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Führungskultur
Softwarefirma macht Ernst: "Wähl deinen Chef"

Wäre ich Chef, dann würde einiges besser laufen, meint so mancher Mitarbeiter. Wer das bei der Schweizer Firma Haufe Umantis denkt, kann sich einfach zur Wahl stellen. Denn seit einigen Jahren entscheidet dort die Belegschaft über ihre Vorgesetzten.

Von Dietrich Karl Mäurer | 03.07.2018
    Marc Stoffel, demokratisch gewählter Geschäftsführer der Firma Haufe Umantis
    Chef durch den demokratisch erklärten Willen der Belegschaft: Marc Stoffel, Geschäftsführer bei Haufe Umantis (Deutschlandradio / Dietrich Karl Mäurer)
    Die Mitarbeiter wählen ihren Chef - was die Firma Haufe-Umantis aus dem Schweizer St. Gallen macht, erinnert ein bisschen an eine alternative Kommune. Doch davon ist das Unternehmen weit entfernt. Haufe-Umantis - ein Tochterunternehmen der Haufe-Gruppe aus dem deutschen Freiburg - entwickelt Software und berät renommierte Konzerne wie Daimler, Zeiss oder Nike, damit die ihr Personal effektiver einsetzen. Zu dem Experiment der Wahl der Firmenspitze kam es vor fünf Jahren als der Gründer des einstigen Start-Ups sich zurückziehen und seine Nachfolge regeln wollte - erinnert sich der heutige - gewählte - Umantis-Chef Marc Stoffel:
    "Um offen zu sein, war das so eine Diskussion beim Bier. Da haben wir gesagt, ja klar, lass uns das machen, laden wir die ganze Firma ein in einen Raum und dann machen wir das."
    Der damals 31-jährige Marc Stoffel war mächtig aufgeregt, als er sich und seine Ideen zur Wahl stellte:
    "Dann hat nach etwa 60 Minuten Diskussion unsere Mannschaft gesagt, wir haben jetzt genug gehört, verlasst bitte den Raum. Und die haben über zwei Stunden im Geschlossenen diskutiert. Ich weiß bis heute nicht genau über was. Und haben dann nach den zwei Stunden eine anonyme Abstimmung gemacht und haben dann am Bildschirm das Resultat präsentiert."
    Chef mit der Akzeptanz der Belegschaft im Rücken
    Doch die Wahl habe ihm den Start als CEO leicht gemacht, sagt Marc Stoffel:
    "So war das für mich dann am nächsten Tag total einfach, weil ich einfach starten konnte mit dem, was ich eh vorhatte, weil ja die Mannschaft gesagt hat: Hey, wir glauben an Dich und Dein Programm."
    Übrigens: Jedes Jahr wird neu abgestimmt. Marc Stoffel wurde nun schon zum fünften Mal gewählt. Und mittlerweile entscheiden die Mitarbeiter auch über die Besetzung des übrigen Managements. Das Feedback sei für die Vorgesetzten eine wichtige Orientierungshilfe, erklärt Helmut Fink-Neuböck, der bei Haufe-Umantis für die Personal- und Geschäftsstrategie zuständig ist. Das demokratische Verfahren verlange den bewerteten Mitarbeitern aber auch viel ab, denn die Karriere-Leiter führt nicht immer nur nach oben:
    "Es ist vorgekommen, dass Kollegen die Firma verlassen haben, aber eigentlich sind die durch den Schmerz der persönlichen Niederlage gegangen. Das tut richtig weh, ja. Ich erinnere mich aber auch an die Standing Ovations für eine Kollegin, die gesagt hat, ich trete auch zurück, weil es braucht einen anderen, hat immer noch Respekt Jahre später. Und die finden sich in einer neuen Rolle. Also die Erwartungshaltung ist nicht, damit bist Du gekündigt, sondern, Du kriegst die Chance, Dir eine neue Rolle zu suchen."
    Theo Wehner, Professor für Arbeitspsychologie an der Technischen Hochschule ETH Zürich
    Theo Wehner, Professor für Arbeitspsychologie an der Technischen Hochschule ETH Zürich (Deutschlandradio / Dietrich Karl Mäurer)
    Dieses Konzept sei prinzipiell für jede Firma denkbar, sagt Theo Wehner. Der langjährige Professor für Arbeitspsychologie an der Technischen Hochschule ETH Zürich meint, es erzeuge eine spezielle Unternehmenskultur mit einer besonders engen Mitarbeiterbindung:
    "Ich bin mir sicher, dass so was wie Engagement der Mitarbeitenden - wenn man es angelsächsisch ausdrückt 'Involvement' und 'Engagement' - tatsächlich entstehen kann, in einem solchen Klima. Das kann man auch messen heute, das ist erfolgreicher. Und ich vermute auch, dass ein Unternehmen das macht, um wirtschaftlich auch erfolgreich zu sein."
    Denn, so der Arbeitspsychologe: "Es rechnet sich."
    Haufe-Umantis-Chef Marc Stoffel schätzt: 40 bis 50 Prozent des heutigen Umsatzes und Gewinns würde man nicht machen, hätte man nicht mutig experimentiert.
    Mitbestimmung auch bei der Firmenstrategie
    Und das Experiment geht inzwischen so weit, dass die Mitarbeiter auch bei strategischen Fragen mitbestimmen können:
    "Wir wählen Führungskräfte, dass sie entscheiden, wenn Sie aber Fehler machen, dann gibt es das Initiativrecht, Vorschläge zu machen, strategische Veränderungen zu pushen, aber auch das Referendumsrecht, gegen einen Entscheid vorzugehen."
    Die dabei gesammelten Erfahrungen nutzt Haufe Umantis für die Beratung seiner Kunden. Die, so sagt Marc Stoffel, zeigten sich nach anfänglicher Skepsis mittlerweile sehr aufgeschlossen für die Idee der mitarbeiterzentrierten Unternehmenskultur.