Freitag, 19. April 2024

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Führungswechsel bei der VolkswagenStiftung
Krull: "Die Wissenschaft muss lernen, zuzuhören"

Bei der VolkswagenStiftung, dem größten privaten Forschungsförderer in Deutschland, scheidet Generalsekretär Wilhelm Krull. Im Dlf-Gespräch zieht er Bilanz und benennt die großen Probleme der Wissenschaftslandschaft: Marode Infrastrukturen, mangelnde Risikobereitschaft, wachsendes Misstrauen.

Wilhelm Krull im Gespräch mit Ralf Krauter | 12.12.2019
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Wilhelm Krull war von 1996 - 2019 Generalsekretär der VolkswagenStiftung in Hannover (Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung. Photo: Mirko Krenzel für Volkswagen-Stiftung)
Ralf Krauter: Mit einem Stiftungskapital von gut drei Milliarden Euro ist die VolkswagenStiftung der größte private Forschungsförderer in Deutschland. 2019 wird sie Projekte im Volumen von rund 250 Millionen Euro fördern. Und wer soviel Geld hat, der hat natürlich auch die Macht, den Wandel der Wissenschaftslandschaft zu befördern. Der Generalsekretär der VW-Stiftung, Dr. Wilhelm Krull, hat das seit 1996 aktiv getan. Heute Abend wird er offiziell verabschiedet, bei einem Symposium in Hannover mit dem Titel "Was braucht das deutsche Wissenschaftssystem in den 2020-er Jahren? Spannende Frage. Aber ich wollte von Wilhelm Krull im Gespräch vorab zunächst wissen: Was waren aus seiner Sicht die wichtigsten Veränderungen der vergangenen 20 Jahre, um den Wissenschaftsstandort fit für die Zukunft zu machen?
Wilhelm Krull: Aus den Neunzigerjahren resultiert in jedem Fall die Tendenz, den Universitäten mehr Autonomie zu gewähren und auch generell, dass Wissenschaftssystem stärker von staatlicher Reglementierung befreit agieren zu lassen. Dann in den frühen zweitausender Jahren sicher die Diskussion um mehr Exzellenzförderung, die ja dann auch in der sogenannten Exzellenzinitiative oder heute Exzellenzstrategie gemündet ist. Und aus meiner Sicht mit einer der wichtigsten Aspekte war tatsächlich mehr Selbständigkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die VolkswagenStiftung hat ja kurz nachdem ich hierhergekommen bin, die ersten sogenannten selbständigen Nachwuchsgruppen in deutsche Universitäten gebracht. Dann wurde daraus auch bei der Personalrechtsreform die Juniorprofessur und schließlich, im dritten Schritt, jetzt auch die 1.000 Tenure-Track-Professuren, die dann wiederum zeigen, dass die von uns geförderten Lichtenberg-Professoren als impulsgebende Reformstrategie am Ende aufgegangen sind.
Krauter: Also mehr Autonomie, Exzellenzförderung in verschiedenen Formen und bessere Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs – das wäre sozusagen auf der Habenseite. Was sehen Sie im Soll? Wo sind gerade große Baustelle im Wissenschaftssystem, die in den nächsten Jahren unbedingt angegangen werden müssten?
Krull: Naja, da gibt es natürlich im wahrsten Sinne des Wortes die ganz große Baustelle der vernachlässigten baulichen Infrastruktur. Selbst die Kultusministerkonferenz ist schon 2016 von einem Bedarf von 35 Milliarden Euro ausgegangen. Was eben im Klartext bedeutet: Da die Länder jetzt ja für die bauliche Infrastruktur allein zuständig sind, ist es eine riesige Herausforderung für die Wissenschaftsminister, hier über Jahrzehnte versäumte Anforderungen nun in den 2020 Jahren rasant nachholen zu müssen.
Die Autonomie der Forschenden wurde zunehmend wieder eingeschränkt
Die andere Herausforderung führt eigentlich zurück zu meinem ersten Punkt: Mehr Autonomie für die Hochschulen. Und was mich daran beunruhigt ist, dass durch indikatorgesteuerte Mittelvergabe und kleinteilige Zielvereinbarungen die Freiheitsgrade, die im Grunde mit den damaligen Reformen eingeleitet wurden, durch die Hintertür wieder weitgehend zu neuen Fesseln für die Forscherinnen und Forscher und die Lehrenden und Lernenden in den Hochschulen geführt haben. Ich glaube, das sind zwei Bereiche, wo man unbedingt etwas tun muss.
