigten Kuppelgefängnis in Breda. Seitdem wohnt der heute 88-Jährige in Ingolstadt, wo er bei Audi gearbeitet hat.
    Was ihn schützt, ist die deutsche Staatsbürgerschaft, die er aufgrund eines sogenannten Führererlasses von 1943 bekommen hat: Dadurch wurden alle SS-Freiwilligen automatisch zu deutschen Staatsbürgern. Und deshalb kann Faber trotz des europäischen Haftbefehls, den die niederländische Justiz inzwischen erlassen hat, nicht ausgeliefert werden. Denn Deutschland liefert seine eigenen Staatsbürger nicht aus. Aber die wenigsten Niederländer begreifen das, auch Enkel Florens van den Bosch nicht:

    "Es geht doch nicht an, dass eine solche Regelung heute noch Gültigkeit besitzt! Die muss abgeschafft werden. Wie kann anno 2011 in einem demokratischen Deutschland ein Erlass von Hitler verurteilte Kriegsverbrecher schützen?"

    Faber selbst zeigt keinerlei Reue. Sein Vater war ein überzeugter Nazi, der sich den niederländischen Nationalsozialisten angeschlossen hatte und von einem Widerstandskämpfer getötet worden war. Diesen Tod versuchte Faber Junior, als SS-Freiwilliger zu rächen.

    In den letzten Jahren bekam Faber in Ingolstadt immer wieder Besuch aus den Niederlanden. Von Fernsehteams. Oder von Arnold Karskens von der Stiftung "Untersuchung Niederländische Kriegsverbrechen”, die sich schon seit Jahren für Fabers Auslieferung einsetzt. Karskens stellte sich Faber auf dem Parkplatz vor dessen Haus in Ingolstadt in den Weg:

    ""Denken Sie manchmal noch an die Opfer, die Sie auf dem Gewissen haben?” fragte er ihn.
    "Gehen Sie mir aus dem Weg!”, antwortete Faber.
    "Ich denke nicht daran!” konterte Karskens."

    Das niederländische Justizministerium hat trotz allem in all den Jahren nicht locker gelassen. Sein jüngster Schachzug: Wer einem europäischen Haftbefehl nicht nachkommen kann, hat die Pflicht, selbst für die Ausführung der Strafe zu sorgen – was in diesem Falle bedeuten würde, Faber hinter deutsche Gitter zu bringen. Den Haag hat bereits einen entsprechenden Antrag gestellt und der Staatsanwaltschaft in München vor Kurzem alle dafür nötigen Dokumente zukommen lassen.

    Jetzt sind die Deutschen wieder am Zuge, sagt Florens, der Enkel des niederländischen Widerstandskämpfers Iman Jacob van den Bosch. Florens ist es egal, wo Faber hinter Gittern landet – Hauptsache, er landet hinter Gittern.