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Fünf Jahre Arabische Revolution
Wie aus dem Frühling ein langer Winter wurde

Sie hofften auf den Umbruch, als sie nach und nach die etablierten Machthaber aus dem Amt jagen wollten. Doch in Tunesien, Ägypten und erst recht in Syrien ist aus dem Arabischen Frühling ein sehr langer Winter geworden. Aufständische von damals blicken zurück.

Von Alexander Göbel, Björn Blaschke und Sabine Rossi | 02.01.2016
    Massenprotest auf dem Tahrir-Platz in Kairo am 2. Februar 2011
    Fast ein Symbol der Arabischen Revolution: der Tahrir-Platz in Kairo. (picture alliance / dpa / Foto: Jacob Ehrbahn)
    Tunesien
    An einem grauen Herbsttag Ende 2008 sitzt Sofiane Ben Haj im Hörsaal der Universität von Brüssel. Der Sohn eines tunesischen Vaters und einer belgischen Mutter ist seit dem Abitur in Belgien, studiert Politikwissenschaften, will später im Marketing arbeiten. Nebenbei interessiert sich der 25-Jährige immer mehr für die Nachrichten aus Tunesien, liest die ersten regierungskritischen Blogs tunesischer Cyber-Pioniere. Dann trifft Sofian Ben Haj eine Entscheidung, die sein Leben verändern wird – und das Leben vieler Menschen in seiner Heimat Tunesien: Er legt sich ein Facebook-Konto zu.
    "Ich habe mir meinen Alias-Namen zugelegt, Hamadi Kaloutcha. Das hat die Behörden verwirrt, ich wollte ja nicht auffliegen. Und dann habe ich angefangen, online mit jungen Leuten zu diskutieren – darüber, ob so etwas wie Demokratie in Tunesien möglich ist."
    In Brüssel bekommt er im Netz mit, was die tunesischen Staatsmedien seinen Landsleuten auf der anderen Seite des Mittelmeers verschweigen: wie Präsident Ben Ali und sein Clan das Land plündern, wie das Regime den Polizeistaat immer weiter ausbaut, Kritiker foltert und verschwinden lässt. Der Student begreift, dass es da draußen im Netz Gleichgesinnte gibt. Fortan nennt er sich "Cyber-Dissident".
    Protest in Tunis am zweiten Jahrestag des Aufstands gegen den Diktator Ben Ali.
    Protest in Tunis am zweiten Jahrestag des Aufstands gegen den Diktator Ben Ali. (picture alliance / dpa / Mohamed Messara)
    "Wir haben die tunesischen Netz-Behörden in einen Krieg verwickelt, einen Nervenkrieg. Ich habe alle möglichen Seiten kopiert und dann veröffentlicht, die ich lesen konnte, die aber in Tunesien zensiert waren. Das hat sie wahnsinnig gemacht!"
    Er merkt schnell, wie er mit seinen regime-kritischen Kommentaren die Vereinzelung überwinden kann: Niemand ist mehr allein. Hunderte, Tausende teilen seine Meinung, seine Ablehnung des Systems. Inzwischen ist Sofiane Ben Haj nach Tunesien zurückgekehrt, will näher bei seinem kranken Vater sein. Als "Hamadi Kaloutcha" kämpft er weiter im Netz. Dass Ben Ali während seines Präsidentschaftswahlkampfes 2009 Facebook zensieren lässt, bringt die Cyber-Dissidenten nicht aus der Ruhe. Ihr größter Feind wird die Zensurmaschine, bald nur noch "amar404" genannt.
    "So richtig gekippt ist das Regime mit Wikileaks. Ich habe die Informationen auf Französisch und Arabisch übersetzt und auf meiner Facebook-Seite veröffentlicht."
    Am 30. November 2010 postet er bei Facebook:
    "1055 Wikileaks-Dokumente! Die legen sogar das Privatvermögen des Clans offen: Mehrere Milliarden Dollar! Yachten, unzählige Immobilien, Luxusautos, Firmennetzwerke, und so weiter! Leute, worauf wartet die Opposition? Vernetzt Euch!"