Krauter: Das hat dann auch Bezug zur starken Abhängigkeit von Drittmitteln, die Forscher regelmäßig einwerben müssen - und dafür ziemlich viel Papierkram in der Regel hinter sich bringen müssen?
Krull: Genau. Wir haben ja, wenn Sie so wollen, seit den Neunzigerjahren geradezu eine Umkehrung. Damals war es im Grunde so, dass auf zwei D-Mark Grundausstattung eine D-Mark an Ergänzungsausstattung oder Drittmitteln kam. Heute haben wir an vielen Hochschulen die Situation, dass die von der Schwedischen Akademie der Wissenschaft in einer Studie schon 2013 errechnete Relation - es sollte mindestens 60 Prozent Grundausstattung sein und höchstens 40 Prozent Ergänzungsausstattung durch Drittmittel - an den meisten Universitäten bei weitem überschritten ist, wenn es um die Forschungsmöglichkeiten geht.
Kurzfristige Projektforschung gefährdet die Bereitschaft, Neuland zu betreten
Und das bedeutet natürlich, dass immer mehr in kurzatmigen Projektstrukturen geforscht werden muss und damit natürlich auch die Risikobereitschaft, etwas wirklich Neues anzugehen, immer mehr abnimmt.
Krauter: Da sind wir direkt beim Stichwort Qualität statt Quantität. 'Publish or perish' ist immer noch das vorherrschende Motto. Wissenschaftler müssen möglichst viel publizieren, um ihre Aufstiegschancen zu befördern. Viele der publizierten Arbeiten lassen sich dann aber letztlich gar nicht reproduzieren. Stichwort Reproduktionskrise. Wie bewerten Sie diese internen Infrastrukturprobleme der Wissenschaft?
Krull: Na ja, die vielen, vielen Arbeiten, die sich nicht reproduzieren ließen, dann auch die mehr oder weniger prominenten Plagiatsskandale, mit denen wir in Deutschland in den letzten zehn Jahren zu tun hatten, haben natürlich auch insgesamt nicht gerade das Vertrauen in die erkenntnisoffene Suche nach neuem Wissen befördert. Und das sehen wir natürlich im Moment gerade auch als Wissenschaftsförderer in der Stiftung als eine entsprechende Herausforderung an, über die wir sicher auch bei der Konferenz zu diskutieren haben werden.
Krauter: Da geht es auch um die Frage, welche Anreize letztlich einen privater Forschungsförderer, wie es die VW-Stiftung ist, setzen kann. Sie pumpen jährlich rund 200 Millionen Euro in das System. Welche Anreize könnten helfen, die genannten Probleme zu beseitigen?
Gezielte Fördermaßnahmen sollen helfen, ausgetretene Pfade zu verlassen
Krull: Als größter deutscher privater Wissenschaftsförderer versuchen wir natürlich immer wieder Impulse zu geben für neue Themen, für mehr Risiko in der Forschungsförderung und natürlich eben auch für neue Formen der Nachwuchsförderung. Beispielsweise über die Freigeist-Fellowship oder auch für frisch berufene Professoren zwei bis drei Jahre nach ihrem ersten Ruf: Dass wir ihnen mit 'Momentum' sozusagen eine Möglichkeit geben, sehr viel freier, noch einmal neu und vielleicht auch auf radikal anderen Wegen ihre Forschung fortzusetzen - und nicht immer nur mit 'more of the same' sozusagen im ausgetretenen Pfad des bereits Erfolgreichen zu verbleiben.
Krauter: Neu und innovativ war auch die Idee, Förderentscheidung in bestimmten Teilbereichen per Losverfahren zutreffen. Ist das ein Weg für die Zukunft?
