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"Fülle von Ursachen und Verkettungen"

Nach Ansicht des SPD-Politikers Hans-Ulrich Klose verbergen sich hinter den aktuellen Spannungen zwischen der EU und Russland psychologische Ursachen. Russland wolle entsprechend seiner eigenen Einschätzung als bedeutendes Land behandelt werden. Eine Zeit lang seien die Russen vom Westen nicht so behandelt worden und reagierten nun entsprechend barsch.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 15.05.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Erst die wiederholten Versuche Moskaus, politisch wie ökonomisch eine Vormachtstellung in der Region zu reklamieren, indem Gasleitungen abgedreht wurden, dann die zunehmenden Repressalien gegen die russische Opposition und die freien Medien, schließlich die barschen Töne, die aus dem Kreml zu den amerikanischen Raketenabwehrplänen zu vernehmen waren und die an Zeiten des Kalten Krieges erinnerten, kein Zweifel: Das Klima zwischen Russland und dem Westen ist rauer geworden. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen Moskau und der EU.

    Am kommenden Freitag wird sich Bundeskanzlerin Merkel als EU-Ratspräsidentin in der Nähe der Wolga-Stadt Samara mit dem russischen Präsidenten Putin treffen. Innerhalb der Europäischen Union aber mehrten sich in letzter Zeit die Zweifel, ob das Treffen überhaupt einen Sinn habe. Darüber kam es in Brüssel offenbar zu einem lautstarken Streit. Außenminister Steinmeier rief gestern dazu auf, der Eskalation nicht weiter freien Lauf zu lassen, und reist heute zu einem kurzfristig anberaumten Krisengespräch nach Moskau.

    Am Telefon ist jetzt der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose (SPD). Guten Morgen!

    Hans-Ulrich Klose: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Klose, haben Sie Verständnis für die Forderung, den EU-Russland-Gipfel abzusagen oder wenigstens zu verschieben?

    Klose: Verstehen kann ich das schon, aber ich würde es nicht tun, weil ich finde: Das bringt eine zusätzliche Dramatik in die Angelegenheit, und im Augenblick scheint es mir eher besser zu sein, etwas langsamer und vorsichtiger zu operieren.

    Heckmann: Außenminister Steinmeier hat gestern dazu aufgerufen, zur Vernunft zurückzukehren. Wer ist damit gemeint, Moskau oder Warschau, das ja den Abschluss des EU-Russland-Partnerschaftsabkommens blockiert. Und auch Estland hat sich ja dementsprechend geäußert offenbar?

    Klose: Ich glaube, dass es eine Fülle von Ursachen gibt und Verkettungen, die zu der gegenwärtigen Situation geführt haben. Auf russischer Seite scheint mir dabei sehr viel Psychologie im Spiel zu sein, verletztes Selbstbewusstsein und übersteigert gewachsenes Selbstbewusstsein und Reminiszenzen an die Zeiten des Kalten Krieges, wenn man so will Einkreisungsängste. Und es gibt auf Seiten einiger osteuropäischer Länder halt ein anderes Geschichtsbild als in Moskau, was insbesondere im Fall Estland zu der Konfliktsituation geführt hat. Ich denke, es macht eine Menge Sinn, so etwas wie eine Pause einzulegen, die Erwartungen etwas zurückzuschrauben und Schritt für Schritt die Probleme, wenn es geht, abzuarbeiten.

    Heckmann: Aber Herr Klose, solange Moskau den Export polnischen Fleisches behindert und solange Moskau ein EU-Mitglied wie Estland unter Druck setzt, nur weil es ein sowjetisches Ehrenmal aus dem Zentrum von Tallin versetzt, hat es solange Sinn, von einer Partnerschaft mit Russland mit Russland zu sprechen, von einer strategischen zumal?

    Klose: Wissen Sie, ich kann das mit dem Fleischexport nicht wirklich beurteilen. Ich habe versucht, mich schlau zu machen. Die Argumentation der Russen ist, dass die hygienischen Voraussetzungen in Polen nicht angemessen sind und dass deshalb die Importe unterbleiben. Ich kann das nicht beurteilen. Ich weiß es einfach nicht. Es hat offenbar Schwierigkeiten gegeben. Ob die noch fortbestehen, weiß ich nicht. Es kann natürlich auch sein, dass die Russen diese Möglichkeit nutzen, um, wie man in Norddeutschland sagt, zu pieken.

    Im Falle Estland, ja. Ich finde, dass die estländische Regierung alles Recht hat, frei zu entscheiden. Auf der anderen Seite wissen gerade wir Deutschen, wie vorsichtig man bei solchen Themen sein muss. Wir verfahren da ja ganz anders. Wir sind auch in einer anderen Situation. Ob man es irgendwann hinbekommt, das Geschichtsbild der Russen und das Geschichtsbild der Esten miteinander zu vergleichen und so etwas wie eine gemeinsame historische Kommission zu Stande zu bringen, das weiß ich nicht. Die Russen klammern den ersten Teil der Besetzung aus und gucken nur auf den zweiten Teil, den Krieg gegen Nazi-Deutschland. Und die Esten gucken auf den ersten Teil und die Behandlung, die sie erfahren haben in den Jahren nach '45. Das ist sehr, sehr schwierig und nicht mit brachialer Gewalt zu lösen.