    "Wir begriffen, dass die so genannte Erste Welt genauso über den Ben-Ali-Clan dachte, wie der kleine Tunesier auf der Straße! Sogar die USA wandten sich von Ben Ali ab. Es brauchte nur noch einen Funken, um das Lügengebäude zum Einsturz zu bringen, der Boden war bereitet. "
    Eine Selbstverbrennung bringt die Massen auf die Straßen
    Sofiane Ben Haj ist euphorisiert. Wenige Tage später übergießt sich in der trostlosen Provinzstadt Sidi Bouzid der junge Gemüsehändler Mohamed Bouazizi mit Benzin und zündet sich auf offener Straße an. Ein Akt der Verzweiflung eines 26-Jährigen, der die entwürdigende Armut, die Demütigungen der Behörden nicht mehr erträgt. Bouazizis Selbstverbrennung bringt die Massen schließlich auf die Straßen, Demonstranten liefern sich blutige Kämpfe mit den Sicherheitskräften, Ben Ali lässt sein Volk von Scharfschützen töten. Die Revolte erfasst vom Landesinneren aus die Hauptstadt Tunis.
    18.12.2010: "Die Stadt ist in Flammen. Überall Sandsäcke, Panzerfahrzeuge, Barrikaden. Schüsse, Tränengas. Schwarz gekleidete Massen in den Straßen, Frauen und Kinder. Panik bricht aus, genau um 20.03 Uhr. Jemand ruft: Bouazizi ist tot. Ein Abgrund hat sich geöffnet. "
    Unermüdlich postet er als "Kaloutcha" Handy-Videos der Demonstrationen, Fotos von Patronenhülsen und Tränengaskartuschen. Ironisch kommentiert er Ben Alis verzweifelte Fernsehansprachen, in denen der Diktator halbherzig Reformen verspricht. In der Nacht vom 5. auf den 6. Januar 2011 verstummt "Kaloutcha". Sofiane Ben Haj wird von der Geheimpolizei abgeholt. Vier Nächte, erzählt er später, verbringt er in einem Grab.
    "Es war ekelhaft. Diese Leute haben mich glauben lassen, dass sie gerade in meinem Haus meine Frau vergewaltigen. Sie haben mir meine Kleidung weggenommen und mir Angst gemacht, dass ich auch bald drankomme."
    Als Sofiane am 11. Januar wieder frei ist, nennt er auf seiner Facebook-Seite seinen Klarnamen. Er will sich nicht mehr verstecken. Am 14. Januar 2011 flieht Ben Ali aus Tunesien. Einen Tag später schreibt Sofiane:
    "Vergesst den Ruf 'Nieder mit der Diktatur'. Ab sofort heißt es 'Auf geht's zur Demokratie!'".
    Fünf Jahre nach Beginn der Proteste wird das tunesische Dialogquartett mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Es hatte nach dem Volksaufstand den "nationalen Dialog" zwischen Islamisten und ihren Gegnern organisiert und "mit großer moralischer Autorität entscheidend zum Aufbau einer pluralistischen Demokratie" beigetragen, heißt es in der Begründung.

    Doch Sofiane Ben Haj ist verbittert. Im Rückblick fühlt er sich selbst und die Revolution der Tunesier von Europa verraten. Seine Facebook-Seite betreibt er weiter unter dem Namen "Kaloutcha", aber an den politischen Debatten nimmt er nicht mehr teil. Sorgen macht er sich im Stillen, um die frustrierte, arbeitslose Jugend Tunesiens, um den schwachen Staat, der obendrein noch vom islamistischen Terror bedroht ist. "Demokratie kann man nicht essen. Aber wir haben es geschafft, einen mächtigen Fluss in die entgegengesetzte Richtung fließen zu lassen", sagt Sofiane Ben Haj am Ende dann doch stolz.
    Protest in Tunis am zweiten Jahrestag des Aufstands gegen den Diktator Ben Ali.
    Protest in Tunis am zweiten Jahrestag des Aufstands gegen den Diktator Ben Ali. (dpa / epa / Mohammed messara)
    "Wir haben uns zwei wichtige Dinge erkämpft: Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit. Diese beiden Waffen sind entscheidend für unseren Kampf. Von nun an ist es möglich, unseren Traum weiter zu träumen und weiterzugehen in Richtung Demokratie."
    Ägypten
    Die friedlichen Proteste in Tunesien um den Jahreswechsel 2010/2011, der Widerstand der Demonstranten gegen die Polizei ... All das inspiriert auch viele Menschen in Ägypten. Allen voran: Asmaa Mahfouz. Die junge Frau, die als Zeichen ihrer Frömmigkeit in der Öffentlichkeit immer ein Kopftuch trägt, sollte eine der Ikonen der Jugend vom Tahrir-Platz werden.