Krull: Das ist ja ein durchaus heftig diskutierter neuer Schritt, den wir da gegangen sind. Aber wir hatten den Eindruck, dass es mittlerweile eine solche Überlastung der Begutachtungsprozesse und auch eine solche Überlastung der Suche nach Drittmitteln gibt, dass es vielleicht doch klug sein könnte, neben den Anträgen, die zunächst einmal ja von einer Gutachterkommission ausgewählt werden und zur Förderung vorgeschlagen werden, auch aus denen, die man qualitätsgesichert als mindestens ähnlich gut betrachten kann, noch einmal genauso viele Anträge hinzu zu losen.
Fördermittelentscheidung per Los - umstritten aber vielversprechend
Erstens erhöhen wir damit für die Antragstellerinnen und Antragsteller die Chance. Und zweitens werden wir über die nächsten vier, fünf Jahre eine Vergleichsstudie als begleitende Untersuchung haben, die uns zeigen wird, ob tatsächlich große Unterschiede zwischen der ausgewählten und der hinzu gelosten Kategorie bestehen, sodass man hinterher sagen könnte: Naja, die Gutachter haben doch die sehr viel besseren Projekte ausgewählt. Wir wissen alle, dass in Begutachtungsprozessen doch auch vielfach persönliche Vorlieben oder Abneigungen eine große Rolle spielen und insofern der subjektive Faktor in der Begutachtung auch immer noch eine große Rolle spielt.
Krauter: Laut aktuellem Wissenschaftsbarometer, das kürzlich rausgekommen ist, wünschen sich drei von vier Deutschen von der Wissenschaft eine Einmischung in öffentliche Debatten, wenn Politiker zum Beispiel Forschungsergebnisse nicht berücksichtigen - wie etwa im Fall des Klimawandels. Müssen Wissenschaftler in Zeiten schwindenden Vertrauens in die Eliten fundamental überdenken, wie sie mit der Öffentlichkeit kommunizieren?
Krull: Also genau das ist ein wichtiges Anliegen von mir persönlich, aber auch unserer Stiftung. Wir haben ja seit Jahren uns dafür engagiert, dass man auch jenseits des traditionellen Sende-Empfänger-Modells - also ein Professor hält einen klugen Vortrag und die anderen sollen gefälligst bewundernd zuhören – denken muss.
"Die Wissenschaft muss lernen, zuzuhören. Reden kann sie schon."
Dieses Modell ist längst überlebt und wir brauchen neue, interaktive und dialogische Formen. Wie es neulich der Direktor des Naturkundemuseums in Berlin, Johannes Vogel, gesagt hat: Die Wissenschaft muss lernen, zuzuhören. Reden kann sie schon.
Also ich glaube, wir brauchen einfach mehr Formen, in denen sich die verschiedensten Bürgerinnen und Bürger in ihren Interessen auch durch die Wissenschaft selbst ernst genommen fühlen können und wiederum auch ins Gespräch kommen. Und ich glaube, das brauchen wir mehr denn je, wenn wir uns anschauen, wie stark die Wissenschaftsskepsis, insbesondere natürlich bei rechtspopulistischen Parteien und deren Anhängern zugenommen hat. Denn dort ist das Misstrauen gegen die Wissenschaft und auch gegen die entsprechenden Klimaforscherinnen und Klimaforscher ja besonders groß. Und deshalb glaube ich auch, dass es sich lohnt, da noch einmal neue Wege zu gehen.
Zugleich müssen wir einräumen, dass in Deutschland die Forschung über solche Kommunikationsprozesse nicht gerade international konkurrenzfähig und breit aufgestellt ist. Deshalb werden wir auch im nächsten Jahr eine Ausschreibung machen, bei der Kommunikationszentren in Universitäten auf mehrere Jahre von uns gefördert werden, um entsprechend zu hoffentlich dann auch neuen Erkenntnissen zu kommen, was eigentlich der beste Weg ist, um mit der Öffentlichkeit auf wirklich wirkungsvolle Weise zu interagieren.
Krauter: Soweit das Gespräch mit Wilhelm Kroll, dem scheidenden Generalsekretär der Volkswagenstiftung. Was er seinem Nachfolger Doktor Georg Schütte gern mit auf den Weg geben würde, habe ich ihn natürlich auch noch gefragt. Die Antwort gibt es in der Langfassung des Interviews auf unserer Website zu hören.