    Heckmann: Sie sprechen von einem übersteigerten Selbstbewusstsein auf Seiten Moskaus. Sind Sie denn der Ansicht, dass Moskau bereit ist, zu einer konstruktiven Politik zurückzukehren. Oder geht es nicht vielleicht einfach um die Erringung einer Vormachtstellung, die mit recht brachialen Methoden durchgesetzt werden soll?

    Klose: Darum geht es möglicherweise auch, aber es geht, wie ich glaube, um eine ganze Menge an Psychologie, und zwar bei der russischen Führung, aber möglicherweise auch in der Bevölkerung. Ich denke, wir sollten uns hier im Westen nichts vormachen. Die große Mehrheit der Russen findet den Kurs, den die russische Führung eingeschlagen hat, völlig in Ordnung, weil sie das Bild von Russland, das Putin antreibt, ganz offenbar teilt. Die Russen sehen das Land, ihr Land als ein wichtiges, großes Land und beanspruchen eine entsprechende Behandlung. Sie haben eine Zeit lang diese Behandlung nicht erfahren und reagieren jetzt über gegen den Westen. Auch da braucht es eine gewisse Ruhepause, um wieder zu vernünftigen Maßstäben zurückzukehren.

    Heckmann: Herr Klose, die Europäische Union fordert ja und setzt darauf, dass Moskau die Sicherheit der Energielieferungen in Zukunft garantiert, auch durch den Abschluss eines entsprechenden Abkommens. Können Sie ausschließen, dass es dafür einen Menschenrechtsrabatt gibt, oder ist dieser Rabatt schon längst gewährt?

    Klose: Ich glaube, Menschenrechtsrabatt kann es nicht geben, weil die Europäische Union eine Wertegemeinschaft ist, und sie kann bei ihren Werten nicht nachgiebig sein. Sie sollte allerdings bei den Forderungen, die Energie-Charta zu unterschreiben, berücksichtigen, dass auch andere Energie exportierende Länder die nicht unterschrieben haben. Norwegen zum Beispiel, so weit ich weiß, hat es auch nicht unterschrieben. Man sollte versuchen, auf der Grundlage früher geübter und erfahrener Verlässlichkeit mit den Russen ins Gespräch zu kommen und dabei interessenorientiert argumentiert. Wir haben ein Interesse an zuverlässigen Lieferungen, aber die Russen haben auch ein Interesse an gesicherten Absatzmöglichkeiten. Ich glaube, es ist psychologisch, um das Stichwort wieder zu nennen, nicht besonders klug, wenn ständig im Westen davon geredet wird, man müsse die einseitige Abhängigkeit aufheben, und versucht, Leitungen an Russland vorbei zu bauen. Das muss doch, versetzen Sie sich mal in die Lage der Russen, dort Vermutungen auslösen, die nicht hilfreich sind.

    Heckmann: Der amerikanische Raketenabwehrschirm sorgt für Streit auch innerhalb der EU. Wäre es aus Ihrer Sicht nicht sinnvoll, Moskau das Signal zu geben, dass sich EU-Mitgliedsländer nicht in innere Angelegenheiten einmischen lassen?

    Klose: Ja, aber das hilft nichts, weil in Russland die Wahrnehmung ist, dass die NATO beziehungsweise die Amerikaner immer näher an die russischen Grenzen heranrücken. Da hilft es relativ wenig, darauf aufmerksam zu machen, dass dieser Raketenschild wirklich das strategische Gleichgewicht in keiner Weise berührt. Solche Argumentationen sind falsch. Aber wenn es halt in Polen ist und wenn es in der Tschechischen Republik ist und wenn neuerlich davon geredet wird, dass man es auch in Georgien einrichten könnte, dann gibt es einfach die bekannten reflexartigen Reaktionen in Moskau. Dazu kommt, dass nach dem Ende des Kalten Krieges gesagt worden ist, dass die NATO nicht in die ehemaligen Warschauer-Pakt-Länder vorstoßen würde, also jedenfalls keine Stützpunkte dort errichten würde, und jetzt gibt es neuerdings Stützpunkte, amerikanische Basen, in Rumänien und Bulgarien, die zwar keine NATO-Basen sind, aber den Unterschied machen die Russen nicht.

    Heckmann: Der SPD-Außenexperte Hans-Ulrich Klose war das hier in den "Informationen am Morgen". Herr Klose, danke Ihnen fürs Gespräch und einen schönen Tag.

    Klose: Wünsche ich Ihnen auch. Wiederhören.