    Asmaa Mahfouz, Bloggerin und Sarachrow-Preisträgerin 2011
    Asmaa Mahfouz, Bloggerin und Sarachrow-Preisträgerin 2011 (picture alliance / dpa /Stephan Scheuer)
    Denn: Ein kurzer Videoblog, den Mahfouz Mitte Januar 2011 ins Internet stellt, trägt mit dazu bei, dass der Volksaufstand in Ägypten beginnt:
    "Ich mache dieses Video, um Euch eine einfache Botschaft zu schicken: Wir wollen am 25. Januar auf den Tahrir-Platz gehen. Wenn wir noch ein wenig Ehre haben und in diesem Land in Würde leben wollen, dann müssen wir am 25. Januar rausgehen."
    Der 25. Januar ist bis 2011 noch der "Tag der Polizei". Ein "Feiertag", an dem die Diktatur Hosni Mubaraks ihre Handlanger ehrt. Für Proteste also ein guter Zeitpunkt. Das ist auch Asmaa Mahfouz klar. Mit Mitte zwanzig ist sie zwar noch jung, aber sie hat bereits einen Abschluss an der renommierten Kairo-Universität gemacht, in Betriebswirtschaftslehre. Und sie ist eine erfahrene Aktivistin: Selbst aus einer mittelständischen Familie stammend, hat sie die Arbeiterstreiks in Ägypten unterstützt und ist in ihren Kreisen bekannt für ihre Videoblogs. Doch berühmt wird sie erst durch ihren kämpferischen Protestaufruf, der die Massen ab dem 25. Januar 2011 auf den Tahrir-Platz bringt.
    Wir brauchen einen richtigen Wandel, und nicht nur einen Austausch der Gesichter
    Nach dem Sturz Hosni Mubaraks bleibt Asmaa Mahfouz in den neuen Medien präsent, nutzt aber ihre Bekanntheit auch für Auftritte in den alten Medien – vor allem im Ausland. So gibt sie einem US-Fernsehsender ein Interview, in dem sie sich für eine sozialere Welt stark macht, so wie sie es auch auf dem Tahrir-Platz gefordert hat.
    "Nachdem ich das Video gemacht habe, hat sich jeder in Ägypten solidarisch gezeigt. Während der Demonstrationen wurde ich beschützt. Wirklich, ich habe Leute vor mir sterben sehen, weil sie mich und andere beschützt haben."
    Im Januar 2012 - in der Zwischenzeit hat das EU-Parlament Mahfouz den Sacharow-Preis für geistige Freiheit verliehen – ist der "Tag der Polizei" umbenannt in "Tag der Revolution". Doch Asmaa Mahfouz zeigt sich nach wie vor kampfeswillig, als sie ihre Video-Aufnahme noch einmal mit etwas Abstand sieht und hört. Sie wendet sich nun gegen den Hohen Militärrat, der seit dem Abgang Mubaraks über Ägypten herrscht:
    "Nach einem Jahr haben wir immer noch viel Arbeit vor uns. Wir brauchen einen richtigen Wandel und nicht nur einen Austausch der Gesichter. Wir brauchen die Sicherheit, dass es mehr Gerechtigkeit im Land geben wird; dass unser Leben eines in Menschlichkeit, Sicherheit, Ehre und Freiheit ist."
    Asmaa Mahfouz gibt nicht auf, engagiert sich politisch bei "Al-Tayar al-Masri", zu Deutsch etwa "Der Strom Ägyptens". Nach dem Sturz von Hosni Mubarak hatten junge Mitglieder der Muslim-Bruderschaft die Partei gegründet und wurden dafür aus der islamistischen Organisation verstoßen; deren Führung duldet keine politischen Alleingänge. Zunächst tritt Asmaa Mahfouz für die Partei sogar bei den Parlamentswahlen an, zieht ihre Kandidatur dann aber zurück. Dass Mahfouz es ins Parlament geschafft hätte, ist jedoch ohnehin zweifelhaft. Ihre politischen Gegner, die alteingesessenen Islamisten, sind die Gewinner. Auch bei der anschließenden Präsidentschaftswahl: Aus ihr geht der Muslimbruder Mohammed Mursi hervor.
    Dabei sind die wenigsten, die 2011 auf den Tahrir-Platz gegangen sind, Islamisten. Haben die also den Aufstand von Asmaa Mahfouz und all den anderen sozusagen gekidnappt? Ein Lächeln geht ihr übers Gesicht, als sie 2012 diese Frage hört: Das Wahlergebnis habe sie sich nicht gewünscht, aber so könne es nun mal gehen bei demokratischen Wahlen.
