Donnerstag, 25. April 2024


Fünf Sichtweisen

"Sehen und Gesehen werden" war zentrales Thema der Einsendungen zu unserem Juni-Motto "Ich sehe was, was du nicht siehst".

10.07.2008
    Die unten genannten fünf Gedichte haben die Jury besonders überzeugt. Angesichts der vielen und sehr unterschiedlichen Ideen ist uns die Auswahl auch im Juni nicht leicht gefallen.
    Ein Trost für alle, die im Juni nicht gewonnen haben: Noch sechsmal gibt es die Chance, sich mit einem Gedicht für die Auswahlrunde zu qualifizieren, aus der Anfang 2009 die zwölf Jahresgewinner gewählt werden. Als Preis winkt ein viertägiger Aufenthalt in Berlin mit Lyrikworkshop im Literarischen Colloquium Berlin am Wannsee. Im Juli suchen wir ein Magisches Feriengedicht.

    Die fünf Monatsgedichte zum Leitmotiv "Ich sehe was, was Du nicht siehst":


    philosophie

    so traurig macht
    es mich dass
    ich sie niemals
    werde betrachten können
    die gesamte schönheit der sonne
    denn
    sie würde mich
    blind machen

    lieber gott
    ist dies auch
    bei dir
    bedingung?


    (Sophia Barthelmes aus Eckersdorf, Markgräfin-Wilhelmine Gymnasium Bayreuth, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache deutsch)

    Der Schwarze Mann

    Ich sehe was, was du nicht siehst
    Der schwarze Mann steht hinter dir
    Dreh dich nicht um, sonst holt er dich
    Der schwarze Mann kennt dein Gesicht

    Ich sehe was, was du nicht siehst
    Der Schwarze Mann weiß, wer du bist
    Das hinter dir ist nur sein Bild
    Denn der Schwarze Mann bin ich

    Ich sehe was, was du nicht siehst
    Der Schwarze Mann hat kein Gesicht
    Man sieht nur mit dem Herzen gut
    Drum habe ich kein Augenlicht

    Ich sehe was, was du nicht siehst
    Der Schwarze Mann bist du, bin ich
    Der Schwarze Mann ist überall
    Und deshalb hat er kein Gesicht

    Der Schwarze Mann hat kein Gesicht
    Die Welt besitzt kein Augenlicht
    Nur einer sieht mit seinem Herzen:
    "Ich sehe was, was du nicht siehst"


    (Jana Freund aus Maintal, Albert-Einstein-Schule, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache deutsch)

    Ich sehe was, was du nicht siehst

    Was du nicht siehst, das sehe ich.
    Nein, ein Schläger bist du nicht!
    Zieh deine Springerstiefel aus,
    den Baseballschläger lass zu Haus!

    Was du nicht siehst, das sehe ich.
    Nein, ein Fascho bist du nicht!
    Gib deinem Nachbarn mal die Hand,
    kommt er auch aus einem anderen Land.

    Was du nicht siehst, das sehe ich.
    Er ist ein Mensch, wie du und ich.
    Gewalt und Grausamkeit sind out,
    es steckt ein Mensch in jeder Haut.

    Was du nicht siehst, das sehe ich:
    Du bist o.k. – versteck es nicht!


    (Julia Große aus Stendal, Winckelmann-Gymnasium Stendal, Klasse 8, Muttersprache deutsch)

    Sehen

    Ich seh' etwas, das du nicht siehst
    Sobald du deinen wunden Geist
    Vor neuer Lebensglut verschließt
    Und du dein Herz den Tränen weihst

    Ich seh' etwas, das du nicht siehst
    Bei Nacht, wenn dich die Leere führt
    Die sich in deinen Blick ergießt
    Und bitterkalte Flammen schürt

    Ich seh' etwas, das du nicht siehst
    Wenn nichts als Schatten aus dir spricht
    Und deine Welt zu Stein zerfließt
    Ich seh' etwas - ich seh' Dein Licht


    (Kai-Oliver Gutacker aus Niddatal, Sankt Lioba Schule, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache deutsch)

    Seele

    Im Körper tief vergraben,
    vom Auge unberührt,
    von Hand nie angetastet,
    liegt, was der Mensch so fühlt.
    Im Schatten unerkennbar,
    vom Licht nicht angestrahlt,
    vom Ohr nie wahrgenommen,
    zuckersüß und wie gemalt.
    Durch Liebe endlich sichtbar,
    als Puls des Menschengeists,
    Spiegel, Grund des Lebens,
    was einfach 'Seele' heißt.


    (Simone Riegler aus Bamberg, Dientzenhofer-Gymnasium, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache deutsch)