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Fünf Jahre Kompetenzzentrum Frühe Kindheit

Die Debatte um das Betreuungsgeld und die vielfältigen Bildungsangebote für Kleinkinder wird intensiv geführt. Weil die frühkindliche Bildung aber bis vor Kurzem noch eine Art Black Box war in Deutschland, mussten entsprechende Forschungsbereiche geschaffen werden. Ein Resultat ist das Kompetenzzentrum Frühe Kindheit in Niedersachsen.

Von Susanne Schrammar | 29.06.2012
    Englischlernen im Kindergarten. Um Startchancen ins spätere Berufsleben zu verbessern, legen immer mehr Eltern Wert darauf, dass ihre Jüngsten schon vor der Schule Fremdsprachenunterricht bekommen. Zwar könnten Kinder zwischen drei und fünf Jahren Laute und Sprache schon differenzieren, sagt Entwicklungspsychologin Claudia Mähler vom Kompetenzzentrum Frühe Kindheit Niedersachsen. Doch wenn es darum geht, die Kinder fit für die Schule zu machen, seien andere Dinge zunächst einmal entscheidender: Den Umgang mit Mengen und Zahlen lernen zum Beispiel, erste Schreibübungen, soziales Verhalten oder motorische Fähigkeiten.

    "Aus der psychologischen Perspektive würde ich sagen: Es gibt Wichtigeres zu tun im Vorschulalter, als Fremdsprachen zu lernen – auch wenn es sicher möglich ist. Wenn man es dennoch tun will, muss man dafür sorgen, dass das Angebot an Fremdsprache sehr groß ist. Es genügt ganz sicher nicht, eine Englischlehrerin einmal die Woche da zu haben, zwei Stunden mit den Kindern Englisch zu machen und zu erwarten, dass die Kinder dadurch die Fremdsprache lernen. Das werden sie nicht tun."

    Claudia Mähler forscht im Bereich "Entwicklung und Diagnostik" am Kompetenzzentrum Frühe Kindheit Niedersachsen, das an der Universität Hildesheim angesiedelt ist. 2007 gegründet hat es sich zu einem interdisziplinären Forschungszentrum zur frühkindlichen Bildung entwickelt: Erziehungswissenschaftler, Psychologen, Musik- oder Sportpädagogen arbeiten gemeinsam in acht Schwerpunktbereichen. Sie betreiben Grundlagenforschung, unternehmen in regionalen Projekten jedoch auch immer wieder Ausflüge in die Praxis. Im Zentrum stehen zum Beispiel Fragen wie: Welche Rolle spielt Bewegung bei der Ausbildung sozial-kommunikativer Fähigkeiten? Wie entwickelt sich das Arbeitsgedächtnis von Grund- und Vorschulkindern? Oder auch: welche pädagogische Dimension hatten die Kinderläden der 68er Generation? Peter Cloos, Erziehungswissenschaftler und Sprecher des Kompetenzzentrums:

    "Wir machen hier also nicht nur Kindergartenforschung, so könnte man es überspitzt formulieren, sondern wir nehmen die Felder in den Blick, die für das kindliche Aufwachsen und die kindliche Entwicklung zentral sind. Wir sprechen hier mitlerweile von einem Bildungs- und Betreuungsmix. Eltern nutzen mit ihren Kindern vielfältige Angebote, und da ist der Kindergarten eben ein Aspekt."
    Peter Cloos untersucht derzeit beispielsweise, wie sich die Zusammenarbeit von sogenannten multiprofessionellen Teams in Kindertageseinrichtungen auswirkt. Um den komplexer werdenden Anforderungen an frühkindliche Bildung gerecht zu werden, fordert der Erziehungswissenschaftler, sollten pädagogische Mitarbeiter und studierten Fachkräften häufiger in Teams zusammen arbeiten.

    "Die Hochschulabsolventen, die können dieses Feld, was hauptsächlich im Augenblick noch besetzt ist durch Erzieherinnen und Sozialassistenten oder Kinderpflegerinnen sozusagen auch neu konturieren. Wobei das nicht heißt, dass Erzieherinnen nicht auch gute Arbeit machen – sondern es geht darum, neue Kompetenzbündel zu schnüren."
    Das Thema "Frühkindliche Bildung" ist in Deutschland seit dem schlechten Abschneiden in der Pisa-Studie 2003 verstärkt in den Fokus gerückt – vor allem in den der Politik. Nach fast zehn Jahren Investitionen in frühkindliche Bildung wird jetzt über das Betreuungsgeld für die Unter-Drei-Jährigen diskutiert - Studien, sagt Peter Cloos, hätten gezeigt, dass qualitativ hochwertige Krippenangebote sehr sinnvoll sei. Er glaubt, das Betreuungsgeld könne negative Effekte auf das Niveau frühkindlicher Bildung haben.

    "Eigentlich kann man sagen, dass auch – egal, wie gut es Eltern machen – eine öffentliche Betreuung immer Dinge tun kann, die einfach Eltern nicht tun können."
    Ist die politische Botschaft am Ende vielleicht wichtiger als die wissenschaftliche Erkenntnis? Gerade bei schwierigen Bildungsfragen wünscht sich Entwicklungspsychologin Claudia Mähler mehr Zeit – zum Beispiel für Langzeitstudien.

    "Man braucht eben für manche Fragen einen etwas längeren Atem. Und den hat man manchmal nicht, wenn die Politik schnelle Ratschläge und Handlungsanweisungen möchte. An der Stelle sind wir manchmal etwas unglücklich damit, dass dann auch Dinge entschieden werden, wo man nachher – zwei Jahre später – denkt: ja, hätte man abgewartet, hätte man wissen können, dass das nicht nützen wird oder nicht effektiv ist."