    Im Laufe der Jahre muss sich die heute 30-Jährige mehrfach vor Gericht verantworten, wegen verschiedener Vorwürfe: Verunglimpfung, Körperverletzung, Aufruf zu Gewalt. Es wird ruhig um Asmaa Mahfouz, die zuvor auch bei internationalen Talkrunden ein gerne gesehener Gast war. 2013 kommt es erneut zu Massenprotesten. Sie richteten sich nun gegen den Muslimbruder Mohammed Mursi und dessen Versuche, Ägypten islamistisch umzugestalten.
    Im Sommer erklärt Armeechef Abdel-Fattah al-Sisi Mursi für abgesetzt. Am vierten Jahrestag ihres Protestes, 2014, gibt Asmaa Mahfouz der BBC ein Interview. Sie hält ein Foto in die Kamera. Ein Bild mit ihr sowie mit mehreren anderen Aktivisten und in der Mitte Abdel-Fattah al-Sisi. Die meisten der Aktivisten sitzen zu der Zeit im Gefängnis oder sind im Ausland. Asmaa Mahfouz ist mit einem Reiseverbot belegt, darf Ägypten nicht verlassen.
    "Drei oder vier Jahre seit Beginn der Umbrüche sind wir in einer viel schlechteren Situation als vorher. Dieses Regime ist eines, das jeden zerschmettert, der in Opposition ist. Oder auch nur darüber nachdenkt. Das Regime steht der Revolution feindlich gegenüber und versucht, sie aus der Geschichte zu löschen. Als wir unter Mubarak protestiert hatten, sind wir auf der Straße geprügelt worden. Manchmal wurden wir gefoltert. Aber heute werden Leute ermordet, brutal."
    Wer heute als Journalist mit Asmaa Mahfouz sprechen will, hat keine Chance: Sie geht nicht ans Telefon, wenn sie über eine ihr unbekannte Nummer angerufen wird. Auf Kurznachrichten oder E-Mails antwortet sie nicht. Kontaktieren sie Freunde – als Mittelsmänner – lässt sie ausrichten, dass sie sich aus der Politik heraushält und keine Interviews gibt. Nicht mehr.
    Syrien
    Als Asmaa Mahfouz im Januar 2011 gegen Langzeit-Machthaber Hosni Mubarak protestiert, verfolgt Ahmad Omari die Ereignisse in Ägypten gebannt vor dem Fernseher. Gut einen Monat später beginnen die Demonstrationen auch in Syrien. Zuerst in Deraa, einer Stadt im Süden. Dort protestieren Mitte März aufgebrachte Eltern, nachdem ihre Kinder von Polizisten geschlagen und gefoltert worden waren, weil sie die Slogans der Demonstrationen von Tunesien und Ägypten an die Mauer ihrer Schule gemalt hatten. Dann erreichen die Proteste auch die Hauptstadt Damaskus, wo Ahmad Omari, der eigentlich anders heißt, mit seiner Frau und seinen vier kleinen Töchtern wohnt.
    "Ich habe mich am Rand gehalten. Ich bin hingegangen, um zu sehen, was passiert. Das war das Mindeste, das ich tun konnte. Zu Beginn waren viele Demos vor der Umayyaden-Moschee, der größten und bekanntesten Moschee von Damaskus. Also bin ich zum Freitagsgebet immer in diese Moschee gegangen."
    Junge Syrer protestieren bei einer Demonstration gegen die Regierung (Damaskus, Juli 2011).  
    Junge Syrer protestieren bei einer Demonstration gegen die Regierung (Damaskus, Juli 2011). (picture alliance / dpa )
    Als die Proteste in Syrien beginnen, ist Ahmad Omari Anfang 30. Er arbeitet als Architekt und Bauingenieur und ist viel in den Vororten von Damaskus unterwegs. In den meisten großen Städten Syriens haben sich die Händler und Geschäftsleute mit dem Regime arrangiert. Auf dem Land und in den Vororten aber, dort wo Ahmad Omari arbeitet, gärt es: Dort fühlen sich die Menschen benachteiligt, abgeschnitten von Bildung und Arbeitschancen und einem korrupten System ausgeliefert, in dem vor allem gute Kontakte und Schmiergeld weiterhelfen.
    Immer öfter wird Ahmad Omari an Straßensperren von Soldaten kontrolliert. Im Februar 2012 kann er nur noch unregelmäßig arbeiten: Entweder fällt der Strom aus oder er erreicht seine Arbeiter nicht, weil die Telefonleitungen in den Vororten gekappt sind. Auch in Damaskus ist auf Strom und Internet kein Verlass mehr. Dennoch versucht Ahmad Omari über den Internettelefondienst Skype Kontakt ins Ausland zu halten, um von dem, was in Syrien passiert, zu berichten. Das Internet scheint ihm inzwischen sicherer, als auf der Straße bei Demos das Risiko einzugehen, verhaftet, verletzt oder gar getötet zu werden.
    "Ich habe meine Kinder heute nicht in die Schule geschickt. Ich hatte Angst, dass es wieder Demonstrationen und Ausschreitungen geben könnte. Meine kleine Tochter hat heute Morgen gefragt: 'Mama, wenn Du stirbst, wohin kommst Du dann? In den Himmel oder in die Hölle?' Darauf antwortete ihre ältere Schwester: 'Mama kommt bestimmt ins Paradies, denn sie liebt uns, sie kocht für uns, sie kümmert sich um uns und spielt mit uns.' 'Und was ist mit Präsident Baschar al-Assad?' 'Er kommt in die Hölle, denn er tötet die Menschen'."
    "Die Opposition muss sich zusammentun"
    In Homs, im Zentrum Syriens, lässt Präsident Baschar al-Assad zu dieser Zeit die Bevölkerung bombardieren. Tausende fliehen, auch nach Damaskus. Ahmad Omari hilft Flüchtlingen, bringt ihnen Decken, fährt sie zu Freunden und Bekannten. Auch bei ihm im Haus sind drei Familien aus Homs eingezogen. Sie teilen sich zwei Zimmer. Wer Flüchtlingen hilft, riskiert verhaftet zu werden und in einem der Gefängnisse des Regimes zu verschwinden.
    "Ich würde lieber auf dem Weg zu Freiheit und Demokratie sterben. Davor fürchte ich mich nicht. Aber ich fürchte mich vor Folter und vor Schlägen. Ich hoffe, dass mir das nicht noch passiert."
    Im Sommer 2012 nehmen die Kämpfe zu. Manchmal sind während der Internettelefonate Schüsse und Gefechtslärm zu hören. Ahmad Omari zögert lange, dann beschließt er, Syrien zu verlassen, um seine Frau und seine vier Kinder in Sicherheit zu bringen. Von Damaskus reisen sie nach Beirut in Libanon, dann in die Türkei. Mitte August landet die Familie in Berlin.
    Ahmad Omari beginnt, sich in der syrischen Opposition zu engagieren. In Deutschland arbeiten syrische Kurden und Araber zusammen, Christen und Muslime.
    "Die Opposition muss sich zusammentun. Wir müssen uns alle für ein gemeinsames Ziel einsetzen. Dafür, dass das Regime endet und Syrien eine Zukunft hat. Damit die Menschen und vor allem die Kinder wieder in Frieden leben können."
    Doch je länger der Krieg in Syrien andauert, desto mehr schwindet bei Ahmad Omari die Hoffnung auf Frieden. Seine Eltern und einige seiner Geschwister leben noch immer in Damaskus.
    "Wenn dir heute jemand sagt, 'Gott sei Dank, es geht mir gut', dann heißt das, dass niemand gestorben ist und dass es keine Explosionen unmittelbar in seiner Nähe gab."
    Heute hat er die Hoffnung in die internationale Gemeinschaft nach fast fünf Jahren Krieg in Syrien verloren: Die Welt habe erst eingegriffen, nachdem die Terroristen des selbst ernannten Islamischen Staats weite Teile Syriens unter ihre Kontrolle gebracht hatten – und dann auch nur mit Luftschlägen. Gegen das Regime von Präsident Assad habe sie hingegen nichts unternommen. Assad habe ungehindert Zivilisten verschleppen und töten lassen – sogar mit geächteten Waffen, wie Fassbomben. Auch von der Opposition hat sich Ahmad Omari inzwischen abgewandt.
    In Berlin haben sich Ahmad Omari und seine Familie ein neues Leben aufgebaut. Er selbst möchte wieder als Bauingenieur arbeiten. Ein Praktikum würde ihm vorerst genügen, um erste Erfahrungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu sammeln. Seinen Kindern falle es leichter, in Deutschland anzukommen.
    "Das ist ein Licht in meinem Leben. Ich bin sehr zufrieden, und heute das ist die erste Eins in unserer Wohnung und in unserem Leben. Eins in Deutsch, meine ich."
    Und auf diese Eins in Deutsch ist Ahmad Omari stolz. Dass seine Kinder so gut integriert sind, lindert den Verlust der Heimat für ihn ein wenig.